Politik

Der Vorschlag der EU-Kommission zur Lösung der Flüchlingskrise

Lesezeit: 7 min
14.09.2015 22:18
Die EU-Kommission hat beim Ministertreffen ihren Vorschlag von vor einigen Tagen präsentiert. Es wurde diskutiert - und vertagt. Der Text zeigt, dass die Kommission zwar guten Willens ist, jedoch zu weit weg vom Geschehen. Denn sie kann nichts von den Vorschlägen durchsetzen.

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Europäische Kommission - Pressemitteilung

Flüchtlingskrise: die Europäische Kommission handelt

Straßburg, 9. September 2015

Die Europäische Kommission legte heute im Nachgang zur Europäischen Migrationsagenda vom Mai diesen Jahres ein umfassendes Vorschlagspaket zur Bewältigung der Flüchtlingskrise vor, mit denen die EU-Mitgliedstaaten und die Nachbarländer konfrontiert sind.

Dabei werden auch die Fluchtursachen ins Visier genommen. Die neuen Maßnahmen sollen die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten – vor allem Griechenland, Italien und Ungarn – entlasten. Vorgeschlagen wird eine Umverteilung von 120.000 Menschen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, auf andere EU-Mitgliedstaaten. Bereits im Mai hatte die Kommission eine Umsiedlung von 40.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien vorgeschlagen. Der entsprechende Ratsbeschluss steht noch aus. Vorgeschlagen wird zudem eine gemeinsame europäische Liste der sicheren Herkunftsstaaten, die es den Mitgliedstaaten, die mit einer wachsenden Zahl von Asylanträgen konfrontiert sind, ermöglichen soll, die Anträge schneller zu bearbeiten. Die Kommission hat heute die wichtigsten Vorschläge für eine effektivere Rückkehrpolitik und einen mit 1,8 Mrd. EUR ausgestatteten Treuhandfonds vorgestellt, um bei den Ursachen der Migrationsproblematik in Afrika anzusetzen. Schließlich werden die Kommission und der Auswärtige Dienst der EU die „externe Dimension“ der Flüchtlingskrise gemeinsam angehen.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, sagte: „Wir Europäer müssen eigentlich wissen und uns stets daran erinnern, wie wichtig es ist, Flüchtlingen Schutz zu gewähren und das Grundrecht auf Asyl zu achten. Es ist Zeit, dass wir anfangen, den Grundstein für eine echte europäische Migrationspolitik zu legen, wie wir das schon im Mai gefordert haben. Mit den Maßnahmen, die wir heute vorschlagen, ist gewährleistet, dass Menschen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, rasch nach ihrer Ankunft weiter verteilt werden, und zwar nicht nur jetzt, sondern auch bei künftigen Krisensituationen. Wenn es jemals nötig war, europäische Solidarität unter Beweis zu stellen, dann jetzt in Zeiten der Flüchtlingskrise. Es ist Zeit, gemeinsam Mut zu beweisen und europäisch zu handeln.“

Die Europäische Kommission hat als Reaktion auf die derzeitige Flüchtlingskrise und zur Vorbereitung auf künftige Herausforderungen folgende konkrete Maßnahmen vorgeschlagen:

