Kurz vor den US-Wahlen gerät die Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton wegen ihrer E-Mail-Affäre erneut erheblich unter Druck. Die Bundespolizei FBI gab am Freitag bekannt, sich nochmals mit der regelwidrigen Handhabung des Mailverkehrs durch die Ex-Außenministerin zu befassen, da neue Mails aufgetaucht seien. Clintons Rivale Donald Trump lobte das FBI für seinen "Mut", die eigentlich beendeten Untersuchungen wiederaufzunehmen. Er äußerte aber die Hoffnung, dass nun endlich "der Gerechtigkeit genüge getan" werde.
Wie kritisch die Lage für Clinton ist, zeigten Wortmeldungen aus beiden Lagern. Clintons Wahlkampfmanager John Podesta sagte: „Es ist erstaunlich, dass dies elf Tage vor der Präsidentenwahl geschieht.“
Der Republikaner Reince Priebus sagt laut NYT: „Die Eröffnung einer strafrechtlichen Untersuchung durch das FBI nur elf Tage vor der Wahl zeigen, wie gewichtig diese Entdeckung sein muss.“
Der Sprecher des Repräsentantenhauses der USA, Paul Ryan, sagte der Zeitung The Hill, die durchgehend direkt aus dem US-Kongress berichtet, dass Clinton „niemanden außer sich selbst für den Vorfall verantwortlich machen“ dürfe. Der Republikaner Ryan hatte sich zuvor im Wahlkampf von Donald Trump distanziert. Der US-Abgeordnete Peter King sagte dem Sender MSNBC, dass der Skandal um Clinton „völlig beispiellos“ sei.
Die New York Times berichtet, dass die neu aufgetauchten Mails, von denen das FBI spricht, bei den Ermittlungen gegen den wegen Sex-Mails zurückgetretenen Abgeordneten Anthony Weiner gefunden worden sein sollen. Weiner war kurzzeitig der Mann von Clintons engster Vertrauter Huma Abedin. Das FBI ermittelt gegen den Ex-Abgeordneten, weil er schlüpfrige Botschaften an ein 15-jähriges Mädchen geschickt haben soll. Abedin hatte sich im August von ihrem Mann getrennt. Sie ist Vizechefin von Clintons Wahlkampfteam und war früher ihre Spitzenberaterin im Außenamt.
Clinton hatte in ihrer vierjährigen Amtszeit als Außenministerin unter Verstoß gegen alle geltenden Regeln private und damit unzureichend geschützte Server für ihre dienstliche Kommunikation genutzt. FBI-Direktor James Comey erteilte ihr dafür im Juli zum damaligen Abschluss der Untersuchungen eine scharfe Rüge, indem er ihr "extreme Nachlässigkeit" vorwarf.
Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten sah der FBI-Chef damals jedoch nicht. Aufgrund der Empfehlungen Comeys verzichtete das Justizministerium daraufhin auf ein Ermittlungsverfahren gegen Clinton. Allerdings hatte die Einstellung einen schalen Beigeschmack: Bill Clinton hatte unmittelbar vor der Entscheidung die US-Justizministerin zu einem zufälligen Plausch auf einem Flughafenfeld getroffen.
Am Freitag teilte FBI-Chef Comey in einem Brief an den Kongress mit, seine Behörde habe von weiteren E-Mails erfahren, "die für unsere Untersuchung relevant zu sein scheinen". Ermittler würden nun prüfen, ob diese neu aufgetauchten Mails möglicherweise als vertraulich eingestufte Informationen enthielten, hieß es in dem von republikanischen Parlamentariern veröffentlichten Schreiben.
Comey hatte im Juli mitgeteilt, dass unter den 30.000 E-Mails, die Clinton nachträglich an ihr früheres Ministerium übermittelt hatte, 110 mit als vertraulich eingestuftem Inhalt gewesen seien. Acht Mailsequenzen hätten sogar Informationen der höchsten Geheimhaltungsstufe "Top Secret" enthalten.
