Politik

Keine Zeugen: Italien bestätigt Tod des Berliner Tatverdächtigen

Der von Deutschland zur Fahndung ausgeschriebene Anis Amri ist nach Angaben der italienischen Regierung tot. Er starb bei einem Schusswechsel mit der Polizei - nach einer normalen Straßenkontrolle in Mailand. Ob dieser Mann wirklich etwas mit dem Lkw-Anschlag von Berlin zu tun hat ist völlig unklar.
23.12.2016 12:58
Lesezeit: 3 min

Ein wegen des Berliner Lkw-Anschlags europaweit gesuchter Mann namens Anis Amri, der aus Tunesien stammen soll, ist am Freitag im Morgengrauen in Mailand erschossen worden. Der 24-Jährige wurde am frühen Freitagmorgen bei Mailand von der Polizei bei einer Straßenkontrolle getötet, wie der italienische Innenminister Marco Minniti am Freitag in Rom sagte. Der von der dpa als "mutmaßlicher islamistischer Terrorist" klassifizierte Mann habe «ohne zu zögern» seine Waffe gezogen und geschossen, nachdem er nach seinen Papieren gefragt wurde. Ob es zu dem Vorfall Zeugen gibt, ist nicht bekannt.

Ob der Mann wirklich für den Lkw-Anschlag verantwortlich ist, ist unabhängig nicht zu beurteilen. In dem Lkw war nach zwei Tagen angeblich eine Duldungsbestätigung gefunden worden, die auf den Namen Anis Amri gelautet hat. Die Bild-Zeitung und die Süddeutsche erklärten das Phänomen mit dem Bestreben von Islamisten, der Nachwelt als Helden in Erinnerung zu bleiben. Allerdings war der Fahrer des Lkw offenbar nicht an seinem sofortigen Tod interessiert, sondern ergriff die Flucht.

Einen weiteren Tag später sollen Fingerabdrücke an der Tür des Lkw gefunden worden sein. Der Lkw war zu diesem Zeitpunkt längst vom Tatort abtransportiert worden. Die lange Dauer bis zum Finden der Fingerabdrücke erklären "Ermittler" der Bild damit, dass zuerst Hunde in das Führerhaus gelassen werden sollten. Die dpa wiederum berichtet am Freitag, die Fingerabdrücke wurden erst so spät gefunden, weil das Führerhaus "versiegelt" gewesen sei.

Zu dem Vorfall ist außerdem ein seltsames Video auf der Bild-Zeitung aufgetaucht. Es soll den Lkw zeigen, wie er in Richtung Breitscheidplatz rast. Es ist nicht festzustellen, ob dieses Video echt ist. Die Urheber sind unklar, es gibt zum Aufnahmeort widersprüchliche Angaben. Das Video zeigt den Lkw in so schneller Fahrt, dass es schwer vorstellbar ist, dass der Lenker gleichzeitig noch dem angeblich neben ihm sitzenden polnischen Kraftfahrer mehrere Messerstiche beigebracht haben soll. Außerdem ist bei "Aufprall" des Lkw keinerlei Rauch zu erkennen, er verschwindet wie von Geisterhand aus dem Bild.

Der in Mailand erschossene Mann soll nach dem Anschlag mit dem Zug über Frankreich nach Italien gereist sein. Woher die Polizei das weiß, ist unklar. Am Bahnhof Sesto San Giovanni im Großraum Mailand begegnete er nach Polizeiangaben um etwa 03.30 Uhr den Polizisten, die ihn bei einem Schusswechsel töteten - so die dpa. Ein an der Schulter getroffener 36-jähriger Polizist schwebe nicht in Lebensgefahr, sagte Minniti.

Der Mann namens Anis Amri hatte jahrelang in Italien gelebt, zeitweise in Haft. Amri, der 2015 über Freiburg nach Deutschland einreiste, war Medienberichten zufolge in Italien und Tunesien bereits zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Warum Amri dann ausgerechnet nach Italien geflohen sein soll, ist unklar.

Der Tagesspiegel präsentierte am Freitag unter Berufung auf anonyme Ermittler die Variante des isolierten Einzeltäters, der sich unauffällig "selbst radikalisiert" habe. Amri habe zwar mit dem IS über einen Internet-Chat in Kontakt gestanden, sei aber vermutlich nicht aus Syrien oder Irak gesteuert worden. Reuters übernimmt diese Variante und schreibt: "Der 24-Jährige habe offenbar auf eigene Faust gehandelt und sich den Lkw-Anschlag in Nizza zum Vorbild genommen."