Vorschlag zur Notumsiedlung von 120.000 Flüchtlingen aus Griechenland, Ungarn und Italien: Nach dem drastischen Anstieg der illegalen Grenzübertritte in den letzten Monaten im zentralen und östlichen Mittelmeerraum, aber auch auf der Westbalkan-Route, ist rasches Handeln erforderlich. Die Kommission schlägt vor, 120.000 Personen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, aus Italien (15.600), Griechenland (50.400) und Ungarn (54.000) umzusiedeln. Die Umsiedlung soll nach einem verbindlichen Verteilungsschlüssel auf der Grundlage objektiver, quantifizierbarer Kriterien (Bevölkerungszahl: 40 %, BIP: 40 %, durchschnittliche Zahl der bisherigen Asylanträge: 10 %, Arbeitslosenquote: 10 %) erfolgen. In Frage kommen Staatsangehörige aus Ländern, bei denen die durchschnittliche Anerkennungsquote in der EU 75 % oder mehr beträgt.[1] Die Kommission hatte bereits im Mai vorgeschlagen, 40.000 Personen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, aus Italien und Griechenland in andere EU-Mitgliedstaaten umzusiedeln, sodass sich die Zahl damit auf insgesamt 160.000 Personen erhöht. Für die Umsiedlungsmaßnahmen werden aus dem EU-Haushalt Gelder in Höhe von 780 Mio. EUR zur Verfügung gestellt, u. a. für eine Vorfinanzierung in Höhe von 50 %, damit die Behörden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene über die erforderlichen Mittel verfügen, um sehr rasch reagieren zu können.

Eine vorübergehende Solidaritätsklausel: Kann sich ein Mitgliedstaat vorübergehend aus triftigen, objektiven Gründen – z. B. wegen einer Naturkatastrophe – nicht vollständig oder teilweise an einem Umsiedlungsbeschluss beteiligen, muss er einen finanziellen Beitrag zum EU-Haushalt in Höhe von 0,002 % seines BIP leisten. Die Europäische Kommission wird die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgebrachten Gründe prüfen und darüber befinden, ob diese Gründe die Nichtteilnahme des Landes an dem Mechanismus bis zu maximal 12 Monaten rechtfertigen. Im Fall einer teilweisen Beteiligung an der Umsiedlung verringert sich der finanzielle Beitrag entsprechend.

Ein auf Dauer angelegter Umsiedlungsmechanismus für alle Mitgliedstaaten: Wie in der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, schlägt die Kommission einen strukturierten Solidaritätsmechanismus vor, der jederzeit von der Kommission aktiviert werden kann, um einem EU-Mitgliedstaat zu helfen, der sich in einer Notlage befindet und dessen Asylsystem aufgrund eines unverhältnismäßig großen Zustroms von Drittstaatsangehörigen extremem Druck ausgesetzt ist. Ob eine solche Notlage vorliegt, entscheidet die Kommission anhand der Zahl der in den letzten sechs Monaten gestellten Asylanträge, dem BIP pro Kopf sowie der Zahl der irregulären Grenzübertritte der letzten sechs Monate. Es gelten dieselben objektiven, quantifizierbaren Verteilungskriterien wie bei der Notumsiedlung. Berücksichtigt werden darüber hinaus die Bedürfnisse der Asylsuchenden, ihre familiäre Lage und ihre Fähigkeiten. Auch für den strukturierten Umsiedlungsmechanismus soll die vorübergehende Solidaritätsklausel gelten.

Eine gemeinsame europäische Liste sicherer Herkunftsstaaten: Im Nachgang zu der Europäischen Migrationsagenda und den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 25./26. Juni schlägt die Europäische Kommission eine Verordnung für eine gemeinsame EU-Liste der sicheren Herkunftsstaaten vor. Mit einer EU-Liste könnten Asylanträge von Staatsangehörigen aus EU-weit als sicher geltenden Staaten schneller bearbeitet und Rückführungen schneller durchgeführt werden, wenn die individuelle Prüfung des Antrags keinen Anspruch auf Asyl ergibt. Nach Gesprächen mit den Mitgliedstaaten und im Einklang mit deren Praxis schlägt die Kommission vor, die EU-Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Albanien, Bosnien und Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Kosovo*, Montenegro, Serbien und die Türkei zu erweitern. Diese Länder genügen den gemeinsamen Kriterien der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32 für als sicher geltende Länder. Sie gehören wichtigen internationalen Menschenrechtsübereinkünften an, und die meisten von ihnen wurden vom Europäischen Rat als Beitrittskandidaten bestätigt, die die sogenannten Kopenhagener Kriterien (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Achtung und Schutz von Minderheiten) erfüllen. Weitere Länder können nach eingehender Prüfung durch die Europäische Kommission in die Liste aufgenommen werden.

