Politik

Energie: Russland fährt einen riskanten Kurs, aber mit Kalkül

Lesezeit: 6 min
04.08.2015 01:49
Nach der Aufhebung der Sanktionen kehrt der Iran als wichtiger Player auf den Erdöl-Markt zurück. Das Kalkül der Amerikaner: Russland soll im Energie-Markt geschwächt werden. Russland wird kurzfristig tatsächlich große Probleme bekommen. Doch langfristig hat das Land sogar bessere Karten als China.
Energie: Russland fährt einen riskanten Kurs, aber mit Kalkül
Quelle: OPEC

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der Preis des Erdöls ist im freien Fall. Er ist Teil einer umfassenden Baisse der Rohstoffpreise. Die ausgeprägte Konjunkturschwäche Chinas und die Aussicht auf anhaltend hohe oder sogar noch steigende Fördermengen sind die wichtigsten Treiber. Der Iran hat soeben angekündigt, dass das Land nach der Aufhebung der Sanktionen sofort die Produktion um ein halbe Million Barrel pro Tag anheben werde. Die Effekte auf die ölexportierenden Länder werden massiv sein, fallen aber zeitlich verzögert an. Dabei ist nach Ländergruppen und Wechselkurs-Regime der Produzentenländer zu unterscheiden. Am stärksten gefährdet sind verschiedene OPEC-Länder und Russland.

Der explosionsartige Anstieg der Erdölpreise war einer der wichtigsten Merkmale der Entwicklung der Weltwirtschaft in den 2000er Jahren. Der Boom entsprach in wichtigen Charakteristika wie zeitlicher Länge und quantitativem Ausmaß des realen Ölpreisanstiegs den Dimensionen der 1970 und frühen 1980er Jahre. Der reale Ölpreis ist der um die allgemeine Teuerung bereinigte nominelle Ölpreis. Die Preisexplosion bescherte den Produzentenländern gewaltige Exportzuwächse in der Leistungsbilanz. Sie konnten ihre Deviseneinnahmen innert eines Jahrzehnts versechs- bis verzehnfachen. Sie konnten damit auch sehr rasch steigende Importe finanzieren und gleichzeitig konsistent sehr hohe Überschüsse in der Leistungsbilanz erzielen.

Die OPEC-Länder konnten im Aggregat aller Mitgliedsländer ihre Einnahmen von rund 200 Milliarden Dollar im Jahr 1998 auf über 1.600 Milliarden Dollar im Jahr 2012 steigern (blaue Linie). Der Löwenanteil entfiel auf die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft (grüne Linie). Mit leichter zeitlicher Verspätung und vor allem nicht im vollen Umfang der Exporteinnahmen folgten die Importe (gelbe Linie). Sie versechsfachten sich „nur“ im gleichen Zeitraum.

Dadurch konnten die OPEC-Länder jährliche Überschüsse in der Leistungsbilanz von rund 500 Milliarden Dollar in den Spitzenjahren 2011 bis 2013 erzielen. 2015 begannen die Exporteinnahmen stark zu fallen. Im Jahr 2016 dürften die Absicherungs-Transaktionen auslaufen und deshalb nochmals weit niedrigere Werte erreicht werden. Die OPEC-Länder zeichnen sich mit wenigen Ausnahmen dadurch aus, dass der Anteil ihrer Öl- und Gasexporte an den gesamten Exporten zwischen 80% und 100% liegt. Dies garantiert, dass die totalen Exporteinnahmen aufgrund des drastischen Preisfalls von Rohöl, Derivaten und Erdgas einen schweren Einbruch erleiden werden.

Was bedeutet dies nun für die Einnahmen in einheimischer Währung und für die Importe? Viele bedeutende OPEC-Länder haben ein Regime mit festen Wechselkursen gegenüber dem US-Dollar. Sie fixieren ihn fest und verändern ihn nicht oder kaum über die Zeit hinweg. Dazu gehören etwa Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Libyen oder Katar. Ecuador hat direkt den US-Dollar als Währung. Andere OPEC-Länder verändern ihn, aber nicht stark, so Algerien, Angola, Nigeria oder der Irak.

Durch den Preisfall des Erdöls verringern sich die Einnahmen dieser Länder in einheimischer Währung somit praktisch eins zu eins. Weil sie praktisch die gleichen Zinsen haben wie die USA, gibt es wenig dämpfenden Einfluss auf die inländische Konjunktur oder auf die Importe. Nur die Investitionen der staatlichen Erdölfirmen sowie diskretionäre Veränderungen der Finanzpolitik - über Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen - können die Importe reduzieren. Die Erdölfirmen reagieren in der Regel rasch. Bei der allgemeinen Finanzpolitik dauert es länger.

