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Merkel knickt ein: Defizit-Grenzen werden „flexibel“

CDU-Chefin Angela Merkel gibt dem Drängen der südlichen Euro-Staaten nach. Die Kanzlerin hält nicht mehr an der strengen Auslegung des Stabilitätspaktes fest. Künftig wird das Schuldenmachen in der Eurozone leichter.
23.06.2014 15:20
Lesezeit: 2 min

Die Bundesregierung ist bereit, Euro-Ländern gegebenenfalls mehr Zeit zur Konsolidierung ihrer Haushalte einzuräumen. Regierungssprecher Steffen Seibert verwies am Montag auf Spielräume in den 2011 unter dem Eindruck der Schuldenkrise geänderten Rahmenbedingungen. „Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sieht Möglichkeiten der flexiblen Anwendung für einzelne Fälle vor´“, sagte Seibert in Berlin. So könnte Staaten mit überhöhten Defiziten im Fall einer schlechten Entwicklung der Konjunktur mehr Zeit zum Abbau der Neuverschuldung gegeben werden. Auch könnten Strukturreformen bei der Haushaltsbewertung von Staaten berücksichtigt werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble machten bei einer Sitzung des CDU-Präsidiums nach Angaben von Teilnehmen allerdings klar, dass die Defizitregeln des Vertrages unverändert Geltung hätten und befolgt werden müssten. Eine Aufweichung werde es mit ihnen nicht geben. In einem Entwurf für den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel ist nach Angaben eines italienischen Regierungsbeamten von Maßnahmen für mehr Wachstum und Jobs die Rede, auf Basis einer „differenzierten Budgetkonsolidierung“ und im Rahmen der EU-Haushaltsregeln.

Führende Sozialisten und Sozialdemokraten in der EU, darunter Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, hatten am Wochenende gefordert, den Stabilitätspakt flexibler auszulegen. Damit wollen sie eine stärkere Förderung von Wachstum und Investitionen ermöglichen (mehr hier). Von verschiedener Seite, darunter der EZB und Politikern von CDU und CSU, wurde daraufhin vor einer Aufweichung der Regeln des Paktes gewarnt. Dies würde nur wiedergewonnenes Vertrauen kosten und Europa und dem Euro letztlich schaden.

Ob und wie bestimmte Investitionen und Reformen bei der Bewertung der Haushaltsentwicklung eines Euro-Staates berücksichtigt werden, ist Sache der EU-Kommission. Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums machte allerdings deutlich, ihr Haus lehne jegliche neue Ausnahmetatbestände ab. Dafür bestehe auch kein Anlass. Eine Unterscheidung in „positive“ und „negative“ Staatsausgaben gebe es im Pakt nicht.

Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle, nannte es in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung „brandgefährlich“, wenn vom Stabilisierungskurs in Europa abgewichen würde. „Nachhaltige Spielräume für Investitionen und Wachstumsimpulse können nur im Rahmen solider öffentlicher Haushalts entstehen“, hob er hervor.

Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt war im Vorfeld der Euro-Einführung vereinbart worden, um angesichts einer fehlenden gemeinsamen Finanzpolitik in Europa für Haushaltsdisziplin zu sorgen. 2005 war er nach Verletzungen der Stabilitätsregeln auch durch die EU-Kernländer Deutschland und Frankreich gelockert worden. 2011 hatten die Länder die Zügel dann wieder als Erfahrung aus der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum angezogen und das Instrumentarium erweitert.

Der Stabilitätspakt der EU von 1997 (genau: „Stabilitäts- und Wachstumspakt“) mit seinen Grenzen für die Haushaltsüberschuldung war notwendig geworden, nachdem Länder in den Euro aufgenommen werden sollten, die keine besondere Tradition in Haushaltsdisziplin hatten und bereits relativ hohe Schuldenlasten mit sich trugen.

Er hielt in seiner ursprünglichen Form nicht lange, weil nicht nur Griechenland und Italien – die notorischen Defizitsünder – sondern ausgerechnet auch Deutschland unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreich kurz nach Einführung des Euro beginnend in 2002 und 2003 die Latte des maximalen Haushaltsdefizits von 3 % der jährlichen Wirtschaftsleistung für einige Jahre rissen (mehr hier).

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