Politik

USA und Russland bereiten sich auf neue Eskalation in der Ukraine vor

Die Waffenruhe in der Ost-Ukraine ist trügerisch: Offenbar bereiten sich Russen und Amerikaner auf neue militärische Aktionen vor. Die US-Regierung will das Thema am Köcheln halten, um die EU beim TTIP unter Druck zu setzen. Die USA sind im Energie-Krieg unter Zugzwang geraten, seit Moskau bekanntgegeben hat, sein Erdgas ab 2019 nicht mehr über die Ukraine leiten zu wollen. Der nächste militärische Zwischenfall scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
25.04.2015 02:45
Lesezeit: 3 min

Während sich die Kriegsparteien in der Ost-Ukraine einigermaßen an die Vereinbarungen von Minsk halten, laufen im Hintergrund unübersehbar die Vorbereitungen für eine neue Eskalation. Die FT schreibt bereits von einem „Krieg der Worte“. Ein solcher Propaganda-Krieg geht naturgemäß jeder Zuspitzung voraus. Die US-Regierung ist zwar erst kürzlich wegen offenkundiger Falschinformationen in die Kritik von Frankreich und Deutschland geraten. Doch dies hindert die US-Vertreter nicht, den eingeschlagenen Kurs beizubehalten. Der US-Abgesandte Geoffrey Pyatt twittert geradezu manisch über stündlich neue Bedrohungen. Zuletzt schrieb er, dass die Russen neue BUK-Flugabwehrsysteme im Donbass stationiert hätten und illustrierte seinen Tweet mit einem alten BUK-Foto von einer russischen Waffenschau. Moskau quittierte die Anschuldigung mit Spott: Ein Kreml-Sprecher sagte laut RT, es sei nicht nötig, Flugabwehrraketen in der Ukraine zu stationieren, da jedermann wisse, dass die ukrainische Armee über keine einsatzfähigen Kampfflieger mehr verfüge.

Eine andere Bewegung registrieren die Russen dagegen mit Argwohn: So sollen US-Ausbildner im Donbass gesichtet worden sein, berichtet der Staatssender RT. Dies würde die Lage beträchtlich verschärfen. Denn obwohl die US-Armee auch die gefürchteten rechtsradikalen Milizen ausbildet, haben sich die Russen bisher still verhalten. Sie hatten gehofft, dass die Präsenz auf die West-Ukraine beschränkt bleibt. Man kann davon ausgehen, dass die Russen der Entwicklung eines neuen Bedrohungsszenarios nicht tatenlos zusehen werden.

Die Beobachtungen des US-Außenministeriums dürften daher nicht ganz von der Hand zu weisen sein: Auch wenn Washington keine Belege vorlegen kann, so meldet die Sprecherin Marie Harf, es gäbe eine neue Ansammlung von russischen Truppen an der Grenze sowie „komplexe“ Militärübungen im Donbass, bei denen kein Zweifel bestehe, dass die russische Armee involviert sei.

Tatsächlich hat die US-Regierung das größere Interesse, die Krise in der Ukraine am Köcheln zu halten. Nach der Beteiligung am Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch, die durch ein Telefonat der US-Beauftragten Victoria Nuland mit dem heute immer noch eifrig twitternden Pyatt aufgeflogen war, wollen die Amerikaner die Ukraine nutzen, um der EU ihre Abhängigkeit von Russland im Energie-Sektor vor Augen zu führen.

Die Amerikaner wollen Russland den Absatzmarkt Europa abjagen. Die Russen haben mit ihrem Vorhaben, ihr Erdgas künftig über die Türkei nach Europa zu transportieren, die Pläne der USA durchkreuzt. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, bei der die Russen von stabilen Verhältnissen stärker profitieren als die USA. Gelingt es ihnen, die Pipeline „Turkish Stream“ rasch zu bauen, ist die Ukraine als Transit-Land für Erdgas mit einem Schlag bedeutungslos. Die Amerikaner kämpfen mit den Problemen beim Fracking, das eigentlich ihr Exportschlager werden sollte. Doch die Produktion ist teuer und nur mit Subventionen aus Steuergeldern möglich. Der niedrige Ölpreis setzt die neue Industrie zusätzlich unter Druck.