Der Effekt auf die Importe setzt deshalb zeitlich verzögert und abgeschwächt ein. (Bei der gelben Linie der OPEC-Importe sieht man dies etwa im Krisenjahr 2009. Die Importe gingen damals nur schwach zurück.) Im Effekt werden die Überschüsse der Leistungsbilanz sofort und drastisch zurückgehen. Dieses Wechselkursregime setzt hohe Leistungsbilanzüberschüsse im Ausgangspunkt und vor allem große Währungsreserven voraus. Es bedeutet aber auch, dass diese Länder die Baisse des Rohölpreises als mittel-, aber nicht als langfristig ansehen.

Denn die meisten dieser Länder brauchen für das Budget einen Erdölpreis von 100 $ per Barrel oder höher. Sonst wäre diese Strategie zu riskant. Dauert der Ölpreisfall länger an, müssen auch diese Länder die Importe drastisch reduzieren. Von den OPEC-Ländern sind nur Venezuela und der Iran aus unterschiedlichen Gründen in einer Situation drastischer Abwertung. Venezuela ist das Land mit den größten Erdölreserven der Welt. Es ist wegen Missmanagements seit Jahrzehnten trotzdem in einer dauerhaft prekären Situation. Iran ist wegen der Sanktionen und der Misswirtschaft des Regimes ausgezehrt. Andere Länder könnten aber zusätzlich rasch in den Zwang kommen, entweder die Währung abzuwerten oder die Finanzpolitik massiv zu straffen. Länder mit großem Risiko sind Libyen, der Irak, Ecuador oder Nigeria. Auch Angola, Algerien oder sogar die Emirate (Dubai) könnten unerwartet rasch in eine heikle Situation geraten. In einer uneingeschränkt komfortablen Lage sind Saudi-Arabien, Katar und Kuwait.

Die Russische Föderation und die ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Aserbaidschan und Turkmenistan sind ebenfalls sehr große Ölexporteure geworden. Der Anteil der Öl- und Gasexporte an den gesamten Exporten liegt bei diesen Ländern ebenfalls hoch bis sehr hoch.

Diese ehemaligen Sowjetrepubliken haben sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen.

Die Russische Föderation ist in Bezug auf den Energiesektor breit diversifiziert. Russland hat die mit Abstand größten Erdgasreserven der Welt. Wie bei Kasachstan beträgt der Anteil der Energieexporte rund zwei Drittel an den gesamten Güterexporten. In beiden Fällen entfällt der Rest aber hauptsächlich auf Exporte von Industriemetallen, die ebenfalls hoch zyklisch und mit dem Ölpreis stark korreliert sind. Aserbaidschan und Turkmenistan sind reine Energielieferanten, mit allerdings unterschiedlichem Profil und Aussichten. Turkmenistan ist zum viertgrößten Erdgasexporteur der Welt geworden. Durch zusätzlich Pipelines nach China in den Folgejahren wird das Land nochmals einen massiven Schub erfahren. Aserbaidschan hat ein ähnliches Profil wie ein OPEC-Land.

Die Situation Russlands ist kurz- und mittelfristig äußerst angespannt und riskant. Langfristig wäre sie sehr komfortabel. Die Geldpolitik der Russischen Zentralbank und die Sanktionen werden zu einer tiefen Rezession und einem massiven Einbruch der Importe führen. Russland hatte schon in der Hochkonjunktur eine weniger positive Entwicklung als die großen OPEC-Länder. Stark zunehmende Importe (gelbe Linie) und die veränderte Preissetzung für Erdgas sorgten für stagnierende oder sogar rückläufige Überschüsse in der Leistungsbilanz (rote Linie).

Russland hat deshalb völlig anders als die OPEC-Länder reagiert. Das Land hat seit 1998 den Wechselkurs in einer großen Bandbreite gegenüber dem US-Dollar stabilisiert. 2014/2015 hat die Zentralbank entschieden, die Währungsreserven zu schützen und deshalb den Rubel drastisch abwerten lassen. Im Effekt werden die Zahlungsbilanz, die Devisenreserven und vor allem auch das Budget des Staates stabilisiert, weil die reduzierten Einnahmen in US-Dollars durch die Abwertung des Rubels in einheimischer Währung erhöht sind. Die Abwertung verteuert auch die Importe und reduziert sie somit.

Das ist der klassische Ausgleichsmechanismus vieler Rohstoffwährungen. Um einen völligen Verfall zu verhindern, war die Zentralbank gezwungen, zusätzlich die Zinsen drastisch anzuheben. Dadurch wird die Binnenkonjunktur - die Bautätigkeit, die Unternehmensinvestitionen und der Konsum – zusätzlich abgewürgt. Der Kurs der Wirtschaftspolitik ist an sich logisch und folgerichtig, hat aber starke Nebenwirkungen. Er wirkt inflationär und verstärkt die Rezession massiv, und dämpft dadurch die Importe. Dennoch sind die Devisenreserven Russlands bereits von rund 540 Mia US-Dollars auf dem Höhepunkt im Jahr 2013 auf rund 350 Mia US-Dollars im Ausweis Ende Mai 2015 gesunken.

