Am Ölmarkt schwankten die Preise am Montag heftig. Eigentlich müssten die Spannungen im Nahen Osten für Versorgungsengpässe sorgen, so jedenfalls das Kalkül der Saudis. Tatsächlich dürfte der Streit zwischen Saudi-Arabien und dem Iran jegliche Kooperation innerhalb der OPEC – beide Länder gehören dem Kartell an – unwahrscheinlicher machen. Das Überangebot von Öl hatte die Preise im vergangenen Jahr um 35 Prozent einbrechen lassen. Zwar zog der Preis für Nordseeöl der Sorte Brent am Montag zeitweise um bis zu 4,6 Prozent auf 38,99 Dollar je Fass (159 Liter) an. Doch blieb die Notierung damit in Reichweite des am Silvestertag aufgestellten Elf-Jahres-Tiefs von 36,10 Dollar. Am Abend notierte Brent wieder bei rund 37 Dollar.
Saudi-Arabien taumelt wegen der niedrigen Ölpreise am Rande der Staatspleite. Die islamistische Theokratie benötigt dringend einen höheren Ölpreis. Im Grunde kann nur ein deutlich steigender Ölpreis das System in Riad vor einer ernsten Gefährdung bewahren.
Riad zeigte sich folgerichtig uneinsichtig: Saudi-Arabien hat die umstrittene Hinrichtung von 47 Menschen wegen Terrorismus-Vorwürfen verteidigt. Die Angeklagten hätten faire und gerechte Verfahren ohne Berücksichtigung ihrer religiösen Zugehörigkeit gehabt, hieß es am Montag in einer Erklärung der saudi-arabischen Vertretung bei den Vereinten Nationen (UN). Das Königreich bedauere zutiefst, dass UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sich besorgt über die Vorwürfe gegen die Delinquenten und die Prozesse geäußert habe.
Diese diplomatische Note war aber auch schon das höchste der Gefühle, was aus Riad zu vernehmen war. Denn die Saudis haben große Probleme, ihre Einnahmequellen am Sprudeln zu halten. Die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran setzen der Währung des Königreichs zu. Der Rial ist zwar an den Dollar gekoppelt, an den Terminmärkten stürzte sein Kurs aber ab. Der sogenannte Dollar/Rial-Forward schoss um gut 36 Prozent in die Höhe und lag mit 680 Punkten nur 50 Zähler unter seinem 16-Jahres-Hoch vom Dezember.
Angetrieben werde diese Rally von Spekulationen auf eine Abkoppelung der saudischen Währung vom Dollar, sagte Guillaume Tresca, auf Schwellenländer spezialisierter Anlagestratege der Credit Agricole. „Mit dem Verfall der Ölpreise haben diese Befürchtungen zugenommen. Der Markt rechnet mit einer Abwertung von drei bis vier Prozent.“ Wegen der weltweiten Überproduktion ist der Preis für das mit Abstand wichtigste saudische Exportgut Rohöl in den vergangenen eineinhalb Jahren um etwa zwei Drittel gefallen.
Die Lagerbestände sind weltweit auf einem Rekordniveau – und sind das größte Problem für die Saudis. Eine Bloomberg-Umfrage hat ergeben, dass die Marktteilnehmer damit rechnen, dass die Versorgung wegen der vollen Lager in den USA auch in der absehbaren Zukunft um 130 Millionen Barrel über dem Fünf-Jahres-Schnitt liegen wird.
Ein Befreiungsschlag kann den Saudis im Grunde nur gelingen, wenn die Lage im Nahen Osten weiter eskaliert. Ein erstes Signal hatten die Saudis schon am Wochenende in Richtung Jemen ausgesandt: Sie kündigten den mühsam mit den UN verhandelten Waffenstillstand auf und hoffen, den Iran stärker in den Konflikt ziehen zu können.
Teheran ist jedoch in einer vergleichsweise günstigen Lage: Wegen der Aufhebung der Sanktionen werden die Iraner wieder ins Ölgeschäft einsteigen. Die wird sich weiter negativ auf den Ölpreis auswirken. Auch die mit den Iranern alliierten Russen denken nicht daran, die Fördermengen zu kürzen. Moskau spekuliert darauf, einen längeren Atem als die Saudis zu haben.
Ein weiteres Indiz für neue Eskalation zeigte sich am Montag in Libyen: Die Terror-Miliz IS schickt sich an, den Ölhafen Es Sider zu erobern und damit erstmals eine Ölanlage in dem nordafrikanischen Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Bei Kämpfen mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) seien zwei Wachen getötet worden, berichteten am Montag laut Reuters Augenzeugen und ein Vertreter der Schutzmannschaften, die die Anlage bewachen. Ein Öllager sei während der Gefechte von einer Rakete getroffen worden und stehe in Flammen. Zwei Selbstmordattentäter des IS hätten mit Sprengstoff bestückte Autos auf das Hafengelände gesteuert.
Die Ölhäfen in Es Sider und im benachbarten Ras Lanuf sind seit mehr als einem Jahr wegen der Machtkämpfe in Libyen nach dem von den USA herbeigeführten Sturz von Präsident Muammar Gaddafi im Jahr 2011 geschlossen. Die neu aufgeflammten Kämpfe um Es Sider trieben neben dem Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran gleichwohl zum Wochenbeginn den Ölpreis, spekuliert folgerichtig Reuters.
Das ölreiche Land droht, immer mehr im Chaos zu versinken. Zwei Regierungen konkurrieren um die Vorherrschaft, mehrere Milizen bekämpfen einander. So wird Es Sider von der Miliz des einstigen Rebellenführers und Gaddafi-Gegners Ibrahim al-Dschathran geschützt, der die vom Westen anerkannte Regierung unterstützt.
Doch seine Miliz kämpft auch gegen Gruppen, die ebenfalls hinter der westlich orientierten Regierung stehen. Das Machtvakuum macht sich der IS zunutze. Die Extremisten drohen, von Sirte her weiter vorzurücken. Eine Ölanlage haben sie – anders als in Syrien – bislang nicht unter ihre Kontrolle gebracht. Die IS-Miliz behauptete, sie habe die nahe Es Sider gelegene Stadt Ben Dschawad eingenommen. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es allerdings nicht.
Wer genau hinter den Aktivitäten des IS in Libyen steckt, ist schwer zu beurteilen. Tatsache ist, dass Saudi-Arabien den IS seit jeher mit Waffen und Finanzmitteln unterstützt. Die Entwicklung in Libyen könnte ein Musterbeispiel dafür sein, wie regionale militärische Konflikte die Öl-Märkte beeinflussen, ohne dass es zu einem großen Krieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien kommen muss. Die Konflikte können im Grunde nach Belieben zwischen Schiiten und Sunniten geschürt werden. Eine Karte von Goldman Sachs zeigt sehr anschaulich, wie fragil die Lage im Nahen Osten wird, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt eines religiösen Bruderkriegs betrachtet:
Eine Folge dieses Existenzkampfs der Giganten wird jedenfalls die Tatsache sein, dass es zu weiteren Vertreibungen kommen wird. Die Flüchtlingskrise wird demnach in den kommenden Monaten nicht nur nicht gelöst, sondern verschärft werden. Die einschlägigen Folgen für Europa sind wegen des Bekenntnisses von Angela Merkel zu umfassend offenen Grenzen absehbar.