Im Zuge der Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA unterbricht die EU-Kommission die Verhandlungen über den umstrittenen Investitionsschutz. Worum es bei dieser zentralen Frage über den Stellenwert von nationalen Gerichten geht – hier. Das Freihandelsabkommen mit Kanada ist bereits abgeschlossen. Ob der ordentliche Rechtsweg dort bereits zur Folklore erklärt wurde, ist unbekannt: Die Vertragspartner halten das Abkommen unter Verschluss – hier.
In einer Konsultationsphase von drei Monaten sollten erst die Meinungen von Beteiligten auf EU-Seite eingeholt werden, teilte Handelskommissar Karel de Gucht mit großem Pathos am Dienstag in Brüssel mit. Die Entscheidung folge dem „beispiellosen öffentlichen Interesse“ an den Gesprächen. In der Zwischenzeit solle eine Balance zwischen europäischen Interessen im Investitionsbereich und dem Recht der Regierungen auf Regulierung gesichert werden. Anfang März will de Gucht ein Papier vorlegen, das auf die offenen Fragen eingeht. Die Gespräche über andere Teile des Freihandelsabkommens TTIP laufen ganz normal weiter.
Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass die „Aussetzung“ nichts anderes als eine taktische Finte ist, um das Thema vor der EU-Wahl im Frühjahr 2014 aus den Schlagzeilen zu halten. Deshalb haben die Kommissare Kreide gefressen und versuchen den Eindruck zu erwecken, als würde sie das öffentliche Interesse in diesem Punkt besonders beeindrucken.
Das ist ein Witz.
Zu „verhandeln“ gibt es in diesem Punkt ohnehin nichts: Solche Investitionsschutzklauseln sind Standard-Formulierungen, die man zwei Minuten vor der Unterschrift noch einfügen kann. Es kommt nur auf den Willen der Parteien an. Und dieser Wille müsste im Fall der EU vorher und öffentlich gebildet werden. Es ist ein Unding, dass von niemandem gewählte Funktionäre „im Namen des europäischen Volkes“ mit der Privatwirtschaft über die Grundwerte wie Rechtsstaatlichkeit und Bürgerbeteiligung in Europa verhandeln.
Gerade die jetzt mit Pathos verkündete Pause sollte die Europäer besonders misstrauisch machen: Offenbar sind weitreichende rechtliche Einschränkungen für die Bürger zu befürchten. Sonst müsste die Kommission bei diesem Punkt nicht herumeiern: Hierzu braucht man keine teuren Berater auf Steuerzahler-Kosten. Man braucht nur Hausverstand, juristische Grundkenntnisse und etwas Charakter. Doch in dieser Hinsicht herrscht in Brüssel schon länger eine schmerzhafte Deflation.