Effektivere Organisation der Rückkehr/Rückführung: Um die diesbezüglichen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten zu verbessern, hat die Kommission ein Handbuch zum Thema Rückkehr/Rückführung und einen EU-Aktionsplan herausgegeben. Im Aktionsplan sind die sofort und mittelfristig von den Mitgliedstaaten zu ergreifenden Maßnahmen aufgelistet, mit denen folgende Ziele erreicht werden sollen: Förderung der freiwilligen Rückkehr und der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie, Verbesserung des Informationsaustauschs, Stärkung der Rolle und des Mandats von Frontex bei Rückführungseinsätzen und Einführung eines integrierten Rückkehrmanagements. Parallel dazu hat die Kommission ein Handbuch herausgegeben, das den zuständigen nationalen Behörden praktische Anweisungen an die Hand gibt, wie sie die Rückkehr jener Migranten begleiten, die kein Bleiberecht in der Europäischen Union erhalten. Es wird den Fachleuten, die die Rückführungsrichtlinie 2008/115 anwenden, als wichtiges Schulungsinstrument für die gemeinsamen Normen und Verfahren dienen.

Mitteilung über die öffentliche Auftragsvergabe in der Flüchtlingshilfe: Die Mitgliedstaaten müssen die dringendsten Bedürfnisse der Asylsuchenden, was Unterbringung und Versorgung mit Waren und Dienstleistungen angeht, rasch und angemessen erfüllen. Die Mitteilung gibt den Behörden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene Leitlinien an die Hand, wie sie diese Dienste einfach, rasch und unbürokratisch unter Beachtung der Vergabevorschriften der EU bereitstellen können.

Externe Dimension der Flüchtlingskrise: Außenpolitische Maßnahmen sind wichtiger Bestandteil der Anstrengungen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Die Bemühungen um diplomatische Initiativen für eine politische Lösung der Konflikte in Syrien, im Irak und in Libyen sollen verstärkt werden. Die EU leistet in Syrien Hilfe vor Ort insbesondere für Binnenflüchtlinge und unterstützt Nachbarländer wie Jordanien, Libanon oder Türkei, die den Großteil der Flüchtlinge aus Syrien beherbergen. Bisher wurden hierfür 3,9 Mrd. EUR aufgebracht. Die Bekämpfung der für den Migrantenschmuggel verantwortlichen organisierten Kriminalität stellt eine weitere Priorität dar. Ihr dient insbesondere die Marineoperation EUVAVFOR MED. Im Zuge der Zusammenarbeit mit Drittländern wurden ferner rund 17 Rückübernahmeabkommen und 7 Mobilitätspartnerschaften unterzeichnet. Die EU wird zudem die mit wichtigen Partnern auf hoher Ebene bereits bestehenden Migrationsdialoge vertiefen. Hierzu zählen u. a. der Rabat- und der Khartum-Prozess mit afrikanischen Ländern, der Budapest-Prozess mit den Ländern entlang der Seidenstraße sowie die bevorstehenden Gipfeltreffen Anfang Oktober und Valletta am 11./12. November.

Treuhandfonds für Afrika: Die Europäische Kommission hat heute 1,8 Mrd. EUR für einen Nothilfe-Treuhandfonds bereitgestellt, der die Stabilität in Afrika stützen und die Ursachen irregulärer Migration bekämpfen soll. Der Fonds soll die Lage in der Sahelzone, in der Tschadseeregion, am Horn von Afrika sowie in Nordafrika stabilisieren und bei den Ursachen der irregulären Migration aus diesen Gebieten ansetzen. Die Regionen sollen Unterstützung für eine bessere sozioökonomische Entwicklung und für Maßnahmen der Migrationssteuerung erhalten. Die Europäische Kommission erwartet von den Mitgliedstaaten, dass sie sich mit gleichem Elan an diesem Vorhaben beteiligen. Spanien hat seine Teilnahme bereits zugesagt.