Clinton äußerte sich am Freitag zunächst nicht zu den neuen Untersuchungen des FBI. Sie hat ihren damaligen Umgang mit den Mails wiederholt als "Fehler" bezeichnet. Die Bundespolizei werde am Ende wie bereits vor einigen Monaten keine Anklage gegen Clinton empfehlen, erklärte ihr Wahlkampf-Manager John Podesta am Freitag. "Das FBI schuldet dem amerikanischen Volk sofort Aufklärung über alle Details zu dem, was es untersucht", schrieb Podesta laut Reuters. "Wir sind zuversichtlich, dass dies keine anderen Schlussfolgerungen erbringen wird als die, zu denen das FBI im Juli gelangt ist", erklärte Podesta weiter.
Das Problem der nunmehrigen Ermittlungen könnte für Clinton darin bestehen, dass über Wikileaks in den vergangenen Monaten ein klareres Bild über die Verquickung der Privatinteressen der Clinton-Familie mit ihre öffentlichen Ämtern zu gewinnen war. So zahlte der König von Marokko einen Millionenbeitrag an die Stiftung,
Der Wall Street-Analyst und Investor Charles Ortel hat sich aus steuertechnischer Hinsicht mit der seit Monaten ins Gerede gekommenen Clinton-Foundation beschäftigt. Er hat sich zu diesem Zweck als Finanz-Analyst in alle verfügbaren Zahlen der Stiftung eingearbeitet und kommt zu einem vernichtenden Urteil: Die Stiftung verfolge keine gemeinnützigen Zwecke wie behauptet, sondern sei ein „Mammut-Spendenbetrug“, wie Ortel in seinem Bericht schreibt. Die Stiftung habe keine Anrecht auf Steuerbefreiung wie andere NGOs. Im Grunde müssten die meisten Zahlungen als Einkünfte der Clintons versteuert werden, weil die „Spenden“ nicht für wohltätige Zwecke verwendet wurden, sondern direkt in die Taschen der Clinton-Familie gewandert seien.
Interessanterweise greift das Wall Street Journal diesen Ansatz am Freitag in einem Meinungsbeitrag auf und fragt, warum die Steuerbehörde nicht längst gegen Clinton ermittle. Das WSJ bezieht sich auf Aussagen von Doug Band, eines Mitarbeiters der Stiftung, der die Aktivitäten der vorgeblich gemeinnützigen Stiftung als "Bill Clinton AG" beschreibt. Im Unterschied zu echt philantropischer Arbeit ist jede kommerzielle Tätigkeit in den USA steuerpflichtig. In einem Artikel unter der Überschrift "Die kalte Realität der Clintons" zeigt sich das WSJ vor allem besorgt darüber, dass auch nach der Wahl noch Emails auftauchen könnten, die Clinton kompromittieren oder gar erpressbar machen. Das Journal schreibt, dass man nicht wisse, ob Russland im Besitz der verschwundenen Clinton-Mails ist.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass bereits im Juni die russischen Geheimdienste ihre US-Kollegen informiert hatten, dass sie unzufrieden mit den offiziellen US-Untersuchungen seien. Sie argwöhnten damals, dass die US-Regierung die Veröffentlichung von möglicherweise kompromittierenden Erkenntnissen verhindern wolle, um die Wahl Clintons nicht zu gefährden. Die Russen drohten damals mit der Veröffentlichung der Clinton-Emails. In der Regel arbeiten die Geheimdienste der Großmächte trotz aller Rivalitäten auch zusammen. Andererseits gibt es zwischen den verschiedenen Geheimdiensten Rivalitäten, in den USA etwa zwischen dem FBI, das gegen verdeckte Operationen im Ausland ist, und der CIA:
Clinton selbst hatte das Thema gegen Trump angezogen. Sie warf dem schillernden Immobilien-Unternehmer vor, keine Steuern gezahlt zu haben und damit die Amerikaner um Einkünfte geprellt zu haben. Trump dürfte im Hinblick auf Steuerhinterziehung allerdings ein vergleichsweise reines Gewissen haben: Seine Firmen und er selbst werden jährlich kontrolliert - was sich in diesem Fall als Vorteil erweisen könnte.
Die Affäre könnte Clinton auch bei den Wählern schaden: Eine aktuelle Untersuchung der Chapman University hat ergeben, dass die Amerikaner die Korruption der Regierung für das größte Problem ihres Landes halten: