Unsicherheit bleibt – Märkte steuern auf heißes Halbjahr zu
Wer wird neuer US-Notenbankchef, wirkt sich der Zollstreit weiter auf die Inflation aus und platzt die Blase bei Rüstungsaktien? Drei Chefstrategen geben ihre Einschätzung zum zweiten Börsenhalbjahr. Die erste Jahreshälfte ist vorbei, Investoren richten den Blick auf die kommenden sechs Monate.
In einem Punkt sind sie sich absolut einig: Die Unsicherheit und Unberechenbarkeit, die bereits die ersten sechs Monate prägten, werden bleiben. „Ich kann mit Sicherheit sagen, dass das zweite Halbjahr genauso unsicher und unvorhersehbar wird wie das erste. Daher werden die Schwankungen an den Märkten anhalten“, sagt Tine Choi, Chefstrategin beim dänischen Pensionsfonds PFA. PFA fokussiert sich im zweiten Halbjahr besonders auf drei zentrale Kurstreiber: die Ernennung des neuen US-Notenbankchefs (Federal Reserve, Fed), die bis zum 9. Juli zu verhandelnden Handelsabkommen der USA sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Beschlüsse. „Bereits jetzt spekulieren Marktakteure darüber, dass Donald Trump im September oder Oktober Jerome Powell ablösen könnte. Die Frage ist: Bleibt es einer der bisherigen Fed-Chefs oder holt er jemanden, der ihm nach dem Mund redet? Die Wahl ist entscheidend für die Marktreaktionen“, so Choi. Sollte der US-Präsident einen Fed-Chef ernennen, der Trumps Wunsch nach raschen Zinssenkungen folgt, könnte das teuer werden.
„Ein Fed-Chef, der Trump – im Gegensatz zu Powell – nach dem Mund redet, wäre äußerst negativ für Aktien. Das würde zeigen, dass die Fed nicht mehr unabhängig vom politischen System ist. Eine unabhängige Notenbank ist aber essenziell für das Vertrauen“, betont Choi. Angesichts der hohen Unsicherheit hat PFA seine Erwartungsspanne für die Entwicklung der globalen Aktienmärkte ausgeweitet – von bisher 5 bis 10 Prozent zum Jahreswechsel auf nun 0 bis 10 Prozent binnen der nächsten zwölf Monate.
Rücksetzer und Kaufgelegenheiten
Bei Nordea fällt das Basisszenario optimistischer aus. Chefstrategin Josephine Cetti rechnet mit einer 60-prozentigen Wahrscheinlichkeit, dass Aktien im kommenden Jahr um 5 bis 15 Prozent steigen. Weitere 20 Prozent Wahrscheinlichkeit sieht sie für eine noch bessere Entwicklung mit globalen Kursgewinnen zwischen 15 und 25 Prozent. Das negative Szenario erhält ebenfalls eine Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent – in diesem Fall drohen Rückgänge von 15 bis 25 Prozent an den Weltbörsen. „Kurzfristig müssen sich Anleger aber auf Turbulenzen einstellen“, sagt Cetti. Sie verweist darauf, dass US-Aktien seit den Kursverlusten im April um rund 25 Prozent gestiegen sind – auf neue Rekordstände. „Nach solch starken Kursanstiegen ist das Rückschlagrisiko klar erhöht. Rücksetzer gehören dazu. Viele Investoren werden diese Korrekturen als Kaufchance nutzen“, so Cetti. Viele größere Anleger hätten seit den Kursverlusten im April noch nicht wieder ausreichend Risiko aufgebaut. „Ich glaube, viele warten gezielt auf eine Korrektur und auf schwache Konjunkturdaten, um wieder einzusteigen.“
Blase bei Rüstungsaktien?
Cetti sieht die nächsten Kurstreiber bereits im Juli. Dazu zählt das große Gesetzespaket, das – in aktueller Fassung – eine erneute Anhebung der US-Schuldenobergrenze vorsieht. Ein weiterer Kurstreiber sind die Handelsabkommen der USA, die bis zum 9. Juli vereinbart werden sollen. Auch die Inflationsdaten am 15. Juli könnten neue Impulse bringen. Zudem beginnt dann die Berichtssaison. „Im Juli legen rund 75 Prozent der Unternehmen aus dem S&P 500 ihre Quartalszahlen vor. Ich erwarte eine solide Berichtssaison. Bei guten Zahlen dürften einige Einzelwerte zulegen“, sagt Cetti. Nordea beobachtet besonders aufmerksam die europäischen Rüstungsaktien. Diese befinden sich laut Bankeneinschätzung aktuell in einer Blase – einige Titel legten allein dieses Jahr um fast 200 Prozent zu. Auch Bankaktien stehen im Fokus. Diese sind im laufenden Jahr zwar ebenfalls gestiegen, allerdings deutlich moderater. „Wir empfehlen weiterhin Bankaktien aus Europa und den USA. Sie liefern stabile Gewinnzuwächse, betreiben Aktienrückkäufe und schütten Dividenden aus. Jeden Monat prüfen wir, ob wir das Übergewicht abbauen sollen. Doch die Fundamentaldaten sprechen noch immer für die Titel“, so Cetti. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15 bis 16 gelten globale Bankaktien zwar als teurer als historisch üblich, bleiben aber günstiger als der Gesamtmarkt, dessen KGV bei 19 liegt. „Bankaktien sind zwar überdurchschnittlich teuer, aber globale Aktien insgesamt noch teurer. Zudem liefern Banken hohe Eigenkapitalrenditen und gelten als solide“, sagt sie.
Historischer Dollar-Absturz
Henrik Henriksen, Chefstratege von Petersen & Partners, sieht vor allem die Dollar-Entwicklung als prägendes Element des ersten Halbjahres. „Das ist der stärkste Dollar-Rückgang seit 1973. Zwar liegt der S&P 500 dieses Jahr 5 Prozent im Plus, aber der Dollar ist um 13 Prozent eingebrochen. Das ruiniert die Rendite“, sagt Henriksen. Die Dollar-Schwäche sei „das klarste Zeichen dafür, dass die Sonderrolle der USA hinterfragt wird“. „Die extreme Divergenz zwischen Aktien und Dollar zeigt das. Amerikanische Investoren setzen auf das Comeback, doch im Ausland wächst die Skepsis. Trumps Zollpolitik hat US-Aktien vermutlich einen Bärendienst erwiesen“, so Henriksen. Er rechnet im zweiten Halbjahr mit umfangreichen Konjunkturprogrammen – auch aus Deutschland. „Das wird groß ausfallen. Für Aktien bedeutet das: Wir dürften die nächste Rezession vermeiden. Die Aussichten bleiben akzeptabel“, so Henriksen. Dennoch bleibe Diversifikation entscheidend. „Auch dänische Aktien bieten Chancen. Der Markt gilt zwar als teuer, steht aber seit Jahren unter Druck. Die Bewertungen sind so niedrig wie lange nicht mehr. Die Pharmabranche hinkt besonders hinterher – weltweit, nicht nur in Dänemark.“
Ob Pharmawerte bereits im zweiten Halbjahr profitieren, lässt Henriksen offen. Doch er verweist darauf, dass der Anteil der Pharmabranche im S&P 500 auf dem niedrigsten Stand seit der Dotcom-Blase 2000 liegt. Tech-Aktien hätten sie klar abgehängt. „Die Pharmabranche könnte aufholen, wenn die Tech-Euphorie weiter abflacht. Erste Anzeichen dafür sind bereits erkennbar.“

