Italien erhöht angesichts steigender Flüchtlingszahlen den Druck auf die anderen EU-Staaten: Wie italienische Medien am Mittwoch berichteten, hat die Regierung in Rom der EU damit gedroht, Schiffen, die von NGOs betrieben werden und Flüchtlinge auf See aufgenommen haben, künftig die Einfahrt in italienische Häfen zu verbieten. Regierungskreise bestätigten der Nachrichtenagentur AFP die Angaben. "Es kann so nicht weitergehen", sagte ein Regierungsvertreter.
Den Berichten zufolge übergab der italienische EU-Botschafter Maurizio Massari bei einem Treffen in Brüssel einen Brief an EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. Die zuletzt stark gestiegenen Flüchtlingszahlen hätten Italien an seine "Schmerzgrenze" gebracht, klagt die Regierung darin. Die Zahlen sind in den vergangenen Wochen stark angestiegen.
Regierungschef Paolo Gentiloni sagte, Italien bitte die anderen EU-Länder darum, nicht länger "wegzuschauen". Präsident Sergio Mattarella sagte bei einem Besuch in Kanada, bei einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen werde die Situation selbst für ein "großes und offenes Land" wie Italien "nicht mehr zu bewältigen" sein.
Seit Sonntag wurden vor der libyschen Küste mehr als 10.000 Flüchtlinge gerettet, allein 5000 am Montag. Alle geretteten Flüchtlinge werden nach Italien gebracht. Die italienischen Aufnahmezentren sind bereits völlig überfüllt. Die italienische Küstenwache koordiniert die Rettungseinsätze im Mittelmeer, an denen auch zahlreiche ausländische Schiffe beteiligt sind. Viele von ihnen werden von Hilfsorganisationen betrieben. Die italienischen Behörden werfen den NGOs seit längerem vor, mit kriminellen Schleppern zu kooperieren.
Schiffe der EU-Mission "Operation Sophia" oder der EU-Grenzagentur Frontex sollen laut dpa von dem möglichen Verbot nicht betroffen sein. Auch Schiffe deutscher Hilfsorganisationen wie Sea Watch und Jugend Rettet könnten von dem Hafen-Verbot betroffen sein. Ärzte ohne Grenzen, die eine der größten Missionen im Mittelmeer fahren, erklärte, die oft verletzten Menschen müssten in den nächstgelegenen und in einen sicheren Hafen gebracht werden. Rein geografisch trifft es damit vor allem Italien.
Der italienische EU-Botschafter Maurizio Massari habe die «Notlage» seines Landes darstellen wollen und deshalb am Mittwoch EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos getroffen, erklärte ein EU-Diplomat in Brüssel. Es handele sich um einen formalen diplomatischen Schritt, hieß es in Rom.
Avramopoulos brachte nach dem Treffen seine Unterstützung für Italien und den «vorbildlichen» Umgang des Landes mit der Flüchtlingskrise zum Ausdruck. Seine Behörde sei bereit, der Regierung in Rom noch stärker unter die Arme zu greifen, «falls nötig auch mit erheblicher finanzieller Unterstützung».
Avramopoulos betonte, es gelte, stärker mit Herkunfts- und Transitländern zusammenzuarbeiten, um den Zuzug von Migranten zu mindern. «Wir alle haben eine humanitäre Verpflichtung, Leben zu retten. Wir können natürlich nicht eine Handvoll EU-Staaten damit alleine lassen», betonte der EU-Kommissar. Darüber müsse aber in erster Linie im Kreis der EU-Staaten beraten werden, unter anderem beim Treffen der europäischen Innen- und Justizminister in der kommenenden Woche im estnischen Tallinn.
Seit Januar erreichten nach Angaben des italienischen Innenministeriums mehr als 73.300 Flüchtlinge die Küste Italiens - die Zahl ist im Vergleich zum vergangenen Jahr um 14 Prozent gestiegen. Nach UN-Angaben sind seit Anfang 2017 mehr als 2000 Bootsflüchtlinge im Mittelmeer ums Leben gekommen oder gelten als vermisst. Italien fühlt sich seit Jahren mit dem Flüchtlingsproblem allein gelassen und fordert mehr Unterstützung der anderen EU-Länder.
Probleme gibt es auch an der Grenze zu Frankreich: Wie das Rote Kreuz am Mittwoch mitteilte, haben die italienischen Behörden die Hilfsorganisation darum gebeten, ihr Flüchtlingslager in der Grenzstadt zu vergrößern. Um künftig 500 statt 360 Flüchtlinge aufnehmen zu können, werden zusätzliche Container und Zelte aufgestellt.
Anfang der Woche hatten die Behörden ein improvisiertes Flüchtlingslager am Fluss Roya geräumt. 170 Flüchtlinge, hauptsächlich Sudanesen, hatten daraufhin versucht, über die Grenze nach Frankreich zu gelangen. Sie wurden von Schäfern entdeckt und von der Polizei nach Italien zurückgebracht.