Sepp Blatter im Wortlaut zum neuen Fifa-Skandal:
"Dies ist eine schwierige Zeit für den Fussball, die Fans und die FIFA als Organisation. Wir haben Verständnis für die Enttäuschung, die von vielen Seiten ausgedrückt wurde, und mir ist klar, dass sich die heutigen Ereignisse darauf auswirken, wie wir von vielen Seiten gesehen werden.
So unglücklich sich diese Ereignisse auch darstellen, muss klargestellt werden, dass wir die Handlungsweise und die Untersuchungen der U.S.-amerikanischen und der schweizerischen Behörden begrüßen und überzeugt sind, dass sie zur Durchsetzung der Maßnahmen beitragen, die die FIFA selbst bereits getroffen hat, um jegliches Fehlverhalten im Fussball auszumerzen.
Viele sind vom Tempo der Veränderungen enttäuscht, doch ich möchte die Maßnahmen unterstreichen, die wir getroffen haben und weiterhin treffen werden. Die heutige Aktion der Schweizerischen Bundesanwaltschaft wurde in Gang gesetzt, als wir selbst Ende des vergangenen Jahres ein Dossier an die schweizerischen Behörden übergeben haben.
Lassen Sie mich Folgendes klarstellen: Derartiges Fehlverhalten hat im Fussball keinen Platz. Wir werden dafür sorgen, dass alle daran beteiligten Personen aus dem Fussball entfernt werden. Im Anschluss an die heutigen Ereignisse hat die Unabhängige Ethik-Kommission, die selbst mitten in Ermittlungen in Bezug auf die Vergabe der FIFA Fussball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 steckt, sofort reagiert und die von den Behörden benannten Personen provisorisch von der Teilnahme an jeglichen Fussballtätigkeiten auf nationaler und internationaler Ebene ausgeschlossen. Diese Maßnahmen erfolgen zusätzlich zu vergleichbaren Schritten, die die FIFA bereits im vergangenen Jahr unternommen hat, um diejenigen Personen auszuschließen, die unseren eigenen Ethikkodex verletzen.
Wir werden auch weiterhin mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten und auch innerhalb der FIFA energisch weiter dafür arbeiten, jegliches Fehlverhalten auszumerzen, Ihr Vertrauen zurückzugewinnen und sicherzustellen, dass der Fussball weltweit frei von Fehlverhalten ist."
Die FIFA steht unmittelbar vor ihrem Wahlkongress vor der größten Zerreißprobe ihrer Geschichte - und plötzlich scheint sogar die Position von Joseph Blatter als FIFA-Chef nicht mehr unantastbar. Nach einem dramatischen Tag in Zürich mit mehreren Festnahmen und Durchsuchungen in der Zentrale des Fußball-Weltverbandes wurden am Mittwochabend elf aktuelle oder ehemalige Funktionäre provisorisch gesperrt - unter ihnen auch die Blatter-Stellvertreter Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo, die zuvor von den Schweizer Behörden auf Antrag der US-Justiz in Abschiebehaft genommen worden waren.
Während die Gegner des FIFA-Chefs aus der UEFA nach einer Sondersitzung in Warschau eine Verschiebung des FIFA-Kongresses forderten, verteidigte Blatter in einem schriftlichen Statement sein Krisenmanagement. Eine Absage der Präsidentschaftswahlen am Freitag, bei der er für eine fünfte Amtszeit gewählt werden will, sind für den 79-Jährigen keine Option.
Seine europäischen Gegner haben die unverhoffte Gunst der Stunde offenbar erkannt und proben den Aufstand. Der Kongress samt Wahlen müsse um sechs Monate verschoben werden, hieß es in einem Statement unter der Überschrift «UEFA zeigt dieser FIFA die Rote Karte». Es käme auch ein Boykott infrage. «Beim anstehenden FIFA-Kongress besteht die Gefahr einer Farce. Deshalb werden sich die europäischen Verbände genau überlegen müssen, ob sie überhaupt am Kongress teilnehmen sollen, um ein System zu verwarnen, welches - insofern es nicht gestoppt wird - den Fußball letztendlich töten wird», hieß es in einer Pressemitteilung. Solch scharfe Töne sind einmalig in der einst auf Harmonie gebauten Funktionärswelt.
Im Morgengrauen hatten Schweizer Sicherheitsbehörden unabhängig voneinander an zwei Orten in Zürich Ermittlungen wegen möglicher Vergehen innerhalb des FIFA-Apparats vorangetrieben. Und erneut kamen Beschuldigte aus dem engsten Machtzirkel um Blatter.
Im Hotel Baur au Lac wurden unter anderem Webb (Kaymaninseln) und Figueredo (Uruguay) neben fünf weiteren Spitzenfunktionären festgenommen. Gegen die drohende Abschiebung in die USA legten sechs der sieben Festgenommenen noch am Mittwoch Rechtsmittel ein, was zumindest aufschiebende Wirkung hat.
