Politik

Bundesregierung startet umstrittenen Test zu Gesichts-Erkennung

Die Bundesregierung hat am Dienstag einen umstrittenen Testlauf zur Gesichtserkennung von Bürgern in Berlin begonnen.
01.08.2017 17:27
Lesezeit: 1 min

Unter dem Protest von Datenschützern hat am Dienstag der Testlauf für die Gesichts-Erkennung per Videokamera begonnen, berichtet AFP. „Unsere öffentlichen Plätze müssen sicher sein“, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zum Start des Pilotprojektes. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisierte das Verfahren, das am Berliner Bahnhof Südkreuz für ein halbes Jahr erprobt wird, als schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Für das Verfahren gebe es keine Rechtsgrundlage.

Im Rahmen des Berliner Pilotprojektes sollen die Systeme dreier Hersteller zur Gesichtserkennung ausprobiert werden: Dafür sollen die rund 300 Teilnehmer häufig die speziellen Videokameras passieren, um zu testen, ob ihre Gesichter von den Kameras identifiziert werden. Dafür wurde eine Datenbank mit biometrischen Fotos der Teilnehmer angelegt. Der Testbereich ist deutlich durch Schriftzüge markiert, sodass ihn Passanten, die nicht erfasst werden wollen, umgehen können. In einer zweiten Testphase sollen verdächtige Gegenstände, wie etwa herrenlose Koffer, automatisch erfasst und gemeldet werden.

Videoüberwachung leiste einen wichtigen Beitrag für mehr Sicherheit, indem sie abschrecke und bei der Aufklärung von Straftaten helfe, erklärte de Maizière. Außerdem stärke sie das Sicherheitsbefinden der Bürger.

„Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern an Bahnhöfen gescannt werden, dann greift der Staat schwerwiegend in Grundrechte ein“, sagte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg. „Eine wasserdichte Norm, die diesen Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen kann, gibt es nicht.“

Zudem stellten die Gesichts-Erkennung und die jüngsten Sicherheitsgesetze eine „verfassungsrechtlich brisante Kombination“ dar, sagte Schellenberg. So sollten nach dem neuen Pass- und Personalausweisgesetz künftig Polizeibehörden, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter für Verfassungsschutz, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst im automatisierten Verfahren biometrische Passbilder abrufen dürfen. Dieses Zusammenspiel aus technischen und rechtlichen Neuerungen stelle den Schutz der Freiheitsrechte vor neue Gefahren.

Die Bundesregierung verabschiedete erst vor wenigen Wochen ein weitreichendes Überwachungsgesetz, mit dem die gesamte digitale Kommunikation ausgelesen werden kann.

Auch der Linken-Innenpolitiker Frank Tempel kritisierte, die Gesichtserkennungssoftware greife tief in die Grundrechte der Bürger ein: „Was soll dieses Pilotprojekt erreichen, wenn die Technologie als solche schon rechtliche Bedenken auslöst?“ Er verwies darauf, dass diese Technik in London seit Jahren verwendet werde. Für mehr Sicherheit habe sie dort nicht gesorgt. „Der Einsatz von Polizisten vor Ort ist und bleibt die effizienteste Maßnahme, um Straftaten vorzubeugen.“

Auch die Organisation „Digitalcourage“ kritisierte: „Das Südkreuz-Projekt ist der falsche Weg.“ Auch London sei durch Vollüberwachung nicht sicherer geworden. Die Datenschützer von Bund und Ländern hatten sich in der Vergangenheit ebenfalls kritisch zu der Gesichts-Erkennung per Videokamera geäußert und die fehlende Rechtsgrundlage moniert.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Aktien Frankfurt: Ausblick und DAX-Kurs von US-Handelsdeal mit Japan beflügelt
23.07.2025

Der DAX-Kurs zeigt sich am Mittwochmorgen überraschend stark – beflügelt durch Nachrichten aus Übersee. Doch bleibt der Aufschwung...

DWN
Finanzen
Finanzen Europäische Staatsanleihen: Warum sie jetzt besonders attraktiv sind
23.07.2025

Die Börsen profitieren vom Ende des Handelskriegs und einer flexiblen Zinspolitik. Anleger sehen Chancen bei Staatsanleihen und Aktien –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft US-Zolldeal mit Japan: Trump präsentiert neues Handelsabkommen mit Japan
23.07.2025

Die USA und Japan haben sich auf einen Zollkompromiss geeinigt – mit weitreichenden Folgen für Handel, Investitionen und Industrie. Doch...

DWN
Politik
Politik Ukraine: Proteste gegen Antikorruptionsbehörde - parallel laufen Friedensverhandlungen mit Russland
23.07.2025

Russland und die Ukraine sprechen erneut miteinander – doch gleichzeitig wächst in der Ukraine der Protest: Ein neues Korruptionsgesetz...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tariftreuegesetz: Kleine Firmen warnen vor Mehrbelastung durch neue Regeln
23.07.2025

Der Staat vergibt Milliardenaufträge für Brücken, Schulen und Krankenhäuser – doch beim Lohn sparen viele Unternehmen....

DWN
Technologie
Technologie Europa verliert den KI-Wettlauf und schaut tatenlos zu
23.07.2025

Europa redet über Regeln, Amerika investiert Milliarden: Der Kontinent verspielt seine digitale Zukunft – und nimmt den...

DWN
Politik
Politik Brüssel greift nach dem Mittelstand: Milliardensteuer ohne Gewinn
22.07.2025

Die EU will tausende Firmen zur Kasse bitten – selbst wenn sie Verluste machen. Ein neuer Zwangsbeitrag könnte dem Binnenmarkt mehr...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bosch streicht mehr als 1.000 Stellen in Reutlingen
22.07.2025

Bosch streicht massiv Stellen. Der weltgrößte Autozulieferer reagiert auf schrumpfende Aufträge und steigenden Preisdruck. Parallel...