Teurere Lebensmittel haben die Inflation im Juni steigen lassen. Die Verbraucherpreise in Deutschland zogen um durchschnittlich 1,6 Prozent zum Vorjahresmonat an, teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters zufolge mit. Im Mai lag die Rate bei 1,5 Prozent, im April bei 2 Prozent. Die Europäische Zentralbank (EZB) spricht bei Werten von knapp unter zwei Prozent von stabilen Preisen. Eine rasche Abkehr von ihrer Nullzinspolitik ist angesichts des geringen Inflationsdrucks in der Währungsunion nicht in Sicht – trotz besserer Konjunktur.
Preistreiber waren diesmal Nahrungsmittel. Sie kosteten 2,8 Prozent mehr als im Juni 2016. Besonders für Milchprodukte mussten die Verbraucher tiefer in die Tasche greifen, nachdem viele Molkereien mit großen Einzelhändlern höhere Preise durchsetzen konnten. Butter kostete 59,5 Prozent mehr. Bei Fisch (+3,4 Prozent) und Fleisch (+1,8 Prozent) zogen die Preise ebenfalls überdurchschnittlich an. Für Pauschalreisen mussten wegen der Pfingstferien 5,6 Prozent mehr bezahlt werden.
Dämpfend auf die Inflation wirkte Energie: Hier blieben die Preise insgesamt stabil. Dabei kosteten Kraftstoffe 0,2 und Strom 1,5 Prozent mehr, während sich Gas um 3,2 Prozent und die Umlagen für Zentralheizung und Fernwärme um 1,1 Prozent verbilligten. Die Preise für Rohöl sind in den vergangenen Wochen wieder gesunken und liegen derzeit deutlich unter der Marke von 50 Dollar pro Barrel (159 Liter).
Experten wie die vom Münchner Ifo-Institut rechnen in diesem Jahr mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 1,7 Prozent. Damit nagt die Inflation stärker an der Kaufkraft, denn 2016 lag sie nur bei 0,5 Prozent. Im ersten Quartal stiegen die Reallöhne mit 0,6 Prozent so schwach wie seit mehr als drei Jahren nicht mehr.
Bemerkenswert ist, dass selbst sinkende Energiepreise die Steigerung der Inflationsraten nicht verhindern konnten, obwohl diese bei der Berechnung zu hoch angesetzt sind, wie der Finanz-Analyst Michael Bernegger ermittelt hat:
„Der von der EZB verwendete hicp-Index ist von seiner Konstruktion und Methodologie ein schwacher, unpräziser Inflationsmaßstab. Die mit Abstand größte Position in den Budgets der Haushalte fehlt in diesem Index: Das sind die Wohnungskosten für selbst bewohntes Wohneigentum. Nur die Mieten effektiv fremdvermieteter Wohnungen und die Nebenkosten zählen im hicp zu den Ausgaben für die Wohnung, aber nicht die Kosten selbst bewohnten Wohneigentums. In der Eurozone wohnen rund zwei Drittel der Bevölkerung in den eigenen vier Wänden. Diese Wohneigentümer geben aber mehr als 80 Prozent der Ausgaben aller Haushalte für die Wohnung aus, weil in vielen Ländern die Mieter die unterste Einkommensgruppe darstellen.
Dieser größte Ausgabenposten repräsentiert zwischen 15 und 20 Prozent der Gesamtausgaben der Haushalte in der Eurozone. Der hicp schließt jene Komponente aus, welche in den USA mit Abstand das größte Gewicht im Verbraucherpreisindex (cpi) oder Deflator des privaten Konsums (pce) innehat. Und dies obwohl die Quote der Wohneigentümer in der Eurozone über derjenigen in den USA liegt. Der Index hat andere schwere Konstruktionsfehler, aber das ist der bedeutendste. Auch die zweitgrößte Komponente ist im Übrigen konzeptuell falsch berechnet.