Ihnen werden organisiertes Verbrechen und Korruption vorgeworfen. Als Höchststrafe drohen in den USA 20 Jahre Haft. Insgesamt ermittelt das US-Justizministerium, das die Schweizer Behörden um Amtshilfe ersucht hatte, gegen 14 Personen. Sie sollen seit Anfang der 90er Jahre Schmiergelder von mehr als 150 Millionen Dollar von Vermarktern für die Vergabe von Fußballturnieren erhalten haben. 110 Millionen Dollar sollen allein für Vermarktungsrechte für die Copa America 2016 in den USA geflossen sein. Bestechungsgelder sollen auch vor der WM-Vergabe an Südafrika 2010 gezahlt worden sein. Die WM 2006 in Deutschland wird in dem Bericht des US-Justizministeriums nicht erwähnt.
«Sie haben das weltweite Fußballgeschäft korrumpiert, um sich selbst zu bereichern», sagte US-Justizministerin Loretta Lynch am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in New York. «Sie haben es immer und immer wieder gemacht. Jahr um Jahr, Turnier um Turnier.»
Unabhängig von den US-Ermittlungen stellten Schweizer Behörden in der FIFA-Zentrale elektronische Daten und Dokumente sicher. Die zuständige Bundesstaatsanwaltschaft eröffnete ein Strafverfahren im Zusammenhang mit den WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022. Nach Behördenangaben geht es um den Verdacht der Geldwäscherei. Bis zu zehn an der WM-Vergabe beteiligte Mitglieder des Exekutivkomitees sollen noch verhört werden.
Russland sieht sich als Gastgeber 2018 nicht belastet. Die betroffenen Funktionäre hätten «keine Beziehung» zu dem Turnier, sagte Sportminister Witali Mutko laut Agentur Interfax. Russland sei zur Zusammenarbeit mit den Behörden bereit. «Wir haben nichts zu verbergen.» Auch bei der FIFA gibt es keine WM-Zweifel.
Die WM-Ermittlungen gehen auf eine Strafanzeige der FIFA vom 18. November 2014 zurück. «Das Timing ist nicht das beste», räumte FIFA-Kommunikationschef Walter de Gregorio ein. Das Verfahren sei aber gut für die FIFA im Sinne der Transparenz. «Solch ein Fehlverhalten hat kein Platz im Fußball», sagte Blatter.
Der Kongress des Dachverbandes und die Wahl seines Präsidenten mit Blatter und seinem einzigen noch verbliebenen Herausforderer Prinz Ali bin al-Hussein soll durchgeführt werden. Ein Rücktritt Blatters sei kein Thema. «Warum soll er zurücktreten? Er wird nicht verdächtigt», sagte de Gregorio.
Aus dem Hauptquartier berichteten FIFA-Mitarbeiter von einer «extrem angespannten Stimmung». Blatter sagte alle seine Termine des Tages ab. «Er tanzt natürlich nicht in seinem Büro», sagte de Gregorio. Auch bei einer Sitzung des südamerikanischen Verbandes CONMEBOL - aus dem mehrere Beschuldigte stammen - soll es eisig zugegangen sein. In dem Blatter freundlich gesonnenen Gremium gab es kritische Stimmen.
Herausforderer Al-Hussein forderte natürlich auch aus eigenem Interesse einen generellen Wandel: «Wir können so nicht weitermachen. Die Krise dauert an und ist nicht nur an die heutigen Ereignisse geknüpft. Die FIFA braucht eine Führung, die regiert, führt und unsere Verbände schützt.»
Der als FIFA-Kritiker bekannte Ligapräsident Reinhard Rauball forderte den Rücktritt Blatters: «Sepp Blatter - obgleich offensichtlich persönlich nicht betroffen - sollte dem Fußball einen großen Dienst erweisen. So kann es nicht weitergehen.»
Unter den insgesamt 14 Verdächtigen ist auch der frühere FIFA-Vizepräsident Jack Warner aus Trinidad und Tobago. Warner beteuerte indes in einer Stellungnahme seine Unschuld. Sein Name taucht im US-Bericht aber auch im Zusammenhang mit der WM 2010 auf. In den USA laufen seit längerem Untersuchungen des FBI gegen ihn und den ehemaligen US-Verbandschef Chuck Blazer. Beide wurden von der FIFA auch vorläufig gesperrt, obwohl sie lange kein Amt mehr ausüben.
Wie das US-Justizministerium erklärte, sollte am Mittwoch in Miami auch das Hauptquartier des nord- und mittelamerikanischen Dachverbandes CONCACAF durchsucht werden. Korruption sei weit verbreitet, systematisch und tief verwurzelt sowohl in den USA als auch im Ausland, erklärte Lynch. Bei der Beurteilung der WM-Vergabe 2018 und 2022 müsse die FIFA «tief in ihre Seele blicken».