Politik

Angela Merkel: „Schwere Prüfungen“ für Deutschland

Lesezeit: 3 min
31.12.2016 01:16
Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Neujahrsansprache vor nationalen Alleingängen gewarnt. Sie ordnete trotz einer dürren Faktenlage die Anschläge in Bayern und Berlin den Flüchtlingen zu - und empfahl, dem „Hass der Terroristen“ mit Mitmenschlichkeit zu begegnen.
Angela Merkel: „Schwere Prüfungen“ für Deutschland

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Bundeskanzlerin Angela Merkel findet, die Deutschen seien im abgelaufenen Jahr "schweren Prüfungen" unterworfen gewesen. Sie appellierte in ihrer Neujahrsansprache an die Deutschen, "der Welt des Hasses der Terroristen unsere Mitmenschlichkeit und unseren Zusammenhalt entgegenzusetzen". Merkel sagte: "Wir gemeinsam sind stärker. Unser Staat ist stärker."

Die schwerste Prüfung sei der islamistische Terrorismus, sagte Merkel mit Blick auf die Anschläge im Sommer in Bayern und kürzlich auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche.

Tatsächlich sind die Hintergründe zu den Anschlägen in Ansbach und Würzburg unklar. Auch im Fall des Lkw-Anschlags von Berlin liegen der Öffentlichkeit keine unabhängig überprüfbaren Informationen vor, die einen "islamistischen Anschlag" zweifelsfrei bestätigen. Merkel selbst hatte schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt gesagt, dass ein "terroristischer Hintergrund" sehr wahrscheinlich sei. Es ist angesichts einer weitgehend unklaren und widersprüchlichen Faktenlage bemerkenswert, dass Merkel in ihrer Ansprache den Zusammenhang zwischen der Flüchtlingsbewegung und dem Terror wiederholte. Eigentlich müsste die Kanzlerin größte Zurückhaltung walten lassen, bevor nicht wirklich stichhaltige Belege über die Urheberschaft und die Hintermänner auf dem Tisch liegen.

Doch die Kanzlerin steht wegen der Öffnung der Grenzen und den in vielen Bereichen chaotischen Verhältnissen unter enormen Druck - und ordnet die Taten eindeutig Flüchtlingen zu. Es sei "besonders bitter und widerwärtig, wenn Terroranschläge von Menschen begangen werden, die in unserem Land angeblich Schutz suchen", sagte die Kanzlerin in ihrer Ansprache, die am Samstagabend ausgestrahlt werden soll. Die Täter hätten "die Hilfsbereitschaft unseres Landes erlebt" und würden diese "nun mit ihren Taten verhöhnen". Auch alle Flüchtlinge würde durch solche Taten verhöhnt.

Andere eindeutige Verbrechen wie der Mord in Freiburg oder der Macheten-Angriff in Reutlingen blieben dagegen unerwähnt.

Inmitten der tiefen Trauer um die Opfer sei gerade in diesen schweren Tagen Zuversicht spürbar, "in dem Trost, den wir spenden oder bekommen können", sagte Merkel laut vorab veröffentlichtem Redetext. "Indem wir unserem Leben und unserer Arbeit nachgehen, sagen wir den Terroristen: Sie sind Mörder voller Hass, aber wie wir leben und leben wollen, das bestimmen Sie nicht", sagte die Kanzlerin. "Wir sind frei, mitmenschlich und offen."

Angela Merkel redete von der "Verantwortung Deutschlands in der Flüchtlingskrise". Angesichts "der Bilder des zerbombten Aleppo" in Syrien sei es "wichtig und richtig" gewesen, dass Deutschland auch im zurückliegenden Jahr denjenigen geholfen habe, die tatsächlich Schutz brauchen.

Die Tatsache, dass in Syrien ein Krieg angezettelt wurde, in dem maßgeblich von den mit dem Westen verbündeten Golfstaaten finanzierte Söldner für Gräueltaten verantwortlich sind, erwähnte Merkel nicht. Ohne die von außen vorgetragene Eroberung wäre Aleppo niemals zum Kriegsgebiet geworden. Die CIA und Saudi-Arabien haben eingeräumt, militärisch in Syrien aktiv zu sein. Beide gehören der westlichen Allianz an. Erst vor wenigen Tagen war Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Riad zu Besuch gewesen und hatte mit den Saudis eine Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit vereinbart.

Die Demokratie, der Rechtsstaat und die deutschen Werte seien "der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus und sie werden stärker sein als der Terrorismus", sagte die Kanzlerin. Der Staat tue alles, um den Bürgern Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten. 2017 werde die Bundesregierung dort, wo politische oder gesetzliche Veränderungen nötig seien, die notwendigen Maßnahmen in die Wege leiten. Es ist unklar, ob diese "Maßnahmen" die Sicherheit der Bürger wirklich erhöhen oder nicht vielmehr dazu führen werden, dass die Freiheit unverhältnismäßig eingeschränkt wird.

Merkel äußerte sich auch zur EU-Krise: "Europa ist langsam. Es ist mühsam", räumte sie ein. Es habe zudem tiefe Einschnitte wie den Austritt eines Mitgliedsstaats hinzunehmen, sagte sie mit Blick auf die Brexit-Entscheidung der Briten. "Aber nein - wir Deutschen sollten uns niemals vorgaukeln lassen, eine glückliche Zukunft könne je im nationalen Alleingang liegen", sagte sie. Merkel erwähnte jedoch nicht, dass der deutsche Alleingang zur Öffnung der Grenzen im September 2015 die Ursache für den Vertrauensverlust in die EU gewesen ist. Auf die Kritik von George Soros, Deutschland sei wegen seines Beharrens auf Austerität verantwortlich für den Zerfall der EU, ging Merkel nicht ein.

Die Kanzlerin lobte die Stärke der parlamentarischen Demokratie. Es sei ein "Zerrbild", zu behaupten, diese kümmere sich nicht um die Interessen der Bürger, sondern diene nur dem Nutzen einiger weniger. Merkel sagte, wie sie sich den kritischen Umgang mit der Politik erwartet: "Kritik, die friedlich und im Respekt vor dem einzelnen Menschen daherkommt, die Lösungen und Kompromisse sucht und nicht ganze Gruppen ausgrenzt."

Angela Merkel lobte die soziale Marktwirtschaft: "Sie lässt uns Krisen und Veränderungsprozesse besser meistern als jedes andere Wirtschaftssystem auf der Welt." Noch nie hätten so viele Menschen Arbeit wie heute. Merkel erwähnte jedoch nicht, dass in vielen EU-Ländern die Jugendarbeitslosigkeit seit Jahren auf einem sehr hohen Niveau verharrt und dass die Beschäftigung auch in Deutschland vor allem im Niedriglohnsektor boomt.

"Zusammenhalt, Offenheit, unsere Demokratie und eine starke Wirtschaft, die dem Wohl aller dient: Das ist es, was mich für unsere Zukunft hier in Deutschland auch am Ende eines schweren Jahres zuversichtlich sein lässt", sagte die Kanzlerin in ihrer Ansprache (hier im Wortlaut).


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...