Politik

Machtfülle des Präsidenten gefährdet Demokratie in den USA

Die amerikanischen Präsidenten regieren mit einer chronischen Überschreitung ihrer Kompetenzen. Einer der Gründe: Das amerikanische Volk hat unrealistische Erwartungen. Mit diesen treiben sie ihre Präsidenten zu immer neuen, autoritären Aktionen. Die US-Verfassung hatte ganz anderes im Sinn.
01.06.2015 02:46
Lesezeit: 3 min

Der amerikanische Politologe Gene Healy hat ein äußerst lesenswertes Buch über die Fehlentwicklungen des amerikanischen politischen Systems geschrieben. Healy, der auch Fellow des Cato-Instituts ist, sieht das größte Problem in der nicht von der Verfassung gedeckten Machtfülle der US-Präsidenten. Er weist nach, wie diese Entwicklung zu einem unkontrollierten Präsidentschafts-Apparat geführt hat, mit dem der Präsident in den USA die Demokratie ruiniert und den Weltfrieden gefährdet.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie hat sich die Rolle des amerikanischen Präsidenten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verändert?

Gene Healy: Der größte Teil der amerikanischen Verfassung hat an eine sehr begrenzte Rolle des Präsidenten gedacht. Den Gründervätern schwebte ein Amt vor, dessen Aufgabe es wäre, dafür zu sorgen, dass die Gesetze der Vereinigten Staaten nach Treu und Glauben umgesetzt würden. Die Gründerväter hatten vor allem Sorge, dass der Kongress sich als eine zu mächtige Einrichtung herausstellen könnte. Sie fürchteten, dass der Kongress die Exekutive dominieren würde. 100 Jahre später erweist sich diese Furcht als unbegründet. Die Exekutive, also der Machtbereich des Präsidenten, beschäftigt über 2 Millionen Angestellte, und das Präsidentenamt hat sich Kompetenzen angemaßt, die für dieses Amt nie vorgesehen gewesen sind.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Eigentlich sind die Kultur der USA und die Verfassung auf das Prinzip von Recht und Gesetz gegründet. Wie konnte es geschehen, dass diese traditionellen Werte so deutlich verletzt wurden?

Gene Healy: Dies hängt zu einem gewissen Maß damit zusammen, dass das amerikanische Volk von den Präsidenten erwartet, dass sie Dinge tun, die außerhalb ihrer Kompetenz liegen. Sie sollten uns vor wirtschaftlichen Problemen schützen. Sie sollten einen fast perfekten Schutz vor Bedrohungen durch Terrorismus sicherstellen. Das Ergebnis ist, dass diese Forderungen der Öffentlichkeit die Präsidenten ermuntern, ihre gesetzlichen Grenzen innen- und außenpolitisch zu überschreiten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum sind endlich beide großen Parteien, Demokraten und Republikaner, im wesentlichen einer Meinung, wenn es um den Krieg gegen Dritte geht?

Gene Healy: Niemand von uns hat erwartet, welche Rolle Präsident Obama spielen würde. Er hat für das Amt kandidiert als ein ausdrücklicher Kritiker der Exzesse aus den Jahren von Bush. Obama selbst hat jedoch sechsmal so viel Drohnenangriffe als George W. Bush durchführen lassen. Er hat die Exekution eines amerikanischen Bürgers per Fernsteuerung angeordnet. Er hat drakonische Überwachungsmaßnahmen in Inland angeordnet, welche mit einer geheimen Interpretation des Patriot Act begründet wurden. Und er hat zwei nicht erklärte Kriege gestartet. Aber das ist nun alles geschehen. Warum sich die beiden Parteien in der Frage der Kriegsführung so wenig unterscheiden, ist eine komplizierte Frage. Ein Teil davon hat sicher mit Innenpolitik zu tun. Ein Präsident läuft Gefahr, Stimmen zu verlieren, wenn er nicht nachweisen kann, dass er alle Machtbefugnisse ausgeschöpft hat, um die unrealistische öffentliche Erwartung zu erfüllen, das Land vor jeglichem Terror beschützen zu können. Ein anderer Teil hat damit zu tun, dass die Geheimdienste immer stärker autonom agieren.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Als Nachfolger Obama stehen nun Hillary Clinton und Jeff Bush zur Verfügung, zwei Kandidaten, die im Grunde dafür stehen, dass alles bleibt wie es ist. Gibt es keine Alternativen?

Gene Healy: Es ist noch zu früh um vorherzusagen, wie es sich entwickelt. Aber eines steht fest: Seit 1980 hat bis auf zwei Wahlen entweder ein Bush oder Clinton von den Parteien immer ein Ticket für die Präsidentschaft bekommen. Wenn Clinton oder Bush gewinnen, dann haben die beiden Familien sich acht von zehn Präsidentschaften untereinander aufgeteilt. Es ist eigentlich schwer zu glauben, dass ein Land mit über 300 Millionen Einwohnern nicht in der Lage ist, mehr talentierte Politiker hervorzubringen. Wenn es eine positive Sicht eines möglichen Rennens Clinton gegen Bush gibt, dann ist jene: Vielleicht erkennen die Amerikaner, dass man Hoffnung und Wandel in naher Zukunft nicht vom amerikanischen Präsidenten erwarten sollte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sehen Sie eigentlich eine Basisbewegung in den USA, die sich für Menschenrechte, Recht und Gesetz einsetzt, und hätte eine solche Bewegung eine Chance?

Gene Healy: Was die Bürgerbewegungen anlangt, sieht man eine Menge Unzufriedenheit auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Sie haben auf der einen Seite die Tea Party, auf seiner Seite Occupy Wall Street. In einigen Fällen, wie etwa der Entkriminalisierung der Drogen, der Gefängnispolitik und der Überwachung gibt es Allianzen, die sich auf der Ebene der Bundesstaaten zusammenschließen und eine Rolle spielen. Aber auf der Ebene des Präsidenten hat die Unzufriedenheit der Bevölkerung noch nicht zu einem Wandel in der Politik geführt.

Gene Healy, "The Cult of the Presidency. America's Dangerous Devotion to Executive Power", Cato Institute, Washington 2008, 383 Seiten, 15,12€

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