Die USA und Russland wollen die Neuordnung Syriens offenbar gemeinsam vornehmen. Darauf deutet eine überraschende Reise von US-Außenminister John Kerry hin, der in der kommenden Woche Russlands Präsident Wladimir Putin besuchen wird. Das Thema: Wie kann die „Opposition“ in Syrien neu gruppiert werden? Das Treffen einiger Splittergruppen in Saudi-Arabien in dieser Woche wird auch von Washington als unzureichend empfunden. Bei dem Treffen waren weder die für einen Wiederaufbau unerlässliche Kurdenpartei YPG anwesend. Auch die Terror-Miliz IS war nicht eingeladen. Ohne sie ist ein Waffenstillstand jedoch nicht zu erreichen - sie ist ja der Hauptfeind. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich die Russen und die Amerikaner mit dem IS-Führer al-Baghdadi an einen Tisch setzen. Russen und Amerikaner haben angekündigt, den IS vernichten zu wollen.
Russland hatte das Treffen in Riad daher von Anfang an für verfrüht bezeichnet. Kerry, der das Treffen zuvor als Geste an die Saudis gelobt hatte, spricht nun davon, dass noch „Knoten zu entwirren“ seien, weshalb er zu Putin reisen werde.
Auf Nachfrage von Journalisten wollte er nicht genauer erläutern, welche Vorbehalte er gegen die Einigung von Riad habe. „Ich muss hören, welche Antworten es auf einige Fragen gibt, die sich uns heute stellen“, sagte Kerry. Sein Sprecher Mark Toner gab kurz darauf bekannt, dass Kerry am Dienstag in Moskau mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Lage in Syrien und den Kampf gegen die Terror-Miliz Islamischer Staat (IS) sprechen werde.
Am Freitag gab außerdem der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu überraschend bekannt, dass sich der IS weiter auf dem Vormarsch befinde. Schoigu konterkarierte mit dieser Aussage die bisherigen Erfolgsmeldungen des russischen Einsatzes. Unabhängige Beobachter, die von den Deutschen Wirtschafts Nachrichten um eine Einschätzung gebeten wurden, gehen davon aus, dass der IS durch die russischen Luftschläge erheblich geschwächt ist. Doch Schoigu sagte am Freitag, dass der IS bereits 70 Prozent des syrischen Staatsgebiets kontrolliere und mit etwa 60.000 Kämpfern im Einsatz sei: „Der Einflussbereich des Islamischen Staats wächst“, sagte Schoigu. Man befürchte, dass sich die Aktivitäten bis nach Zentralasien und in den Kaukasus ausbreiten könnten.
Diese Horror-Meldungen deuten darauf hin, dass Russland seine Militäroperationen eher ausweiten als zurückfahren könnte. Alle Beteiligten in dem militärischen Konflikt haben bisher zwar ausgeschlossen, selbst Bodentruppen entsenden zu wollen. Doch gleichzeitig haben auch alle gesagt, dass der Konflikt ohne Bodentruppen nicht zu gewinnen sei. Die Botschaft von Schoigu wird diese Einschätzung untermauern. Die Türkei hat ihre ersten Truppen bereits entsandt, allerdings zunächst in den Irak, wogegen Bagdad prompt protestierte.
Obama und Putin hatten bei der UN-Vollversammlung eine enge Kooperation vereinbart, die der US-Präsident allerdings nicht ohne Störfeuer durchhalten kann: Die Türkei spielt hier, im Verbund mit der Nato und den Geheimdiensten, eine hervorgehobene Rolle und ist gewissermaßen für die Provokationen zuständig. Daher warnte Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag eindringlich vor solchen Aktionen und drohte mit dem sofortigen Abschuss von feindseligen Zielen.
Die Neuordnung in Syrien hat auch mit der Energie-Versorgung Europas zu tun. Russland hat sich prinzipiell bereiterklärt, an entsprechenden Pipeline-Projekten des Westens mitzuwirken. Moskau hat kein Interesse an der Destruktion, sondern will seine geopolitische Position nutzen, um Geschäfte zu machen.
Wie die Neuordnung im Nahen Osten genau aussehen soll, ist aktuell noch schwer zu sagen. Es lässt sich jedoch schemenhaft erkennen, dass die USA und Russland aktuell eher kooperieren als gegeneinander kämpfen. Für die USA und Russland hat nämlich zunächst die Eindämmung der Regionalmächte oberste Priorität. Dazu scheint einmal mehr eine massive Truppenpräsenz nötig.
Deutschland scheint hier auf Abruf bereit zu stehen: So hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel beim SPD-Parteitag bereits angekündigt, dass über einen Einsatz von deutschen Bodentruppen die SPD-Basis entscheiden solle. Der Vorschlag kam ausgesprochen überraschend und legt den Schluss nahe, dass die Bundesregierung derartige Pläne bereits in der Schublade hat. Das Mandat der Bundeswehr ist entsprechend weit gefasst, eine langanhaltende Militär-Präsenz auch der deutschen Truppen scheint vor diesem Hintergrund eine nicht unrealistische Perspektive zu sein.