Politik

TTIP unsicher: Nationale Parlamente können nicht umgangen werden

Eine neue Studie zeigt, dass das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP vermutlich nicht ohne die Parlamente in den EU-Staaten geschlossen werden kann. In diesem Fall könnte das ganze Abkommen in Frage gestellt werden.
25.07.2015 22:10
Lesezeit: 2 min

Eine von der Kampagne Stop TTIP beim Institut für Völkerrecht in Köln in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis: Das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP ist demnach ein sogenanntes gemischtes Abkommen, welches die Zustimmung der nationalen Parlamente zu erfordern scheint. In allen EU-Mitgliedstaaten bis auf Malta müssten die Parlamente zustimmen und könnten demnach TTIP und CETA zu Fall bringen.

In der Hälfte aller EU-Mitgliedstaaten wären Volksabstimmungen möglich. Ob CETA und TTIP wie geplant ratifiziert werden können, ist demnach offenbar wesentlich unsicherer als die Befürworter es darstellen. Bisher hatte sich die EU wie bei CETA, dem Abkommen mit Kanada, auf den Standpunkt gestellt, das Abkommen sei einer reines EU-Abkommen. Als ein solches wäre es nur vom Rat zu beschließen, die parlamentarische Zustimmung würde durch das EU-Parlament erfolgen.

Völkerrechtliche Verträge wie die Handels- und Investitionsschutzabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) können auf verschiedene Weise ratifiziert werden: Ein reines EU-Abkommen („EU only“) würde die Mitgliedstaaten nur über den Europäischen Rat beteiligen und lediglich die Zustimmung des Europäischen Parlamentes erfordern. Ein „gemischtes Abkommen“ hingegen müsste zusätzlich (mindestens in Teilen) von den Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten verabschiedet werden. Nötig wird die Beteiligung der einzelnen Mitgliedsländer, wenn ein Abkommen Themen beinhaltet, für die die EU keine eigene Zuständigkeit besitzt. Sie ist dann auf die Mitgliedstaaten angewiesen, damit die Verpflichtungen aus diesen Abkommen eingehalten werden. Im Fall einer solchen “Kompetenzlücke” schließen die EU und die Mitgliedstaaten gemeinsam das Abkommen mit dem Vertragspartner.

Es kann davon ausgegangen werden, dass TTIP, wahrscheinlich auch CETA, gemischte Abkommen sind: Laut EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sind CETA und TTIP „ziemlich wahrscheinlich“ gemischte Abkommen. Der EU-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero ist der Auffassung, dass manche Elemente von TTIP über die europäische Kompetenz hinausgingen und deswegen einer Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten bedürften. Auch die Bundesregierung geht davon aus, dass es sich um gemischte Abkommen handelt.

Vor diesem Hintergrund hat Anna Eschbach vom Institut für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität Köln die Ratifizierungsprozesse in den einzelnen Mitgliedstaaten untersucht. Eschbach unterscheidet in ihrer Untersuchung zwischen der formalen Ratifizierung und dem sogenannten Zustimmungsverfahren. Dieses ist entscheidend, wenn mehrstufige Verfahren für das rechtswirksame Zustandekommen von Gesetzen erforderlich sind. Eschbach übernimmt als Arbeitshypothese das Gutachten, welches Prof. Dr. Franz C. Mayer im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums für das CETA-Abkommen erstellt hat. Mayers Ergebnis: CETA muss als gemischtes Abkommen geschlossen werden. Da TTIP noch weit umfangreicher ist kann man davon ausgehen, dass dies auch für TTIP gilt.

Die Situation in den Staaten im einzelnen:

▪ In allen Mitgliedstaaten bis auf Malta ist ein parlamentarisches Zustimmungsverfahren nötig – die jeweiligen Landesverfassungen definieren die Voraussetzungen für das parlamentarische Zustimmungsverfahren und legen fest, welche Kammern des jeweiligen Parlaments an der Entscheidung beteiligt sind.

▪ In folgenden Staaten gibt es ein Einkammersystem: Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Portugal, Schweden, Slowakei, Ungarn, Zypern.

▪ Durch zwei Parlamentskammern müssten CETA und TTIP in Belgien, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, Slowenien, Spanien, Tschechien. Großbritannien ist das einzige Land, in dem die Verträge mit der Queen sowie dem Ober- und dem Unterhaus drei Kammern passieren müssen.

In der Hälfte aller Mitgliedstaaten wären Referenden über die Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen grundsätzlich möglich: Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Litauen, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Slowakei, Ungarn, Großbritannien. Dabei müssen in den einzelnen Ländern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

▪ In folgenden Ländern könnten Parlamente, Präsident/innen und/oder Regierungen Referenden auslösen: Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Österreich, Polen, Rumänien, Großbritannien.

▪ In folgenden Ländern könnte die Bevölkerung selbst ein Referendum anstoßen:

Kroatien: 10 Prozent der Wahlberechtigten können vom Parlament ein Referendum verlangen;

Litauen: 300.000 Bürger/innen können vom Parlament ein Referendum fordern;

Slowakei: Eine Frage kann u.a. durch Bürgerpetition als „von öffentlichem Interesse“ definiert werden, dann prüft das Verfassungsgericht ob eine Abstimmung verfassungskonform wäre;

Ungarn: 200.000 Wahlberechtigte oder 100.000 Wahlberechtigte und der/die Präsident/in können eine Volksabstimmung vorschlagen;

Niederlande: 300.000 Bürger/innen können seit Juli 2015 ein unverbindliches Referendum vom Parlament fordern.

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