Politik

Geheim-Armee der Nato: Der lange Schatten von Junckers Vergangenheit

In Luxemburg wird der sogenannte Bombenleger-Prozess neu aufgerollt. Anders als bisher bekannt, waren die Täter von höchster Seite angestiftet worden. Im Zuge der Ermittlungen könnte auch der designierte Präsident der EU-Kommission unter Druck geraten: Er soll in seiner Amtszeit die Kontrolle über den Geheimdienst verloren haben. Die Geschichte dürfte zu einer schweren Belastung für die neue EU-Kommission werden.
06.07.2014 02:26
Lesezeit: 4 min

In den 80er Jahren verübte eine geheime Abteilung der Nato Bombenanschläge in Luxemburg. Die Aufklärung im „Bombenleger-Prozess“ wurde durch ranghohe Politiker und den Geheimdienst sabotiert.  Jean-Claude Juncker kostete die Affäre bereits den Posten als Premier. Verfolgt ihn der Skandal nun bis nach Brüssel?

Die „Bombenleger-Affäre“ in Luxemburg zieht immer größere Kreise und ist längst zu einer Staatskrise geworden. Der sogenannte Prozess gegen zwei ehemalige Polizisten wurde am Mittwoch ausgesetzt, nachdem klar wurde, dass die wahren Verantwortlichen der Bombenanschläge in sehr viel höheren Positionen zu suchen sind.

Deshalb wurde nun gegen sechs ehemalige Offiziere und Geheimdienstmitarbeiter Anklage erhoben, wie das Luxemburger Wort berichtet. Dabei soll es um die Verwicklung der Nato-Schattenarmee „Stay-Behind“ in die Bombenanschläge gehen. Auch die Rolle vom neuen EU-Kommissionspräsidenten und ehemaligen Premierministers von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, wird dabei erneut beleuchtet.

Das Großherzogtum Luxemburg wurde zwischen 1984 und 1986 von einer Terrorserie erschüttert. Zunächst ereigneten sich Bombenanschläge auf Strommasten des Energiekonzerns Cegedel. Später folgten Anschläge auf eine Polizeikaserne, ein Gerichtsgebäude, ein Gaswerk, das olympische Schwimmbad, die Redaktionsräume der Tageszeitung „Luxemburger Wort“ und auf den Flughafen Findel. Schließlich kam es sogar zu einem Attentatsversuch mit einer Handgranate bei einem Treffen der Europäischen Staats- und Regierungschefs.

Dahinter steckten luxemburgische Paramilitärs mit dem Codenamen „Plan“. Diese Geheimarmee der Nato hatte die Mission Operationen im Inland durchzuführen. Sie wäre im Falle einer feindlichen Invasion durch die Sowjetunion mit der Beschaffung und Übermittlung von Informationen, dem Ein- und Ausschleusen wichtiger Personen sowie Sabotage-Akten beauftragt worden. Doch zur Invasion kam es nie und die Schattenarmee verselbstständigte sich in Luxemburg.

Die Anschläge sollten dabei wohl eine „Strategie der Spannung“ erzeugen, um die eigene Bevölkerung für höhere Sicherheitsausgaben und restriktive Gesetze überzeugen, vermuten Nato-Experten wie der Schweizer Historiker Daniele Ganser. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) unterhielt Verbindungen zum luxemburgischen Stay-Behind-Netzwerk. Die deutschen Dienste hielten in den 80er Jahren gemeinsame Manöver mit den Luxemburgern ab, wie Telepolis berichtet und wie Gerichtsdokumente belegen. Die dabei durchgeführten „Techniken des Partisanenkrieges“ beinhalteten auch simulierte Bombenanschläge.

Der „Bombenleger-Prozess“ wurde von Anfang an von Ermittlungspannen und Sabotage begleitet. Im Laufe der Ermittlungen verschwanden 88 von 125 Beweisstücken spurlos, wie Telepolis berichtet. Erst verschwanden Fingerabdrücke, die zur Analyse an das deutsche BKA geschickt wurden. Dann gingen Beweisstücke auf dem Weg zum amerikanischen FBI verloren, und schließlich zerstörte ein Brand in einem Archiv wichtige Dokumente.

Auch ranghohe Politiker versuchten das Verfahren zu beeinflussen. Der Justizminister Luc Frieden setzte Richter und Staatsanwälte massiv unter Druck. Staatsanwalt Robert Biever warf dem Justizminister daraufhin illegale Einmischung in das Ermittlungsverfahren vor. Er beklagte in einem öffentlichen Schreiben an den Justizminister die „grassierende Amnesie“ unter den Polizisten im Zeugenstand. Je höher der Rang des Vernommenen, desto schlimmer sei der „Gedächtnisverlust“, so Biever.

