Politik

Erdogan lässt Merkel abblitzen: Kein Nachgeben im Krieg gegen Terror

Der türkische Präsident Erdogan hat Bundeskanzlerin Merkel klargemacht, dass er zu keinerlei Konzessionen im Krieg gegen den Terror bereit sei. Die EU will weiter auf einer Entschärfung der türkischen Terror-Gesetze beharren. Merkel räumte ein, dass die Visafreiheit bis zum Juni nicht zu schaffen sei.
24.05.2016 00:28
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in Istanbul unnachgiebig gezeigt, was die Veränderung der umstrittenen Anti-Terror-Gesetze anlangt. Die Zeitung Hürriyet berichtet: „Erdogan machte bei dem Treffen deutlich, dass die Türkei unter keinen Umständen zu Konzessionen im Kampf gegen den Terrorismus bereit sei. Merkel zeigte Verständnis für diese Haltung.

Er forderte sowohl in der Flüchtlings-Frage als auch beim Kampf gegen ISIS eine gerechte Lastenverteilung. Merkel und Erdogan kamen darin überein, das der EU-Türkei-Deal seine ersten Früchte bringe und der illegale Zustrom zurückgehe. Zudem beschlossen sie angesichts der Luftschläge des Assad-Regimes auf Aleppo stärker zusammenzuarbeiten.“

Merkel hatte am Montag an dem World Humanitarian Summit in Istanbul teilgenommen. Merkel würdigte die türkischen Anstrengungen und lobte, dass die Türkei die meisten Bedingungen für das Flüchtlingsabkommen mit der EU umgesetzt habe. Der Erfolg sei daran abzulesen, dass nur noch wenige Flüchtlinge in Griechenland ankämen und es in der Ägäis kaum noch zu Todesfällen komme.

Vor ihrer Türkei-Reise hatte Merkel der Zeitung Türkiye gesagt: „Ich kenne Erdogan seit Jahren. Ich schaue mir die Versprechungen an und sehe, dass sie alle von der Türkei eingehalten wurden. Der Deal ist im Interesse aller Seiten. Die Türkei ist ein wichtiger Partner und Nachbar der EU.“

Auf Nachfrage, was sie von Erdogans Kritiken an der EU hält, antwortete die Kanzlerin: „Es ist nicht mein Metier, psychologische Analyse zu betreiben. Die Türkei hat in den vergangenen Jahren einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnet. Der türkische Staatschef hat einen großen Anteil daran.“

Der türkische Sender NTV berichtet, dass Merkel bei ihrem Besuch auf die 72 Kriterien hingewiesen habe, die wichtig sind für die Visaliberalisierung für Türken.

„Ich habe Staatschef Erdogan gesagt, dass die Türkei ein starkes Parlament braucht. Ich habe auch ganz offen die Wichtigkeit der Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Medien betont. Die Aufhebung der Immunität von ein Viertel der Abgeordneten finde ich besorgniserregend und habe das auch so kundgetan“, zitiert Fortune Türkiye Merkel.

Das Treffen zwischen Erdogan und Merkel soll etwa eine Stunde gedauert haben, meldet die Milliyet.

Die EU und Bundeskanzlerin Angela Merkel sehen keine Möglichkeit mehr, die Visafreiheit für Türken bis Ende Juni einzuführen – setzen aber weiter auf das vereinbarte Flüchtlingsabkommen. „Ich habe den Eindruck, dass dieses Abkommen in beiderseitigem Interesse ist“, sagte Merkel am Montag in Istanbul nach einem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Ähnlich äußerte sich Erdogans Büro. Die EU-Bedingung, dass die Türkei ihre Anti-Terror-Gesetze anpasst, bleibt aber umstritten.

Die EU-Kommission ließ am Montag deshalb den Zeitpunkt der Visafreiheit für Türken in der EU offen. „Wahrscheinlich ist das Datum nicht so wichtig, so lange wir es richtig machen“, sagte am Montag der Chefsprecher der Kommission, Margaritis Schinas. Die Beratungen dazu dauerten an, und die EU-Kommission werde sicherstellen, dass alle Voraussetzungen für die Aufhebung der Visumspflicht erfüllt würden. In den vergangenen Wochen hatte die Behörde stets betont, sie wolle die Visafreiheit bis Ende Juni in trockenen Tüchern haben. Die Bundesregierung rechnet einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufolge erst 2017 mit der Visafreiheit für türkische Bürger.

