Politik

Zu viele Flüchtlinge: Streit zwischen Italien und der EU eskaliert

Lesezeit: 2 min
26.10.2016 00:00
Italien steuert auf einen ernsten Konflikt mit der EU zu: Der italienische Ministerpräsident Renzi fordert umgehend Hilfe bei den Flüchtlingen. Die EU will das neue Defizit Italiens nicht widerspruchslos zur Kenntnis nehmen.
Zu viele Flüchtlinge: Streit zwischen Italien und der EU eskaliert

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Italien sieht sich mit dem Flüchtlingszustrom überfordert und hat erneut Hilfe von den anderen europäischen Ländern eingefordert. Sein Land könne eine ähnliche Zahl an Zuwanderern wie in diesem Jahr nicht ein weiteres Jahr verkraften,sagte Ministerpräsident Matteo Renzi am Dienstag im italienischen Fernsehen. Der Zustrom von Flüchtlingen müsse bis März gestoppt werden, forderte er. Allein zwischen Freitag und Sonntag hat die italienische Küstenwache mehr als 6000 Menschen aus dem Meer gerettet. In diesem Jahr sind bereits rund 155.000 Flüchtlinge über den Seeweg in Italien angekommen - soviel wie im gesamten vergangenen Jahr. Vor allem von Libyen aus operierende Menschenschmuggler schicken Flüchtlinge gegen hohe Summen auf das Mittelmeer in Richtung Italien.

Renzi hat nun wegen der Weigerung anderer EU-Mitgliedstaaten zur Aufnahme von Flüchtlingen mit einem Veto gegen den EU-Haushalt gedroht. Renzi rechnete am Dienstag im Sender RAI 1 vor, sein Land zahle 20 Milliarden Euro an die EU und erhalte zwölf Milliarden zurück. Wenn dann Staaten wie Ungarn, Tschechien und die Slowakei, die eine Umverteilung von Flüchtlingen ablehnten, "uns belehren", komme er zu dem Schluss, dass das System "nicht funktioniert", ergänzte Renzi.

Allerdings hatte Renzi erst vor wenigen Tagen selbst damit gedroht, eine Mauer gegen die Flüchtlinge errichten zu wollen, wenn die EU sein höheres Defizit nicht anerkennt. 

Auf die Nachfrage, ob seine Regierung notfalls ein Veto gegen den EU-Haushalt einlegen werde, antwortete Renzi: "Ja, absolut." Wer Mauern gegen Flüchtlinge errichte, könne "das italienische Geld vergessen", fuhr Renzi fort. "Wenn die Flüchtlinge nicht durchkommen, kommt das Geld auch nicht durch."

Seit Anfang des Jahres wurden den italienischen Behörden zufolge bereits fast 155.000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet und nach Italien gebracht - so viele wie im gesamten Vorjahr. Wegen der Versorgung der Flüchtlinge und wegen des Erdbebens vom August in der Region Latium, bei dem knapp 300 Menschen ums Leben kamen, hat die italienische Regierung ihre Haushaltsplanungen für das kommende Jahr korrigiert. Nunmehr wird ein öffentliches Haushaltsdefizit von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eingeplant, das deutlich über den zuvor an die EU gemeldeten Werten liegt.

Renzi attackierte im Gegenzug die EU-Kommission und wies deren Kritik an dem geplanten Defizit im Staatshaushalt für 2017 wies Renzi scharf zurück. "Sie sollten ihre Brieftasche öffnen statt ihren Mund aufzureißen", sagte er mit Blick auf die Kritik der EU-Kommission.

Die EU-Kommission hat Italien zur Erläuterung seiner Haushaltspläne für das kommende Jahr aufgefordert. In einem Schreiben an Finanzminister Pier Carlo Padoan vom Dienstag wird auch eine Erklärung dafür gefordert, warum das geplante Haushaltsdefizit deutlich höher ist als von der Regierung in Rom noch im Mai zugesagt. Ähnliche Aufforderungen erhielten auch die Regierungen in Spanien, Portugal, Litauen, Finnland und Zypern.

Die Regierung in Rom hatte in Erwartung einer Mahnung aus Brüssel bereits erklärt, der Haushalt für 2017 werde selbst dann nicht überarbeitet, wenn dieser aus Sicht der EU-Kommission die europäischen Fiskalregeln verletzen sollte. "Wir wollen auf die Bedürfnisse der italienischen Bürger eingehen, nicht auf die Brüsseler Technokratie", hatte Ministerpräsident Matteo Renzi erklärt.

Das italienische Parlament muss den bereits im Kabinett gebilligten Haushalt bis Ende des Jahres absegnen. Renzis Pläne sehen für 2017 ein Haushaltsdefizit von 2,3 Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Noch im Mai wurde in einem Brief an die EU-Kommission ein Defizit von 1,8 Prozent genannt. Italien muss allerdings das strukturelle Defizit, bei dem der Einfluss von Konjunkturschwankungen herausgerechnet wird, pro Jahr um 0,5 Prozent abbauen, bis der Haushalt nahezu ausgeglichen ist oder einen Überschuss aufweist. Renzis Pläne sehen jedoch vor, diese Lücke nächstes Jahr noch zu vergrößern, statt wie gefordert zu verkleinern.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tesla Grünheide - Protesttage: Polizei schützt Autofabrik mit Großaufgebot
10.05.2024

Die Kundgebungen gegen den Autobauer Tesla in Grünheide erreichten am Freitag einen neuen Höhepunkt. Während eines...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Chefredakteur kommentiert: Deutsche Bahn, du tust mir leid!
10.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Technologie
Technologie Kein Erdgas mehr durch die Ukraine? Westeuropa droht erneute Energiekrise
10.05.2024

Eines der größten Risiken für die europäische Erdgasversorgung im nächsten Winter ist die Frage, ob Gaslieferungen weiterhin durch die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch: Deutscher Leitindex springt auf Allzeithoch bei über 18.800 Punkten
10.05.2024

Der DAX hat am Freitag mit einem Sprung über die Marke von 18.800 Punkten seinen Rekordlauf fortgesetzt. Was bedeutet das für Anleger und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Streik am Bau: Gewerkschaft kündigt Proteste in Niedersachsen an
10.05.2024

Die IG Bauen Agrar Umwelt hat angekündigt, dass die Streiks am Bau am kommenden Montag (13. Mai) zunächst in Niedersachsen starten...

DWN
Politik
Politik Selenskyj drängt auf EU-Beitrittsgespräche - Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Überblick
10.05.2024

Trotz der anhaltenden Spannungen an der Frontlinie im Ukraine-Krieg bleibt Präsident Selenskyj optimistisch und setzt auf die...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Spahn spricht sich für breite Analyse aus mit allen Blickwinkeln
10.05.2024

Im deutschen Parlament wird zunehmend eine umfassende Analyse der offiziellen Corona-Maßnahmen, einschließlich Masken und Impfnachweisen,...

DWN
Politik
Politik Pistorius in den USA: Deutschland bereit für seine Aufgaben
10.05.2024

Verteidigungsminister Boris Pistorius betont in Washington eine stärkere Rolle Deutschlands im transatlantischen Bündnis. Er sieht den...