Politik

USA erhöhen Druck auf Erdogan wegen russischer Raketen-Abwehr

Lesezeit: 6 min
21.11.2017 00:39
Die USA wollen den Kauf eines russischen Raketenabwehrsystems durch die Türkei nicht einfach hinnehmen.

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Waffen-Deal zwischen Ankara und Moskau

Ein Sprecher der US-Luftwaffe sagte in der vergangenen Woche, dass die Türkei künftig keinen Zugang mehr zu NATO-Technologie haben werde, wenn das Land das russische Luftabwehrsystem des Typs S-400 kaufe, berichtet Defense News. Es gebe keine Interoperabilität zwischen der NATO-Technologie und dem S-400-Raketenabwehrsystem. Weiterhin werde der Kauf des russischen Luftabwehrsystems sich auf den Erwerb und den Betrieb des F-35-Jets auswirken. Die Türkei hatte bisher 100 F-35-Jets bei Lockheed Martin bestellt. Das Programm zur Entwicklung des Kampfjets wird vom Pentagon geführt. Die Türkei soll im kommenden Jahr die ersten Jets erhalten.

Eine Sprecherin der NATO sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Es obliegt unseren Verbündeten, zu entscheiden, welche militärische Ausrüstung sie kaufen. Kein NATO-Verbündeter betreibt derzeit die S-400 und die NATO hat keine Bestätigung oder Einzelheiten über den Kauf durch die Türkei. Was für uns zählt, ist, dass die Ausrüstung, die erworben wird, mit der Ausrüstung der anderen Alliierten zusammenarbeiten (Anm. d. Red. Interoperabilität) kann. Die Interoperabilität unserer Streitkräfte ist für die NATO und für die Durchführung unserer Operationen und Missionen von grundlegender Bedeutung.“

Ob die USA Sanktionen gegen die Türkei einleiten, bleibt unklar. Das sagte Kay Bailey Hutchison, US-Botschafter bei der NATO, auf einem Treffen des Halifax International Security Forums. Hutchinson meint, dass sie keinerlei Informationen darüber habe, ob auf der bilateralen Ebene Sanktionen gegen die Türkei eingeführt werden.” Ich weiß nicht, was die Antwort darauf sein wird. Aber die Türkei ist ein wertvolles Mitglied der NATO und ein Verbündeter”, zitiert Defense News die Top-Diplomatin.

Auslöser der Entscheidung der Regierung von Ankara, die russische S-400 zu erwerben, war ein Streit zwischen der Türkei und den USA über den Transfer von Technologie. Haberturk zitiert Mevlüt Çavuşoğlu: „Ok. Wir befinden uns im militärisch-industriellen Sektor im NATO-Lager. Wir kennen unsere Verantwortung. Während uns die PKK und ISIS angreifen, hält sich die NATO heraus. Wir sagen, dass das Luftabwehrsystem die gesamte Türkei umfassen muss, aber dies wird nicht umgesetzt. Es gibt keinen Technologietransfer. Die NATO hält sich von diesen Fragen fern, also muss die Türkei sich anderweitig umschauen. Die Türkei muss ihre Sicherheit eigenständig garantieren. Die NATO verhindert, dass wir uns mit einem Luftabwehrsystem eindecken. Es wird uns verboten, von dem einen oder anderen Staat ein Luftabwehrsystem zu besorgen. Das geht nicht. Die Türkei wird genau wie in der Außenpolitik ihren eigenen Weg gehen und keiner wird dies verhindern können.“

Der türkische Verteidigungsminister Nurettin Canikli sagte dem Blatt The Daily Sabah, dass hinter dem Deal mit den Russen keine politische Motivation stecke. „Der S-400-Deal zielt nur darauf ab, die Verteidigungs-Fähigkeiten der Türkei zu erhöhen. Er ist nicht politisch motiviert”, so Canikli.

Eklat zwischen NATO und Türkei

Währenddessen kam es im Rahmen der NATO-Übung „Trident Javelin 2017” im norwegischen Stavanger zu einem Eklat zwischen der NATO und der Türkei. Im Verlauf einer Simulation wurden der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der Gründervater der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, als „Feinde” und „Ziele” eingestuft. Nach Angaben des Standards soll ein türkischstämmiger NATO-Offizier während einer computergestützten Simulation der Urheber dieses Skandals gewesen sein. Der Vorfall ereignete sich im Joint Warfare Center der NATO. Bei dem Offizier soll es sich um einen türkischstämmigen Offizier der norwegischen Armee gehandelt haben, so die Hürriyet. Er war als Techniker angestellt. Nach dem Vorfall soll der Offizier unverzüglich suspendiert worden sein.