Umgekehrt ist das Gewicht der Energiepreise im hicp durch das Fehlen bzw. die nicht korrekte Erfassung anderer zentraler Komponenten weit überhöht. Denn die 15-20 Prozent Wohnkosten hätten wie viele andere Komponenten eine Trägheit, aber auch eine eigene Dynamik im zeitlichen Ablauf. Die Energiepreise dagegen haben Schwankungen wie keine andere Komponente. Es sind gewaltige Preissteigerungen und Abstürze, die sonst ihresgleichen suchen. Sie wurzeln in Variationen der Erdölpreise. In Europa folgen auch die Erdgas- und Kohlepreise diesem Muster. Empirisch sind rund 50 Prozent oder mehr der gesamten hicp Inflationsdynamik auf die Energiepreise zurückzuführen. Die Dynamik dieses Index über die letzten 20 Jahre ist von den Energiepreisen als einzelner Komponente dominiert. Alle anderen Komponenten mit Ausnahme noch der Nahrungsmittelpreise haben praktisch keine zyklische Varianz.“
Die Preissteigerungen bei Lebensmitteln und in anderen Bereichen müssen daher vor dem Hintergrund, dass die Ölpreise im Juni von etwa 48 Dollar auf bis zu 43 Dollar pro Barrel (159 Liter) Brent-Öl deutlich gesunken sind, bedeutend gewesen sein.
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) sieht das Problem der EZB-Geldpolitik in der Auswirkung auf die Vermögenspreise. Ein Sprecher sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:
„Die Notenbanken der meisten großen Industrieländer verfolgen Inflationsziele. Dabei sind in der Regel die Verbraucherpreise die Zielgröße. Im Euroraum werden die zugrundeliegenden Warenkörbe und Güterpreise von der amtlichen Statistik (EUROSTAT und nationale Statistikämter) erhoben. An deren Seriosität und Sorgfalt haben wir keine Zweifel. Richtig ist allerdings auch, dass repräsentative Warenkörbe nie für jeden einzelnen Haushalt genau die individuelle Ausgabenstruktur abbilden können. In der Währungsunion kann es außerdem auch regionale/länderweise Unterschiede geben. Inwieweit sehr schwankungsanfällige Preise wie diejenigen für Öl oder Lebensmittel mittels einer ‚Kernrate‘ ausgeblendet werden sollten, ist ambivalent. Letztlich sind auch diese Güter relevant und Preissteigerungen dort zehren an der Kaufkraft.
Aber die Beachtung der Kernrate kann zusätzliche Orientierung liefern, wie nachhaltig ein Preistrend ist. Schließlich stellt sich die Frage, ob auch Preise außerhalb der Konsumausgaben, etwa Preise für Vermögensgegenstände (Assetpreise) mit in die Inflationsbetrachtung und in die geldpolitischen Entscheidungen einfließen sollten. Aktienkurse oder Immobilienpreise können sich anders als die normalen Güterpreise entwickeln. Die gängige These ist, dass in der aktuellen Niedrigzinsphase vor allem diese Vermögenspreise aufgebläht wurden und der Preisdruck nur (noch) nicht in den engeren, verbraucherorientierten Inflationsmaßen angekommen ist. Deren Stagnation unterschätzt demnach den bereits erzeugten inflationären Druck. Tatsächlich warnen wir vor möglichen Vermögenspreisblasen als gefährlicher Nebenwirkung der extrem expansiven Geldpolitik.
Akademisch wird die Diskussion, ob die Notenbanken sich gegen Trends bei den Vermögenspreisen stellen sollen, schon länger unter dem Stichwort ‚Leaning against the wind‘ geführt. Es ist umstritten, welche Vorteile oder Kosten die Befolgung eines solches Konzeptes mit sich bringen würde. Das Problem ist, dass die Erfordernisse für die Verbraucherpreise selbst anders als für die Assetpreise aussehen können. Dann stellt sich die Frage der Gewichtung und Abwägung angesichts eines Zielkonflikts. Wir würden deshalb nicht so weit gehen, die Assetpreise operationell in das Hauptziel der Geldpolitik aufzunehmen. Der Gefahren und Nebeneffekte über die Vermögenspreisinflation sollte man sich aber gleichwohl bewusst sein. Als ‚makroprudenzielle‘ Säule der Geldpolitik ist das Ziel auch bereits eingeführt. Aber ob hier tatsächlich die richtigen Instrumente bereitstehen, muss sich erst noch erweisen.“