Politik

Flüchtlinge suchen Ausweich-Routen: Kroatien und Slowenien neue Ziele

Die serbischen Behörden haben damit begonnen, Flüchtlinge nach der Abriegelung nicht mehr an die ungarische, sondern an die kroatische Grenze zu bringen. Über das Internet werden Karten verteilt, wie man über Slowenien nach Österreich gelangen kann.
15.09.2015 23:35
Lesezeit: 3 min

Nach der Abriegelung Ungarns hat Serbien Medienberichten zufolge damit begonnen, Flüchtlinge an die Grenze des benachbarten Kroatiens zu bringen. Busse, die Flüchtlinge im Grenzgebiet zu Mazedonien aufgenommen hätten, steuerten nicht mehr Ungarn an, berichteten am Dienstag der Radiosender B92 sowie die Zeitung „Blic“. Sie seien an die kroatische Grenze umgeleitet worden. Ungarn hatte zuvor seine Grenze zu Serbien komplett abgeriegelt und damit Tausenden Flüchtlingen den Weg nach Westeuropa abgeschnitten. Es wurde damit gerechnet, dass sich tausende Flüchtlinge auf der Balkan-Route einen Alternativ-Weg suchen würden.

Ein Reporter des Senders B92 berichtete aus dem südserbischen Ort Presevo, dort stünden mehrere Busse zur Abfahrt nach Sid an der Grenze zu Kroatien bereit. Ein Busfahrer wurde mit den Worten zitiert, er und seine Kollegen seien angewiesen worden, die Flüchtlinge aus Mazedonien direkt an die Grenze nach Kroatien zu bringen.

In Kroatien liefen bereits die Vorbereitungen für die Ankunft der Flüchtlinge. An der Grenze seien 6000 Polizisten im Einsatz, erklärte ein ranghoher Polizeivertreter. Alle Flüchtlinge würden zunächst registriert und mit dem Nötigsten versorgt. Es werde davon ausgegangen, dass Kroatien für die Migranten nur ein Transitland auf dem Weg nach Norden sei.

Im Internet kursieren bereits Karten, die die Route über Slowenien zeigen:

Ungarn hat seine Grenze zu Serbien komplett abgeriegelt und damit Tausenden Flüchtlingen den Weg nach Westeuropa abgeschnitten. Verzweifelte Migranten schlugen am Dienstag bei Horgos von der serbischen Seite gegen das von der Polizei errichtete Metallgitter an der größten Autobahn ins Nachbarland und forderten die Öffnung der Grenzen. Auch Österreich kündigte wie bereits zuvor Deutschland schärfere Grenzkontrollen an. Sie sollten ab Mitternacht in Kraft treten. Die deutsche Regierung äußerte sich enttäuscht, dass es den EU-Innenministern erneut nicht gelang, eine verbindliche Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu vereinbaren. Europa habe sich „ein weiteres Mal blamiert“, sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel.

EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte für Donnerstag eine Entscheidung über einen EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise an. Bei dem Treffen müsse darüber gesprochen werden, wie Transit- und Herkunftsländern besser geholfen und die Türkei stärker eingebunden werden könne, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit ihrem österreichischen Kollegen Werner Faymann in Berlin. Dringend notwendig sei der Aufbau von Aufnahmezentren in Griechenland und Italien. Zugleich wies sie Kritik am Umgang mit der Krise mit deutlichen Worten zurück: „Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

An der ungarisch-serbischen Grenze saßen auch viele Flüchtlingsfamilien mit kleinen Kindern fest. „Streik - Keine Nahrung - Kein Wasser - Macht die Grenze auf!“, hatte eine Frau auf ein Mädchenkleid geschrieben, dass sie über ihrem Kopf hochhielt. Neben der Grenzschließung für Flüchtlinge gelten in Ungarn seit Dienstag verschärfte Asyl-Gesetze. Wer illegal ins Land kommt, kann in Haft genommen werden. Das EU-Land richtete an der serbischen Grenze zudem zwei Transitzonen ein. Dort soll binnen weniger Stunden über Asylanträge entschieden werden. Ungarn hat einen rund 180 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Serbien errichtet. Bereits Stunden nach Inkrafttreten verschärfter Gesetze wurden 16 Migranten aus Syrien und Afghanistan festgenommen, die versucht hatten, den Stacheldrahtzahn zu überwinden.

Die serbische Regierung forderte Ungarn auf, seine Grenze wieder für Migranten zu öffnen. „Wir reden mit den Ungarn. Sie werden die Grenze öffnen müssen“, sagte der zuständige serbische Minister Aleksandar Vulin. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) rechnet nach Angaben einer Sprecherin damit, dass sich die Flüchtlingsströme neue Routen über andere Länder suchen werden, wenn Ungarn bei seiner Haltung bleibe.

Schon jetzt versuchen immer mehr EU-Staaten, mit Grenzkontrollen die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Nach Angaben von Außenminister Peter Szijjarto ist Ungarn auch bereit, einen Zaun entlang der rumänischen Grenze zu bauen, falls die veränderten Routen dies erforderlich machen sollten.

Der Zustrom nach Österreich ebbte unterdessen nicht ab. Bis zum Mittag überquerten 6000 Flüchtlinge nach Angaben der Polizei die ungarisch-österreichische Grenze in Nickelsdorf. Am Montag waren im Burgenland fast 20.000 Menschen eingetroffen. Mit Einführung von Grenzkontrollen in Deutschland am Sonntag ebbte die Zahl der Einreisen nach Bayern etwas ab, wo am Montag nach jüngsten Angaben der Bundespolizei noch gut 3.800 Flüchtlinge eingetroffen waren. Bei den Bahnverbindungen zwischen Österreich und Deutschland kam es zu Verspätungen von mehreren Stunden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...

DWN
Finanzen
Finanzen USA dominieren die Börsen
03.07.2025

Die Börsenwelt bleibt fest in US-Hand, angeführt von Tech-Giganten wie Nvidia und Apple. Deutsche Unternehmen spielen nur eine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Pokémon-Karten als Geldanlage: Hype, Blase oder Millionen-Geschäft?
03.07.2025

Verstaubte Karten aus dem Kinderzimmer bringen heute tausende Euro – doch Experten warnen: Hinter dem Pokémon-Hype steckt eine riskante...

DWN
Finanzen
Finanzen Politische Unsicherheit: Warum Anleger jetzt Fehler machen
03.07.2025

Trumps Kurs schürt Unsicherheit an den Finanzmärkten. Wie Anleger jetzt kühlen Kopf bewahren und welche Fehler sie unbedingt vermeiden...

DWN
Politik
Politik Keine Stromsteuersenkung: Harsche Kritik der Wirtschaftsverbände
03.07.2025

Die Strompreise bleiben hoch, die Entlastung fällt kleiner aus als versprochen. Die Bundesregierung gerät unter Druck, denn viele Bürger...

DWN
Politik
Politik USA drosseln Waffenhilfe – Europa unter Zugzwang
03.07.2025

Die USA drosseln die Waffenhilfe für Kiew. Europa muss die Lücke schließen. Wie geht es weiter?