Der Kurs der Politik Russlands  ist hoch riskant, aber nicht ohne Kalkül:

- Die private Hypothekarverschuldung ist relativ gering. Denjenigen Teil, der in ausländischen Währungen vergeben wurde, mussten die Banken auf eigene Kosten in Rubel konvertierten, zu Bedingungen wie vor der Abwertung.

- Hingegen sind nicht-finanzielle Unternehmen und Banken im Ausland stark verschuldet. Sie haben durch die Wirtschaftssanktionen keinen Zugang zum westlichen Kapitalmarkt, um sich zu refinanzieren. Ihre Auslandschuld steigt durch die Abwertung des Rubels und kann sie in sehr große Schwierigkeiten bringen.

- Aufgrund der Sanktionen wurden alle Budgets für Exploration gestrichen, dazu wichtige Exporte des Westens reduziert.

Der Handlungsspielraum der russischen Wirtschaftspolitik würde bei einem weiteren Ölpreis-Verfall massiv eingeschränkt. Eine weitere Abwertungswelle und höhere Zinsen könnten sehr kostspielig werden, vor allem für das Bankensystem. Fehler in der Geld- und Wirtschaftspolitik könnten sich fatal auswirken. Ein Grund für den Rückgang der Währungsreserven ist die Umschichtung der vergangenen Jahre in Gold und in den Euro. Die Umschichtung in den Euro ist verständlich und angemessen, weil doch viele Importe aus der Eurozone erfolgen. Die Umschichtung in Gold hingegen war vom Timing her sicher falsch.

Langfristig haben Russland und Turkmenistan gewaltiges Potential für Lieferungen von Erdgas nach China. China ist kurzfristig für Preisverhandlungen in einer stärkeren, aber langfristig in einer viel schwächeren Position. Die Umweltverschmutzung ist enorm, weil die Großstädte umringt sind von Kohlekraftwerken. Zusammen mit Industrie und Verkehr vergiften sie die Luft in den Grosstädten.

China ist in einem verzweifelten Kampf gegen die lebensgefährdende Umweltvergiftung. China muss die Kohleverbrennung drastisch reduzieren oder sogar aufgeben, um als Gesellschaft langfristig überleben zu können. Die Möglichkeiten der Lieferung sind vor allem für diese beiden Länder ausgezeichnet. Einheimische Erdgasreserven können vor allem durch Fracking erschlossen werden. Angesichts der labilen Lage der Wasserreserven ist dies ein riskantes Unterfangen. LNG Terminals in der Küstennähe werden ausgebaut, aber eben langsam. Russland und Turkmenistan haben deshalb die besten Karten.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Clean Industrial Deal: Warum die EU jetzt handeln muss
26.12.2024

Vor fünf Jahren setzte die EU mit dem Europäischen Green Deal neue Maßstäbe im globalen Klimaschutz. Heute, angesichts wachsender...

DWN
Politik
Politik „Atomkraft? Nein Danke“: Habeck-Ministerium manipulierte wohl AKW-Studie für Atomausstieg
26.12.2024

Manipulation im Wirtschaftsministerium? Wie interne Unterlagen jetzt aufdecken, soll das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck gezielt...

DWN
Politik
Politik Papst eröffnet Heiliges Jahr mit Hoffnungsbotschaft
26.12.2024

Ein strammes Programm hatte der gesundheitlich angeschlagene Papst an Weihnachten zu stemmen: Er eröffnete das Heilige Jahr der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschland schafft Gasspeicherumlage ab: Entlastung für Nachbarländer, Mehrkosten für Verbraucher
26.12.2024

Deutschland verabschiedet sich von der umstrittenen Gasspeicherumlage an Grenzübergangspunkten zu Nachbarländern. Mit einer Änderung des...

DWN
Immobilien
Immobilien Sechs Jahre Mietenstopp: Können Mietpreiserhöhungen gesetzlich verboten werden?
26.12.2024

Der aktuelle Wohnmarkt bereitet Volk wie Bundesregierung Kopfzerbrechen. Laut Umfragen glauben immer weniger Deutsche daran, sich den Traum...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Überstunden steuerfrei: Ab 2025 wird es Realität?
26.12.2024

Überstunden ab 2025 steuerfrei? Wenn diese Pläne Wirklichkeit werden, könnten Arbeitnehmer von einer höheren Auszahlung ihrer...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kann Automatisierung die deutsche Industrie retten?
26.12.2024

Die deutsche Wirtschaft kämpft mit Fachkräftemangel und explodierenden Kosten. Wie können Automatisierung und Robotik diese...

DWN
Politik
Politik Wahlforscher Jung: Die Union hat ein "Merz-Problem" - und Habeck eine gute Chance
26.12.2024

Es sei sehr wahrscheinlich, dass Unionskandidat Merz der nächste deutsche Bundeskanzler wird, sagt Wahlforscher Matthias Jung. Doch er...