Daher versucht Washington, mit dem Freihandelsabkommen TTIP einen unumstößlichen Pflock einzuschlagen. In dieser Woche veranstaltete das Atlantic Council eine Tagung zum TTIP, in der erstmals der Zusammenhang von Ukraine-Krise und dem TTIP offen angesprochen wurde: „Wir haben die Chance, die globalen Handelsregeln auf Jahrzehnte zu gestalten und zu verbessern“, sagte Außenminister John Kerry am Donnerstag bei einer Konferenz der Denkfabrik in Washington. Der Wirtschaftsberater von Präsident Barack Obama, Jason Furman, spornte Europa zu höherem Tempo beim TTIP an: „Wir sind bereit, den Vertrag so schnell wie möglich in eine endgültig vereinbarte Fassung zu bringen“, sagte er in einem DLF-Interview. Die Angst der Europäer, von russischen Gas abgeschnitten zu werden, dient als Kulisse für die Forcierung eines transatlantischen Wirtschaftsraums, dessen Bedeutung natürlich entsprechend ideologisch verbrämt wird.

Der Atlantic Council selbst sprach von „einer für diese Generation einmaligen Gelegenheit, amerikanische Bündnisse und gemeinsame Normen und Werte weltweit zu stärken“. Die dpa analysiert, dass die Bemühungen der Amerikaner darauf abzielen, dass „der alte Kontinent günstiges Flüssiggas bekommen“ soll, „um unabhängiger von Russland zu werden, ohne die heikle Fracking-Methode breit anwenden zu müssen“.

Wie die „Werte“ aussehen, für die die US-Lobbyisten trommeln, zeigt sich auf der Website des Atlantic Council: Hier wird Russland unter Putin als ein Staat auf dem Weg in den Faschismus beschrieben: „Wenn wir Putins System faschistisch nennen, wird dies zu einem Durchbruch der Konzepte des Westens gegenüber Russland führen“, schreibt Alexander Motyl, Politologe von der Ruttgers-Universität in Newark. Motyl räumt allerdings ein, dass die Brandmarkung Russlands „als böser Staat“ nicht ganz so schnell auch die Welt im Realen verändern werde. Daher sei es bis zu diesem Zeitpunkt nötig, „wirtschaftliche und militärische Unterstützung für die Ukraine und ihre Nachbarn“ zu leisten, um „den russischen Imperialismus einzudämmen“.

Dies funktioniert auch schon ohne TTIP ganz gut: Frankreich hat gerade Hubschrauber an Polen verkauft, um den geplatzten Mistral-Deal zu kompensieren. Auch die ukrainische Nachrichtenagentur Unian hat gute Nachrichten für den von den Russland-Sanktionen geplagten Airbus-Konzern aufzumuntern: Die Ukraine ist zwar faktisch pleite, wird jedoch H125-Hubschrauber und technische Anlagen von Frankreich bekomen.

Die Logik ist klar: Was tut man nicht alles, um den Faschismus abzuwehren. Bezahlt werden diese Waffenlieferungen im wesentlichen von den amerikanischen und europäischen Steuerzahlern: Polen ist ein Netto-Empfänger-Land der EU und erhält noch erkleckliche Beträge aus den sogenannten „Kohäsions-Fonds“, einer Art „Morgengabe“ für neue EU-Mitglieder. Die Ukraine wird von einem IWF-Kredit über Wasser gehalten: Die jüngste Milliarden-Tranche hat die Währungsreserven Kiews verdoppelt, wie Bloomberg berichtet. Damit wird die Ukraine in die Lage versetzt, erhebliche Waffenkäufe zu tätigen.

Wer am Ende den nächsten militärischen „Zwischenfall“ auslöst, ist in diesem Szenario fast unerheblich: Im „Krieg der Worte“ existieren von jedem unangenehmen Ereignis stets zwei Versionen. Urheber für Verbrechen werden in der Regel nicht ausgeforscht, wie der Abschuss der Passagiermaschine MH17 oder der Scharfschützen-Einsatz am Madian gezeigt haben. Im Krieg um die Ressourcen in einer vernetzten Welt profitiert der lange Arm der Lobby-Gruppen vom kurzen Gedächtnis der erstaunlich unaufgeklärten, konsumgetriebenen Medien-Gesellschaften in Ost und West.

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