Politik

EU räumt ein: Bürgerinitiativen scheitern an der Bürokratie

Die EU-Kommission räumt erstmals ein, dass Bürgerinitiativen in der EU wegen zu viel Bürokratie grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind. Der Verein Democracy International spricht von einem wirkungslosen Beteiligungs-Placebo. Wirkliche Vorschläge, wie sich das ändern können, macht die EU-Kommission jedoch nicht.
02.04.2015 00:34
Lesezeit: 2 min

Mit der Europäischen Bürgerinitiative sollen die EU-Bürger „stärker an der Bestimmung der politischen Ziele der EU“ beteiligt werden, heißt es von Seiten der EU-Kommission. Die Bilanz der vergangenen drei Jahre zeigt jedoch, dass die Bürgerinitiative alles andere als optimal läuft. Dies geht auch aus einem aktuellen Bericht der EU-Kommission hervor: Der Kommission sei bewusst, „dass weiter Spielraum für Verbesserungen besteht“.

Unter anderem schildert die Kommission folgende Probleme:

- Fehlende Rechtspersönlichkeit der Bürgerausschüsse: Mehrere Ausschüsse haben       Bedenken in Bezug auf Haftungsfragen und bestehende Hindernisse (z. B. bei der         Mittelbeschaffung und dem Datenschutz) geäußert, die sich häufig aus der Tatsache     ergeben, dass sie in mindestens sieben verschiedenen Ländern präsent sein müssen.

- Registrierung: Diese bleibt für die Organisatoren ein großes Problem, da eine große Zahl der vorgeschlagenen Bürgerinitiativen offenkundig nicht in die Zuständigkeit der Kommission fällt.

- Anforderungen an die Unterzeichner: Die Unterschiede bei den Voraussetzungen und personenbezogenen Daten, die die Mitgliedstaaten von den Unterzeichnern verlangen, bereiten weiterhin Anlass zur Sorge, insbesondere wenn Bürger dadurch von ihrem Recht, eine Initiative zu unterstützen, ausgeschlossen sind.

- Einzuhaltende Fristen: Organisatoren haben darauf hingewiesen, dass sie aufgrund des Zeitbedarfs für die Einrichtung ihres Online-Sammelsystems in den meisten Fällen über weniger als 12 Monate verfügen, um Unterstützungsbekundungen zu sammeln. Auch das Fehlen einer Frist für die Vorlage einer erfolgreichen Bürgerinitiative bei der Kommission kann zu Verwirrung und Rechtsunsicherheit für die EU-Organe und die Öffentlichkeit führen.

- Die Überprüfung der von den Organisatoren gelieferten Übersetzungen der geplanten Initiativen hat sich als mühsamer Vorgang erwiesen. Die Organisatoren hatten Schwierigkeiten, die erforderliche Genauigkeit ihrer Übersetzungen zu gewährleisten, selbst nachdem sie die Bemerkungen der Kommission zur ersten Version erhalten hatten.

- Bei den beiden öffentlichen Anhörungen im Europäischen Parlament waren außer den EBI-Organisatoren selbst keine Interessenvertreter oder Sachverständigen zur aktiven Teilnahme eingeladen. Bei den öffentlichen Anhörungen sollte gewährleistet sein, dass Interessenträger mit verschiedenen Standpunkten und Perspektiven gehört werden.

- Einige EBI-Organisatoren beklagen einen unzureichenden Dialog und mangelnde Interaktion mit der Kommission in den verschiedenen EBI-Phasen, insbesondere nach Verabschiedung der Mitteilung der Kommission über die Bürgerinitiative. Sie wünschen sich einen stärker strukturierten Prüfungs- und Follow-up-Prozess und möchten umfassender einbezogen zu werden.

Seit April 2012 verzeichnete die Kommission 51 Anträge zur Registrierung als Europäische Bürgerinitiative. Nur 31 davon wurden tatsächlich registriert. „Sechs Bürgerausschüsse haben beschlossen, gegen die Entscheidung der Kommission, die Registrierung ihrer geplanten Initiativen abzulehnen, Klage beim Gerichtshof zu erheben“, so der Bericht. Dazu gehörte auch die Initiative „Stopp TTIP“.

Von den 31 erfolgreich registrierten Initiativen haben es nur drei geschafft, die notwendigen eine Million Unterschriften aus sieben EU-Ländern vor Ablauf der 1-Jahres-Frist einzusammeln. Eine von den 3 Initiativen wurde dennoch von der Kommission abgeschmettert: Die Initiative „Einer von uns“  forderte das Ende der Finanzierung von embryonaler Stammzellforschung. Die Begründung der Kommission:

„Wir haben uns mit der Bürger-Intitiative beschäftigt und ihr die nötige Aufmerksamkeit zukommen lassen. Dennoch sind sich die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament darin einig, dass die Forschung in diesem Bereich fortgesetzt wird.“

Die Initiative „Right 2 Water“ war ebenfalls der Kommission vorgelegt worden. Ein Gesetz, dass die Privatisierung der Wasserversorgung aufhält, wird es aber trotzdem nicht geben. Drei Initiativen laufen noch. Wie dringend das „Menschenrecht auf Wasser“ ist, zeigte sich zuletzt in Irland. Dort demonstrierte Ende des vergangenen Jahres tausende in Dublin gegen die Einführung von Wassergebühren. Bisher wurde die Wasserversorgung durch Steuern finanziert. Mit den neuen Gebühren wird ein Durchschnittshaushalt wahrscheinlich zwischen 200 und 400 Euro im Jahr bezahlen müssen.

„Für eine Bewertung der langfristigen Auswirkungen der EBI auf die institutionellen und legislativen Verfahren der EU ist es noch zu früh“, so der Bericht der EU-Kommission. Sie werde „ihr Monitoring fortsetzen und u. a. die oben genannten Fragen zur EBI in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den verschiedenen Interessenträgern und Organen erörtern, um das Instrument weiter zu verbessern.“

Der Verein Democracy International zieht eine härtere Bilanz. „In den letzten drei Jahren ist die Europäische Bürgerinitiative leider zu einem wirkungslosen Beteiligungs-Placebo verkümmert“, sagt Gerald Häfner, Vorstandsmitglied von Democracy International. „Keine der 51 lancierten Initiativen hat es geschafft, EU-Gesetz zu werden.“ Die Hürden dafür seien einfach zu hoch.

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