Allerdings war die Aktion des Offiziers lediglich Teil einer Simulation. Bei der Simulation ging es um ein Land namens „Skolken”, das kurz davor war, das Raketenabwehrsystem des Typs S-400 zu erwerben. Die NATO spielte Möglichkeiten durch, um den Staat „Skolken” vom Erwerbe der S-400 abzuhalten. Am Ende der Anstrengungen der NATO stand eine militärische NATO-Operation gegen „Skolken”. Die Zeitung Yeni Şafak berichtete, dass es bei dem Staat „Skolken” unmissverständlich um die Türkei gehe.

Als Reaktion auf diese Simulation zog die Türkei 40 Offiziere, die an der Simulation beteiligt gewesen waren, ab. Nach Angaben der Zeitung Haberturk soll die türkische Offizierin Ebru Nilhan Bozkurt gegen die Simulation protestiert und Details der Simulation an die türkischen Medien weitergeleitet haben.

Der ehemalige Chef der Aufklärungsabteilung der türkischen Marine, Soner Polat, schreibt in einem Artikel der Zeitung Aydinlik, dass die Simulation als Warnung gegen die Türkei gedeutet werden müsse. „Diese Frechheit ist eine NATO-Operation und hinter ihr stehen wichtige hochrangige NATO-Vertreter. Doch mit einer großen Wahrscheinlichkeit war NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nicht Teil dieses Plans und befand sich in völliger Unkenntnis”, so Polat. Er meint, dass die USA über die NATO eine Botschaft an die Türkei richten wollten.

Das Blatt Aydinlik hat einige Stimmen aus Militärkreisen zum Vorfall in Stavanger zusammengetragen. General a.D. Edip Başer meint: „Die Türkei ist zutiefst bestürzt über dieses Verhalten. Es wäre hilfreich, wenn die Türkei ihre Reaktion noch schärfer betont. Die Türkei muss ihre Schritte im Zusammenhang mit der NATO genau berechnen. Doch ich meine, es wäre falsch, wenn wir uns mit einer Überreaktion ins eigene Fleisch schneiden. Die Türkei durchläuft eine kritische, sicherheitspolitische Phase. Wir sollten genau überlegen, ob wir mit ein oder zwei Staaten eine neue Allianz ins Leben rufen, deren Zukunft ungewiss ist. Ich sage nicht, dass die NATO unverzichtbar ist für uns.”

Generalmajor a.D. Beyazıt Karataş sagt, dass Norwegen bei diesem Skandal eine Rolle gespielt habe: „Die Türkei muss eine NATO-Sitzung unter Einbindung der Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten anordnen. Mit einer Entschuldigung seitens der NATO ist es nicht getan. Der norwegische Verteidigungsminister Frank Bakke-Jensen muss zurücktreten. Die norwegische Premierministerin Erna Solberg muss sich entschuldigen. Die Türkei muss Norwegen eine diplomatische Rüge erteilen. Die NATO hat einen computergestützten Kriegsfall geprobt. An dieser Simulation waren hunderte von Personen beteiligt. Im Rahmen einer NATO-Sitzung auf der höchsten Ebene muss dieser Vorfall genau erörtert werden.”

Karataş meint, dass dieser Vorfall im Rahmen der NATO-Gremien geklärt werden müsse. Ein NATO-Austritt kommt nicht in Frage. „Wir können die NATO nicht einfach nach Lust und Laune verlassen. Diese Entscheidung obliegt nicht der AKP-Regierung, sondern müsste zuvor im Rahmen eines Referendums abgestimmt werden. Dann würde sich hier eine Prozedur wie beim Brexit ergeben. Da die US-Gegnerschaft in der Türkei bei 85 Prozent liegt, würde die Bevölkerung wohl für einen Austritt stimmen. Doch zuvor müsste auf einer NATO-Sitzung der Entschluss zum Austritt und ein diesbezügliches Referendum bekannt gegeben werden. Anschließend müssten die Argumente beider Seiten auf den Tisch gelegt und verhandelt werden. Es müsste dann um militärische, personelle, politische und finanzielle Fragen gehen.”