Für den Staatsanwalt war bald klar, dass die beiden angeklagten Polizisten „wohl kaum die Strategen der Attentate“ seien. Er sei sich sicher, dass es in Luxemburg Menschen gibt, „die hohe Ämter bekleiden und genau wissen, wer was getan hat“. Auch wenn der Staatsanwalt es nicht explizit aussprach, so richtete sich sein Verdacht wohl auch gegen Premier Juncker und Justizminister Frieden.

Als sich die Ermittlungen „verstärkt in Richtung einer Insider-Spur innerhalb des Polizeiapparats entwickelten“, erhöhte der Justizminister den Druck und forderte sogar die Affäre auf sich beruhen zu lassen, wie L'Essentiel berichtet. Der Geheimdienst SREL versuchte den Staatsanwalt aus dem Verkehr zu ziehen. So sagte Biever auf einer Pressekonferenz, der SREL bringe das Gerücht in Umlauf, er sei im Besitz von Kinderpornografie. Eine entsprechende Akte wurde bereits zusammengestellt, berichtete das Luxemburger Wort. Man wollte den Staatsanwalt in eine Falle in Thailand locken und die Vorfälle dann öffentlich machen.

Spätestens an diesem Punkt entwickelte sich der „Bombenleger-Prozess“ zu einer Staatsaffäre bis in die höchsten politischen Kreise. Justizminister Frieden, Premierminister Juncker und Teile der großherzoglichen Familie wurden in den Zeugenstand geladen. Juncker spielte vor Gericht den Ahnungslosen. Die Kontrolle des Geheimdienstes sei nie seine Priorität gewesen.

„Das Dilemma, wie sich ein Geheimdienst kontrollieren lässt, dessen primäre Aufgabe es ist, im Geheimen zu arbeiten, hat noch kein Land gelöst. Ich kann es auch nicht“, so Juncker im Zeugenstand.

In Wahrheit wussten Juncker und sein Justizminister seit spätestens 2007 über die Hintergründe der Bombenanschläge bescheid, wie die Zeitung Journal berichtet. Geheimdienst-Chef Mille setzte den Premierminister persönlich darüber in Kenntnis und nahm das Gespräch mit einer präparierten Armbanduhr auf, wie Telepolis berichtet. Die Audiodatei spielte er später der Presse zu.

„Weder Juncker noch der Minister haben diese Informationen an die Justiz weitergegeben“, sagte Verteidiger Gaston Vogel. „Auch im luxemburgischen Recht heißt das ‚Nichtanzeige einer Straftat‘ und wird streng geahndet.“

Der Bericht der Untersuchungskommission wirft Juncker politisches Versagen auf der ganzen Linie vor. Juncker habe die Kontrolle über den Geheimdienst SREL komplett verloren. Dieser habe mehrere illegale Überwachungen ohne richterliche Erlaubnis durchgeführt, Erpressungen geplant und Ermittler, Anwälte und Richter unter Druck gesetzt. Statt den Geheimdienst zur Rechenschaft zu ziehen, versuchte Juncker seinen eigenen Vertrauten dort zu platzieren und so an Informationen zu gelangen. Es bestehe zudem der Verdacht gegen Juncker und Frieden, dass sie die Ermittlungen gezielt behindert hätten.

Sein Vorgänger Jaques Santer wusste ebenfalls von der Existenz der Geheimarmee. Der damalige Geheimdienst-Chef hatte 1985 anlässlich eines Stay-Behind-Manövers beim damaligen Premierminister und späteren EU-Kommissionspräsidenten um Erlaubnis gefragt. Santer genehmigte das Manöver, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht. Im Jahr 1990 gab Santer dann die Anordnung, die Stay-Behind-Truppe aufzulösen. Dennoch bestritt er später vor Gericht, je von der Nato-Schattenarmee gewusst zu haben.

Der Focus zitiert Juncker mit den Worten: „Nichts sollte in der Öffentlichkeit geschehen. Wir sollten in der Euro-Gruppe im Geheimen diskutieren.“ Es gelte die Devise: „Wenn es ernst wird, müssen wir lügen.“ Es sei deshalb geradezu ironisch, bemerkt der Focus, das ausgerechnet eine Geheimdienst-Affäre Juncker den Job gekostet habe. Jean-Claude Juncker wurde nach 18 Jahren an der Macht abgewählt. Doch er hat eine neue Rolle in Brüssel gefunden, diesmal als Präsident der EU-Kommission wie sein Vorbild Jacques Santer.

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