Politik

Analyse: Großbritannien setzt EU mit radikalem Austritt unter Druck

Die britische Regierung verfolgt beim EU-Austritt offenkundig über ein stringentes Konzept. Es wäre ein Fehler, wenn die EU die Entschlossenheit Londons unterschätzen würde.
19.01.2017 01:53
Lesezeit: 2 min

Die Rede der britischen Premierministerin Theresa May am Dienstag gab Einblicke in die Ziele der Regierung in London bezüglich der anstehenden Austrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Nachdem in den vergangenen Wochen über eine Planlosigkeit Mays in zentralen Fragen des Austritts spekuliert wurde, ließen die Ausführungen der Premierministerin erstmals Rückschlüsse auf eine grundlegende Strategie Großbritanniens zu, berichtet die Financial Times.

Auffallend war, dass sich May bemühte, gegenüber der EU einen freundlichen Tonfall zu demonstrieren. „Ich weiß, dass viele fürchten, dass dies der Beginn der Auflösung der EU sein könnte. Lassen Sie mich klas sagen: Ich will nicht, dass das passiert. Es wäre überhaupt nicht im Interesse Großbritanniens. Es bleibt überwältigend und offensichtlich in Britanniens Interesse, dass die EU erfolgreich ist“, sagte May. Damit legte sie die Grundlagen für einvernehmlich Verhandlungen, welche im März offiziell beginnen werden. Die Ankündigung, dass beide Kammern des Parlaments Ende 2018 über den Austrittsvertrag mit der EU abstimmen werden, soll Mays Respekt vor dem parlamentarischen System und dem britischen Volkswillen symbolisieren.

May machte unmissverständlich klar, dass Großbritannien in Fragen der Zuwanderung vollkommene Handlungsfreiheit haben werde. „Wir werden die Anzahl an Menschen genau kontrollieren, die aus der EU nach Großbritannien kommen“, sagte sie.

Dafür sei man bereit, den Zugang zum Einheitlichen Markt der EU aufzugeben und Lösungen für einzelne Bereiche in separaten Verhandlungen anzustreben. „Wir ersuchen keine Mitgliedschaft im Einheitlichen Markt. Stattdessen ersuchen wir den bestmöglichen Zugang dazu durch ein neues, umfassendes, gewagtes und ambitiöses Freihandelsabkommen.“ Dieser Standpunkt nimmt der EU ihr bislang wichtigstes Verhandlungsargument – den umfassenden Marktzugang – aus der Hand. Es besteht für die EU sogar das Risiko weiterer Nachahmungseffekte und Spaltungen, falls die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen für Großbritannien zu einer guten Lösung führen.

Die Beitragszahlungen werden May zufolge eingestellt, außer in speziellen Bereichen und Projekten. „Weil wir nicht länger Mitglieder des EU-Marktes sind, werden wir keine größeren Beiträge mehr zahlen müssen. Es gibt eventuell einige spezielle EU-Programme, bei denen wir dabei sein wollen, aber die Tage großer Beitragszahlungen an die EU werden enden“, wird May zitiert. Die Ankündigung, in einigen Bereichen weiterhin zu zahlen, lässt einen gewissen Einfluss zu, welcher im Interesse der Regierung in London und zur Beeinflussung einzelner EU-Staaten genutzt werden kann.

May drohte subtil, dass Großbritannien in der Lage sein könnte, die Position der EU zu erschweren, wenn dies nötig ist, berichtet Open Europe. „Und doch brachte die Premierministerin auch einen Stock mit, nicht nur Karotten. Sie führte Argumente des Finanzministers und des Notenbankchefs weiter aus, dass Großbritannien für die EU sehr wichtig sein und dass London durchaus auch hart auftreten könne, wenn nötig, schreibt Open Europe. May sagte, dass sie nicht erwarte, dass die EU eine „schändliche“ Selbstverletzung begehe, indem sie das Vereinigte Königreich bestrafen wolle. Dadurch warnte sie jene Kräfte innerhalb der EU, welche sich für eine Bestrafung ausgesprochen haben.

Um den Nutzen Großbritanniens für die EU aufzuzeigen, verweis May auf die Arbeit der britischen Geheimdienste, von der auch die europäischen Staaten profitieren würden und auf die Präsenz britischer Truppen in Polen und Estland.

Insgesamt wurde der Eindruck erweckt, dass Großbritannien in zentralen Fragen absolute Eigenständigkeit sucht, während es insgesamt flexibel und offen verhandeln werde. „Die Ziele Großbritanniens sind nun klarer – ein bestmögliches Freihandelsabkommen mit der EU ebenso wie eine strategische Partnerschaft mit horizontaler Kooperation in Fragen der Sicherheit und der Rechtsprechung, der Außenpolitik und Verteidigung sowie maßgeschneiderte Verträge, welche gemeinsame Standards bei Zöllen festschreiben, aber dem Land erlauben, eigenständig Freihandelsabkommen mit Drittstaaten abzuschließen. Betont wurde der schrittweise Austritt, um Unternehmen nicht unnötig zu belasten und eine Fokussierung auf die Ziele anstatt der Mittel“, fasst Open Europe wichtige Punkte der Rede Mays zusammen.

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