Der Zusammenhang mit dem IS war über die US-Website SITE hergestellt worden.

Reuters erklärt weiter die Ausführungen der anonymen Tagesspiegel-Ermittler: "Amri sei der Kategorie von "Terroristen" zuzurechnen, die in ihrem früheren Leben als Kriminelle agierten, dann gläubig wurden und ihre kriminellen Fähigkeiten in den Terror einbringen, sagte der Sicherheitsexperte dem Blatt. Bei den vergangenen Anschlägen in europäischen Staaten, die der IS für sich reklamierte, waren mehrfach polizeibekannte Kleinkriminelle die Täter. Amri habe geplant, als Märtyrer zu sterben, sagten Sicherheitskreise laut dem Tagesspiegel-Bericht. Das gehe aus seiner Kommunikation mit anderen Salafisten hervor. Der Tunesier stand nach Angaben aus Sicherheitskreisen unter anderem in Kontakt zum mittlerweile inhaftierten Hassprediger Abu Walaa."

Die Bundesregierung hat sich bei den italienischen Behörden für die enge Zusammenarbeit bedankt. Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, lobte am Freitag in Berlin einen "von Anfang an sehr engen und vertrauensvollen Informationsaustausch". Auch Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer sprach von einem "engen Austausch". Der Sprecher des Innenministeriums sagte laut AFP: Sollten sich die Meldungen als zutreffend erweisen, "dann ist das Bundesinnenministerium erleichtert, dass von dieser Person keine Gefährdung mehr ausgeht". Der Sprecher sagte, es "verdichteten sich die Anzeichen, dass es sich bei dem Getöteten um den mutmaßlichen Attentäter von Berlin handele".

Sollten all die von den Ermittlungs-Behörden vorgelegten Schlussfolgerungen von den politischen Behörden bestätigt werden, dürfte der Fall offiziell  in die Kategorie "rasch aufgeklärt" eingeordnet werden.

Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass es zu weiteren Vorkommnissen in Deutschland kommt: Ein früherer leitender Angestellter des britischen Geheimdienstes MI6 sagte, es gäbe 7.000 Terrorverdächtige in Deutschland. Belege für diese These legte er nicht vor.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Meta trainiert KI mit Ihren Daten – ohne Ihre Zustimmung. So stoppen Sie das jetzt!
09.05.2025

Ab dem 27. Mai analysiert Meta öffentlich sichtbare Inhalte von Facebook- und Instagram-Nutzern in Europa – zur Schulung seiner...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Silicon Valley wankt: Zölle, Zoff und zerplatzte Tech-Träume
08.05.2025

Während Europa auf seine Rezession zusteuert und China seine Wirtschaft auf staatlicher Kommandobasis stabilisiert, gibt es auch im sonst...

DWN
Panorama
Panorama Verkehrswende: Ariadne-Verkehrswendemonitor zeigt Entwicklung auf
08.05.2025

Wie sich die Verkehrswende in Deutschland aktuell entwickelt, ist nun auf einer neuen Onlineplattform des Potsdam-Instituts für...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation bewältigen: 7 Strategien für finanzielle Stabilität, weniger Belastung und einen nachhaltigeren Lebensstil
08.05.2025

Wer die eigenen Ausgaben kennt, kann gezielt handeln. So behalten Sie die Kontrolle über Ihr Geld. Mit Budgetplanung und klugem Konsum...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Maschinenbau: Bedeuten die Trump-Zölle das Ende einer deutschen Schlüsselindustrie?
08.05.2025

Der Maschinenbau befindet sich seit Jahren im Dauerkrisenmodus. Nun droht die fatale Zollpolitik des neuen US-Präsidenten Donald Trump zum...

DWN
Politik
Politik Anti-Trump-Plan: Halbe Milliarde Euro für Forschungsfreiheit in Europa
08.05.2025

Während US-Präsident Trump den Druck auf Hochschulen erhöht, setzt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf gezielte Anreize...

DWN
Technologie
Technologie Bitkom-Umfrage: Deutsche kritisieren Abhängigkeit von KI-Anbietern aus dem Ausland
08.05.2025

Die Bevölkerung in Deutschland verwendet zunehmend Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz. Gleichzeitig nimmt die Sorge über eine...

DWN
Politik
Politik Migrationspolitik: Wie die Neuausrichtung an den deutschen Außengrenzen aussehen könnte
08.05.2025

Das Thema illegale Migration und wer bei irregulärer Einreise an deutschen Landesgrenzen zurückgewiesen wird, beschäftigt die Union seit...