Für Griechenland steigen die Chancen auf Verhandlungen über ein neues Kredit- und Austeritätspaket. Die Reformvorschläge von Ministerpräsident Alexis Tsipras wurden EU-Kreisen zufolge von den Gläubiger-Institutionen EU-Kommission, EZB und IWF in einer ersten Reaktion positiv bewertet. Das berichten übereinstimmend die Nachrichtenagenturen Reuters, AFP und dpa. Zudem stimmte in der Nacht zum Samstag das griechische Parlament mit klarer Mehrheit für die Pläne, mit denen Tsipras eine Staatspleite und einen Abschied aus der Euro-Zone in letzter Minute abwenden will. Allerdings war der Regierungschef auf eine breite Unterstützung aus der Opposition angewiesen, denn eine Reihe von Abgeordneten seiner eigenen Partei verweigerte ihm die Gefolgschaft. Die Finanzminister der Euro-Länder (Eurogruppe) wollen am Samstagnachmittag auf Basis der Einschätzung der Institutionen beraten, ob die griechischen Vorschläge ausreichen, um über ein neues Paket im Rahmen des Rettungsfonds ESM zu verhandeln. Für Sonntag ist ein EU-Sondergipfel geplant.
Eine Person aus dem Umfeld der Finanzminister sagte Reuters, es sei "zu 100 Prozent sicher", dass sich die Eurogruppe für Verhandlungen über weitere Milliarden-Zahlungen aussprechen werde. Thema der Gespräche werde auch eine Brückenfinanzierung für die Zeit sein, solange das Programm noch nicht verhandelt sei.
Die Bundesregierung hielt sich mit einer Bewertung allerdings noch zurück. Neben anderen Parlamenten in der EU müsste auch der Bundestag grünes Licht für Verhandlungen über ein drittes Rettungspaket geben.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte sich bisher gegen neue Kredite ausgesprochen. In der Bild-Zeitung spotten anonyme Beamte aus dem Ministerium, das Papier aus Griechenland sei ein Witz und stützen damit die Blattlinie, bei der es heißt "Tsipras lacht - und wir zahlen, zahlen, zahlen..." Die Bild-Zeitung gilt als Schäuble-Unterstützer und hat in den vergangenen Monaten auffällig stark gegen Angela Merkel geschossen. Ihre Kampagnen spielen in der politischen Blase in Berlin immer noch eine wichtige Rolle. Die Deutschen selbst denken mittlerweile in der Regel das Gegenteil dessen, was die Zeitung ihnen glauben machen möchte.
Angela Merkel ihrerseits ist unter massiven Druck aus Washington geraten: Die Amerikaner haben völlig zu Recht erkannt, dass die EU jetzt nicht einfach Griechenland fallen lassen kann, weil eine humanitäre Katastrophe droht. Merkel selbst laviert und hofft, von ihrer Freundin Christine Lagarde einen Entscheidungs-Bailout zu bekommen. Dies Hoffnung ist nicht sehrt realistisch: Lagarde ist selbst in Washington massiv in der Kritik, weil sie den IWF in eine historisch schwierige Situation gebracht hat.
Es ist unwahrscheinlich, dass sich Merkel gegen den allgemeinen Konsens stellen wird: Es wäre das erste Mal, dass die Kanzlerin eine Entscheidung aus Überzeugung trifft. Bisher waren ihre Entscheidungen stets die Summe aller Strömungen, die sie nachvollziehen konnte und für mehrheitsfähig hält.
Die zweite Unbekannte ist Griechenland: In Athen demonstrierten Tausende Menschen gegen die angestrebte Vereinbarung mit den Geldgebern. In Sprechchören und auf Spruchbändern wurden Parolen laut wie "Griechenland ist keine Kolonie" und "Nein, kippt das Abkommen". Die vom Parlament gebilligten Sparpläne ähneln jüngsten Vorschlägen der Gläubiger, denen die Griechen am vergangenen Sonntag in einem von Tsipras hastig anberaumten Referendum noch eine klare Absage erteilt hatten.
Nach einer hitzigen Debatte im Parlament in Athen stellten sich 251 der 300 Abgeordneten hinter die Reformagenda. Zehn der insgesamt 149 Abgeordneten von Tsipras' linker Syriza-Partei stimmten gegen die Pläne oder enthielten sich, sieben Syriza-Parlamentarier waren nicht zum Votum erschienen.
Tsipras mahnte eine rasche Einigung mit den Gläubigern an. "Priorität hat jetzt, in den Verhandlungen zu einem positiven Ergebnis zu kommen", sagte er. "Alles andere zu seiner Zeit." Der Ministerpräsident braucht das Mandat der Volksvertretung, um mit den Gläubigern über erste Reformschritte zu verhandeln.
Einige Vertreter der äußersten Linken der Regierungspartei erklärten, ein Euro-Austritt sei einem Sparpaket vorzuziehen, das keinen Schuldenerlass vorsehe. "Die Vorschläge sind nicht vereinbar mit dem Syriza-Programm", kritisierte Energieminister Panagiotis Lafazanis vor der Abstimmung im Reuters-Gespräch.
Die Vorschläge der griechischen Regierung für Mehreinnahmen und Einsparungen waren bereits am Freitag in der Euro-Zone als Signal einer Annäherung gewertet worden. Frankreichs Präsident Francois Hollande sprach von ernsthaften und glaubwürdigen Vorschlägen, Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem von einem sorgfältigen Text.
Mit Steuererhöhungen und der Erhöhung des Rentenalters will Griechenland die Gläubiger zu weiteren Milliarden-Krediten bewegen. Pünktlich vor Ablauf eines Ultimatums hatte die Regierung in Athen am Donnerstagabend ihre Pläne an die Troika geschickt. Vorgesehen ist demnach etwa, Reeder höher zu belasten und Steuervergünstigungen für Inseln zu streichen. Im Gegenzug verlangt Griechenland 53,5 Milliarden Euro an Krediten, um bis 2018 seine Schulden bedienen zu können. Nach Schätzung der Institutionen braucht die Regierung in Athen etwa 74 Milliarden Euro, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen.
Für alle nüchternen Beobachter ist klar, dass dieses Programm noch viel teurer wird und trotzdem wirkungslos ist. Es wird der Wirtschaft weiteren, massiven Schaden zufügen: In einer Depression kann man die Steuern nicht erhöhen. Im Zustand einer latenten Banken-Panik kann man nicht über Excel-Charts für 2018 diskutieren.
Für das hoch verschuldete Land wurden seit 2010 bereits zwei "Rettungspakete" im Volumen von 240 Milliarden Euro geschnürt. Sie haben das Gegenteil einer Rettung bewirkt. Die Austeritätsmaßnahmen sollen die Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen und den Haushalt sanieren. Das Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen Jahren um ein Viertel eingebrochen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 25 Prozent.
Griechenland muss am 20. Juli 3,5 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen, die es ohne neue Kredite wohl nicht aufbringen kann. Bleibt die Zahlung aus, könnten spätestens dann die Nothilfen für die griechischen Banken gestoppt werden. Die Geldinstitute sind aus Furcht vor einem Kundenansturm bereits seit Ende Juni geschlossen.