General a.D. Necati Özgen schaut weitaus kritischer auf die NATO. Özgen wörtlich: „Die NATO kommt ihren Verpflichtungen gegenüber der Türkei nicht nach. Es ist an der Zeit, die NATO zu hinterfragen. Das ist unter den gegebenen Umständen dringend erforderlich. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die USA der PKK geholfen hat. Die USA werden dies auch weiterhin tun. Wir müssen alles daran setzen, die Pläne der USA zu durchkreuzen.”

Großadmiral a.D. Nusret Güner sagt nach Angaben von Halkweb: „Diejenigen, die meinen, dass wir die NATO verlassen müssen, müssen auch sagen, unter welchen Sicherheitsschirm sie sich künftig begeben werden: Russland, China etc.? Es ist schwer zu sagen, dass diese Staaten keine imperialistischen Bestrebungen wie die USA haben. Sicherlich hat der Westen der Türkei viel Schaden zugefügt. Doch die NATO ist die einzige Organisation, in der die Türkei mehr oder weniger etwas zu melden hat. Die NATO kann nichts ohne die Zustimmung der Türkei machen.”

Stoltenberg hatte sich nach Aufdeckung des Vorfalls bei der Türkei entschuldigt. „Ich entschuldige mich für den Vorfall. Dies geht auf die Handlungen eines Einzelnen zurück und spiegelt nicht die Ansichten der NATO wider. Die Türkei ist ein geschätzter NATO-Verbündeter, der wichtige Beiträge zur Bündnissicherheit leistet”, zitiert der englischsprachige Dienst von Reuters Stoltenberg.

Auf dem Halifax International Security Forum, das vom 17. bis zum 19. November stattfand, äußerte sich der türkische Generalstabschef Hulusi Akar nicht öffentlich zu dem Vorfall in Stavanger, so OdaTV. Stoltenberg hatte sich auf dem Forum auch persönlich bei Akar entschuldigt.

Doch der türkische Präsident Erdoğan reagierte kritischer auf den Vorfall. „Wir alle haben von dem respektlosen Verhalten bei der NATO-Übung gehört. Manche Fehler werden nicht von Dummköpfen, sondern von niederträchtigen Personen begangen. Mit einer einfachen Entschuldigung ist es da nicht getan. Ich sage es hier offen und direkt in Richtung der NATO und in Richtung weiterer Staaten: Wir haben den Kauf der S-400 bereits abgewickelt. Diese Sache ist durch”, zitiert die Zeitung Birgün Erdoğan.

US-Serie sorgt für Ärgernis in Türkei

Im Zusammenhang mit der NATO und dem S-400-Deal hat in der vergangenen Woche die US-Serie „Designated Survivor”, der vom Sender ABC ausgestrahlt wird, in den türkischen Medien Kritik nach sich gezogen. „Designated Survivor” ist ein Polit-Thriller, der sich um das Leben des fiktiven US-Präsidenten Tom Kirkman und die US-Politik dreht. Im betroffenen Teil der Serie fordert der fiktive türkische Präsident „Fatih Turan” die Auslieferung des türkischen „Denkers Nuri Sahin”, der als Flüchtling in den USA lebt. Turan macht Sahin für einen missglückten Militärputsch verantwortlich. Er droht dem US-Präsidenten mit dem Kauf des S-400-Raketenabwehrsystems und eine weitere Annäherung zu Russland. Zudem macht Turan unmissverständlich deutlich, dass die US-Luftwaffenbasis Incirlik in der Türkei geschlossen wird, falls die USA Sahin nicht ausliefern. Er droht mit dem Austritt aus der NATO. Der US-Präsident sagt in einer Unterredung mit seinem Beraterstab, dass die Türkei mit allen Mitteln in der NATO gehalten werden muss. Eine Annäherung zwischen der Türkei und Russland dürfe es nicht geben, weil dann Russland einen freien Zugang zu allen Regionen des Nahen Osten erhalte. Im Verlauf eines Treffens mit dem türkischen „Denker Nur Sahin” gibt der US-Präsident dem Türken eine Garantie dafür, dass er nicht ausgeliefert werde. Sahin bedankt sich und beteuert, dass er am missglückten Putsch gegen den türkischen Präsidenten nicht beteiligt gewesen sei. Allerdings wünsche er sich einen Umsturz von Turan. Als ihn der US-Präsident darauf hinweist, dass Leute wie der türkische Präsident keine Angst vor „Kugeln”, aber vor Wahlen hätten, erwidert Sahin: „Es gibt keine freien Wahlen mehr in der Türkei”.


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