Zur Solidarität mit den Mitgliedstaaten an der Außengrenze gehört auch, dass alle ihrer Verantwortung für die Anwendung der gemeinsamen EU-Regeln gerecht werden. Zu diesem Zweck wird die Kommission dieser Woche auch weitere Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wo dies zur Durchsetzung der Regeln erforderlich ist, und die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen bei der Anwendung der gemeinsamen EU-Asylregeln mittels ihres Brennpunkte-Konzepts (MEMO/15/5597) unterstützen.

Nächste Schritte

Die außerordentliche Tagung des Innenministerrats zum Thema Migration am 14. September ist die nächste Gelegenheit für die Mitgliedstaaten, die Legislativvorschläge der Kommission zu erörtern und anzunehmen. Die von der Kommission im Mai und im September vorgeschlagenen Notumsiedlungsmechanismen müssen vom Rat (mit qualifizierter Mehrheit) nach Anhörung des Europäischen Parlaments angenommen werden, während der dauerhafte Solidaritätsmechanismus und die europäische Liste der sicheren Herkunftsstaaten vom Europäischen Parlament und vom Rat gemeinsam im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden müssen. Der Vorschlag für den Treuhandfonds wird den Mitgliedstaaten mit der Prämisse vorgelegt, dass die notwendigen Verfahren rechtzeitig zum November-Gipfel in La Valetta abgeschlossen werden können. Die EU trifft in Valletta mit wichtigen afrikanischen Ländern zusammen, um die Migrationsproblematik und die Flüchtlingskrise zu erörtern.

Hintergrund

Die Europäische Kommission hat sich beharrlich für eine abgestimmte europäische Lösung der Flüchtlings- und Migrationsproblematik eingesetzt:

Am 23. April 2014 legte Jean-Claude Juncker im Rahmen seiner Bewerbung um das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission einen Fünf-Punkte-Plan zur Einwanderungspolitik vor, in dem er mehr Solidarität in der Migrationspolitik der EU forderte.

Bei seinem Amtsantritt übertrug Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einem Kommissionsmitglied die besondere Zuständigkeit für den Bereich Migration mit der Aufgabe, in Abstimmung mit Vizepräsident Timmermans eine neue Migrationspolitik zu erarbeiten, die zu den zehn Prioritäten der Politischen Leitlinien gehört, auf deren Grundlage die Kommission vom Europäischen Parlament gewählt wurde.

Auf der Grundlage eines Vorschlags der Europäischen Kommission haben sich die Mitgliedstaaten in einer Erklärung des Europäischen Rates vom 23. April 2015 zu raschem Handeln verpflichtet, um Menschenleben zu retten und die Maßnahmen der EU im Bereich der Migration zu verstärken. Wenige Tage später folgte eine Entschließung des Europäischen Parlaments.

Am 13. Mai 2015 legte die Europäische Kommission ihre Europäische Migrationsagenda vor, die eine umfassende Strategie für eine bessere Steuerung der Migration in all ihren Aspekten enthält.

Schon am 27. Mai 2015 folgte ein erstes Paket mit Maßnahmen zur Umsetzung der Europäischen Migrationsagenda, darunter Umsiedlungs- und Neuansiedlungsvorschläge und ein EU-Aktionsplan gegen Schleuser.

Am 25./26. Juni verständigte sich der Europäische Rat darauf, die Vorschläge der Europäischen Kommission im Rahmen der Migrationsagenda mit Schwerpunkt auf Umsiedlung und Neuansiedlung, Rückkehr und Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern weiterzuverfolgen.

Am 20. Juli vereinbarte der Rat (Justiz und Inneres), die in der Europäischen Migrationsagenda vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen und in einem ersten Schritt 32.256 Personen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, in den nächsten zwei Jahren aus Italien und Griechenland umzusiedeln. Darüber hinaus sollen 22.504 Vertriebene, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, aus Regionen außerhalb der EU in der Union neu angesiedelt werden.


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