Nach heftiger Kritik aus der CSU verteidigte Merkel das Abkommen erneut. Dieses verpflichtet die Türkei, die nach Griechenland über die Ägäis kommenden Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug nimmt die EU direkt syrische Flüchtlinge aus der Türkei auf und zahlt in zwei Schritten bis zu sechs Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge. Zudem wird der Türkei Visafreiheit gewährt, wenn es alle Anforderungen der EU erfüllt. Bisher sind nach Angaben der EU-Kommission im Rahmen der Vereinbarungen von März 441 Migranten aus Griechenland in die Türkei zurückgebracht worden. Zugleich habe die EU 280 Syrer direkt aus der Türkei aufgenommen.

Merkel sagte erneut zu, in einem späteren Schritt syrische Kontingentflüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen. Erdogans Vorwurf, die EU habe nachträglich die Forderung nach einer Änderung der Anti-Terror-Gesetze aufgestellt, konterte sie aber mit dem Hinweis, dass die Kriterien für die Visafreiheit bereits im November 2013 von beiden Seiten einvernehmlich festgelegt worden seien. In der Bundesregierung wurde darauf verwiesen, dass dies von Erdogan selbst ausgehandelt worden sei.

Erschwert wird die Debatte durch das Vorgehen des Präsidenten gegen die türkische Opposition. Das türkische Parlament hatte vorige Woche die Aufhebung der Immunität von mehr als hundert Abgeordneten beschlossen, die mehrheitlich der prokurdischen HDP und der ebenfalls oppositionellen CHP angehören. Sowohl Merkel als auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, äußerten sich besorgt darüber.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Panorama
Panorama Ukraine-Krieg: Gescheiterte Verhandlungen 2022 - Lawrow über Waffenruhe „Wir wollen das nicht mehr“
22.05.2025

Russlands Außenminister Sergej Lawrow erteilt einer langfristigen Waffenruhe eine Absage. Nach Angaben des russischen Außenministers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Milliardär Arnault warnt: EU treibt Industrie in den Abgrund
22.05.2025

Bernard Arnault, der reichste Mann Europas, schlägt Alarm: Die EU spiele mit dem Feuer, während Zölle explodieren und ganze Branchen...

DWN
Politik
Politik Russisches Schatten-Schiff vor Polens Küste: Polen interveniert - ein verdächtiges Manöver?
22.05.2025

Ein russisches Schiff der „Schattenflotte“ hat verdächtige Manöver in der Nähe des Verbindungskabels zwischen Polen und Schweden...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI statt Ruhestand: Google-Mitgründer Brin kehrt zurück – jetzt wird’s ernst
22.05.2025

Sergey Brin ist zurück – getrieben von der KI-Revolution. Google greift mit neuer Macht an, doch die Fehler der Vergangenheit sitzen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Brüssel bremst Billig-Boom: EU erklärt Temu und Shein den Zoll-Krieg
22.05.2025

Die EU greift zur Zollkeule: Mit einer neuen Pauschalabgabe sollen Temu und Shein ausgebremst werden – doch am Ende zahlen Europas...

DWN
Finanzen
Finanzen Immobilien: Banken vergeben deutlich mehr Kredite für Wohnimmobilien
22.05.2025

Die Immobilienpreise waren zeitweise spürbar gefallen, nun kommt der Markt wieder in Fahrt. Verbraucher und Investoren schließen deutlich...

DWN
Finanzen
Finanzen WHO verabschiedet Pandemie-Abkommen inmitten der Finanzkrise: Deutschland sagt weitere Millionen zu
22.05.2025

Der Weltgesundheitsorganisation fehlen in den kommenden zwei Jahren 1,7 Milliarden Dollar (rund 1,5 Mrd Euro), unter anderem, weil die USA...

DWN
Panorama
Panorama Einwanderungsland Deutschland: Jeder vierte Mensch hat einen Migrationshintergrund
22.05.2025

Rund 21,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte haben im vergangenen Jahr in Deutschland gelebt. Das sind vier Prozent mehr als im...