Die Zentralbanken beschäftigen sich offenbar intensiv mit der Einführung der Blockchain-Technologie. Der Ökonom Markus Krall sagte dazu den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: "Ich sehe es kritisch, wenn die Zentralbank, deren freiheitlich-marktwirtschaftliche Reputation ich stark in Zweifel ziehe, anfängt, über so etwas nachzudenken, weil ich weiß, dass man eine Blockchain-Währung auf ganz unterschiedliche Weise programmieren kann. Man kann sie 100 Prozent anonym gestalten, wie die Bitcoin, dann bietet sie die Freiheit von Bargeld und ich bin überzeugt, dass sie sich durchsetzen wird, wenn die Herrschaften in der EZB und FED so weiter machen, denn die Leute werden sich dann eine Alternative suchen. Oder man kann sie 100 Prozent transparent machen, dann weiß der Staat in Gestalt der EZB über jede ihrer Einnahmen und Ausgaben bis zum letzten Cent Bescheid. Es gibt dann keine Privatsphäre mehr und wir sind im totalitären Staatswesen angekommen."
Der Einwand, man könne bei entsprechender Programmierung eine lückenlose Transparenz erzeugen, wird verständlich, wenn man auf den entsprechenden Blockchain-Seiten den Mining-Prozess betrachtet: Hier ist zwar alles verschlüsselt, wer jedoch den Schlüssel Besitz, kann faktisch jede Transaktion nachvollziehen.
Tatsächlich haben auch anderer Marktbeobachter Zweifel – äußern diese jedoch zunächst im Hinblick auf China und Russland: "Da geht es um Kontrolle", sagte Hans Kuhn, der frühere Chefjurist der Schweizerischen Nationalbank, der Nachrichtenagentur Reuters. Allerdings haben sich in den vergangene Jahren vor allem das US-Finanzministerium und die US-Justiz hervorgetan, wenn es um das Ausfindigmachen von Zahlungsvorgängen ging.
Oliver Hirt von Reuters fasst in einer Analyse den Stand der Diskussion zusammen:
Bitcoin war nur der Anfang. Während die Cyber-Währung bislang vor allem mit Betrugsvorwürfen und heftigen Kursausschlägen Schlagzeilen machte, trauen Experten der zugrundeliegenden Technologie Blockchain zu, das Finanzsystem umzukrempeln. War Blockchain ursprünglich eine Spielwiese für Utopisten und Spekulanten, zieht sie zunehmend auch die mächtigsten Institutionen des Finanzsystems in ihren Bann: Mindestens ein Dutzend Notenbanken rund um den Globus spielt derzeit durch, ob sich die Technologie für ihre Zwecke nutzen lässt. Der Ersatz von Bargeld gehört dabei noch zu den konservativen Szenarien. Am Ende könnten ganz neue geldpolitische Maßnahmen zum Einsatz kommen. "Das hat ein enormes disruptives Potenzial für die Art und Weise, wie Zentralbanken arbeiten", erklärt Hans Kuhn von der Universität Luzern. "Wir sind an einem Punkt, wo es zur größten tektonischen Verschiebung seit der Aufgabe des Goldstandards 1973 kommen könnte."
Mit Bitcoin entstand 2008 erstmals eine elektronische Form von Bargeld, mit der sich zentrale Eigenschaften von Münzen und Banknoten ins digitale Zeitalter retten lassen: Eine direkte und sofortige Zahlung zwischen Nutzern, ohne dass sie ihre Identität offenlegen müssen. Auf breiter Front durchgesetzt hat sie sich bislang aber nicht. Die Blockchain-Technologie, auf der Bitcoin beruht, bietet aber ihrerseits enorme Möglichkeiten. Denn die Software sammelt Daten von Transaktionen, fasst sie zu Blöcken zusammen und hängt sie aneinander. Das spart Zeit und Geld, etwa bei Überweisungen, weil zentrale Schaltstellen wie Banken nicht mehr gebraucht werden.
Solche vollautomatisierten Prozesse in Verbindung mit digitalen Währungen könnten auch für Notenbanken interessant sein. Immerhin erreichen die Kosten für die Bereitstellung von Bargeld in entwickelten Ländern ein bis zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Würde das Bargeld ganz abgeschafft, eröffneten sich ganz neue Perspektiven für die Geldpolitik: Um die Wirtschaft anzuschieben, könnten die Zinsen etwa unbegrenzt ins Minus gedrückt werden, weil das Geld von den Kunden ja nicht einfach abgezogen werden kann. Auf diese Weise könnten auch Währungen geschwächt werden.
Eine Pionierrolle nimmt Schweden ein. Das war schon in den 1660er Jahren so, als in dem skandinavischen Land erstmals in Europa Banknoten ausgegeben wurden. Was damals die Druckerpresse war, ist heute die Computertechnologie. Dank ihr könnte die Riksbank als erste bedeutende Zentralbank eine eigene digitale Währung an den Start bringen. "Das ist so revolutionär wie Papiergeld vor 300 Jahren", sagte Vize-Chefin Cecilia Skingsley der "Financial Times". Dass Schweden erneut vorprescht ist kein Zufall, denn in dem Land ist die Nutzung von Bargeld bereits massiv zurückgegangen. Die älteste Notenbank der Welt will nun verhindern, dass die Bevölkerung bei ihren Zahlungen Privatfirmen ausgeliefert ist, wenn Bargeld ganz verschwindet. Ende 2018 entscheidet die Riksbank, ob sie eine "E-Krone" etwa in Form einer App oder eine Karte einführt. Bestehende digitale Zahlungsangebote wie Apple Pay ähneln dem nur auf den ersten Blick, denn sie laufen über die herkömmliche Infrastruktur der Kreditkartenunternehmen.
Neben dem Sonderfall Schweden sehen Experten vor allem in jenen Ländern großes Potenzial, in denen viele ohne Bankkonto auskommen müssen und Geldüberweisungen schwierig sind. "Das trifft etwa auf viele afrikanische Länder zu", erklärt Adrian Weber vom Beratungshaus Roland Berger.
Dagegen lieben die Deutschen und die Schweizer ihr Bargeld – hier dürfte es länger dauern, bis die Blockchain Digitalwährungen zum Durchbruch verhilft. Aber auch die Europäische Zentralbank (EZB) experimentiert nach den Worten von Direktor Yves Mersch mit der neuen Technologie. Unter anderem untersucht und testet sie zusammen mit der Bank von Japan den möglichen Einsatz in der Marktinfrastruktur. Sie ist allerdings skeptisch, ob virtuelle Währungen Bargeld komplett ablösen werden.
Auch Singapur tüftelt. Das wohl radikalste Modell könnte so aussehen: Jedermann erhält ein Konto bei einer Notenbank, über das sämtliche Transaktionen laufen würden. "Die Notenbanken würden zu einer Art Volksbank", erklärt Finanz- und Währungsrechtsdozent Kuhn. Verlierer wären dabei die Geschäftsbanken, denen viele Einlagen und ein großer Teil des Zahlungsverkehrs entgehen würden.
Technisch halten Experten solche Direktkonten bereits heute für machbar. Trotzdem bleiben sie erst einmal Gedankenspiele – und dürften in den westlichen Demokratien wohl auch nur in abgeschwächter Form umgesetzt werden, prognostizieren Branchenkenner. In China und Russland ist die Ausgangslage jedoch anders. "Da geht es um Kontrolle", erklärt Kuhn, der früher Chefjurist der Schweizerischen Nationalbank war. Ein solches System ermögliche in Echtzeit einen vollständigen Überblick, was jeder Bürger mit seinem Geld mache. "Das ist zu verlockend."