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Die zur EU-Kommission gehörende Wertpapieraufsicht ESMA hat sich zum Ziel gesetzt, die Käufer von Wertpapieren vor Verlusten zu schützen. Die bisherigen Regelungen wurden mit dem Anfang 2018 in Kraft getretenen Regelwerk MiFID II verschärft, sodass auch die zu erwartenden Urteile in Prozessen nach Verlusten zugunsten der Konsumenten ausfallen werden – noch stärker als dies schon bisher der Fall war. Die unvermeidliche Konsequenz: Die Berater werden auf die Bremse steigen. Die in Europa und vor allem in Deutschland und Österreich ohnehin nur schwach entwickelte Verbreitung von Aktien in Privathaushalten wird noch mehr zurückgehen. Man wollte den unseriösen Verkauf von schlechten Produkten, insbesondere von undurchsichtigen Konstruktionen, bekämpfen und bremst den Weg des Kapitals von den Anlegern zu den Firmen. Ein Pyrrhus-Sieg.
Tausende, laufend veränderte Regulierungen
Das neue Regulierungsmonster der EU, MiFID II, füllt bereits über 20.000 Seiten. Die Vorschriften, die die Banken und anderen Finanzdienstleister und Vermögensverwalter einzuhalten haben, gehen in die Million. Der Dschungel umfasst die neue MiFID im engeren Sinn, die „Markets in Financial Instruments Directive“, also die Finanzmarktrichtlinie. Dazu kommt die Verordnung MiFIR. Außerdem hat ESMA umfangreiche delegierte Verordnungen erlassen und produziert laufend nähere Erläuterungen. Während die Verordnungen unmittelbar in der gesamten EU in Kraft treten, muss die Richtlinie durch nationale Gesetze in das Recht der Länder integriert werden. Da aber die gültige Rechtsauslegung laufend von ESMA kommt, bleiben die Gesetze der Mitgliedstaaten vage, damit nicht laufend Novellierungen notwendig werden. Um die Regulierungsplage perfekt zu machen, gelten selbstverständlich die zahlreichen anderen Regulative, die den Finanzmarkt betreffen, weiter. Das intransparente Paket hat zum Ziel, die Transparenz auf dem Finanzmarkt zu erhöhen.
Die unklare Grenze zwischen „Information“ und „Empfehlung“
Für die Anlageberater in den Banken wie für die selbstständigen Finanzdienstleister wird die Arbeit zur Gratwanderung: Auf der sicheren Seite ist man nur, wenn man im Bereich der „Information“ bleibt. Kann eine Information als „Empfehlung“ oder „Rat“ gewertet werden, dann muss man bei im Gefolge auftretenden Verlusten mit Strafen bis zu 5 Millionen Euro oder 10 Prozent des Firmenumsatzes rechnen: Wurde der Kunde ausreichend über das Risiko eines Verlusts informiert? Hat der Berater geprüft, ob seine Mitteilungen verstanden wurden? War der Kunde finanziell überhaupt in der Lage, ein derartiges Risiko einzugehen? Gehört der Kunde zum „Zielmarkt“, der bei jedem Produkt vom Emittenten definiert werden muss? Kommt ein Gericht zum Ergebnis, dass derartige Fragen mit Nein zu beantworten sind, dann haften noch mehr als bisher der Berater und seine Bank oder Firma. ESMA hat zudem einen subtilen Leitfaden erstellt, wie Informationen zu Empfehlungen und Ratschlägen werden können.
Zur Illustration einige Feinheiten:
- Wenn ein Finanzprodukt als „entsprechend“ (suitable) präsentiert wird, muss noch nicht der Schluss gezogen werden, dass der Berater meint, das Wertpapier würde für den aktuell beratenen Kunden passend, „suitable“ sein. Sollte allerdings die Präsentation des Angebots in der Weise erfolgen, dass ein „vernünftiger Beobachter“ (reasonable observer) zu dem Schluss kommen würde, dass die Darstellung erfolgt sei, nachdem der Experte die Angemessenheit des Produkts für den Kunden überlegt (consideration) habe, so ist von einem Ratschlag (investment advice) auszugehen.
- Die Aufseher arbeiten nach dem Prinzip des Wechselbads. Nach der im vorangegangenen Absatz formulierten Deutung wird gleich im nächsten Absatz erklärt: Weil ein Kunde die Ansicht vertritt, es habe sich bei einer Information um eine Empfehlung (recommendation) gehandelt, so sei das, für sich, noch kein Grund um von einem Ratschlag auszugehen.
- Eine Liste der als Information zu wertenden Aktivitäten eines Betreuers umfasst neben Börsenblättern, Geschäftsberichten und Studien auch die Mitteilung, wie die Direktoren der Bank ihr Geld investieren.
- Und wieder das Wechselbad: Ein eindringlicher Hinweis auf das Anlageverhalten eines Direktors könnte leicht zur Empfehlung für den Kunden werden, doch dem Beispiel zu folgen.
- Noch eine Falle: Geleitet der Berater den Kunden durch den Stufenbau der Anlagekategorien – vom Sparbuch bis zum Derivat – so ist das noch keine Empfehlung. Werden aber bei dieser Reise durch die Kategorien bestimmte Produkte besonders betont, so wird die Information zur Empfehlung.
Fazit: Man wird die Beratungsgespräche noch genauer dokumentieren müssen, um nachträgliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Manche empfehlen bereits die Hinzuziehung eines Zeugen, die allerdings mit der Vertraulichkeit einer Wertpapierberatung schwer vereinbar ist. MiFID schreibt verpflichtend die Aufzeichnung aller Telefongespräche mit Kunden und die Aufbewahrung der Mitschnitte sowie sonstiger elektronischer Mitteilungen über fünf Jahre vor. Zum Schutz der Kunden und der Berater.
Provisionsverbot für unabhängige Berater und Vermögensverwalter
Größte Aufmerksamkeit widmet ESMA im Gleichklang mit allen Finanzaufsichtsbehörden dem Thema Provision. Man geht davon aus, dass die Vermittler zum forcierten Verkauf von Produkten verleitet werden, die eine höhere Provision abwerfen, aber nicht solide sind oder zumindest für den betreffenden Kunden nicht passen. Somit gibt es im Wertpapierhandel ein Provisionsverbot, allerdings mit Einschränkungen.
Generell verboten ist die Annahme von Provisionen, wenn sich ein Wertpapierberater oder -vermittler oder Vermögensverwalter als „unabhängig“ bezeichnet. Ist dies der Fall, so können für die unabhängige Beratung nur Honorare verrechnet werden, die der Kunde bezahlt. Provisionen der Produkte-Anbieter sind verboten, sonstige Vergünstigungen drastisch begrenzt.
In diesem Zusammenhang sieht das Regelwerk eine weltfremde Bestimmung vor: Sollte ein Wertpapiervermittler trotz des Verbots eine Provision bekommen, so hat er diese an den Kunden weiter zu reichen. Naheliegend ist, dass dieses Geld das Honorar finanzieren wird. Zur Gänze oder teilweise? Hier ist kaum zu vermeiden, dass indirekt die immer wieder bekämpfte und vielfach verbotene Teilung der Provision zustande kommt.
Provisionen müssen nachweisbar Vorteile für den Kunden bringen
Kein Provisionsverbot besteht, wenn es sich um eine „nicht-unabhängige Beratung und Vermittlung“ handelt. Diese Differenzierung wurde zum Ärger der Aufseher durch die Politik nach heftigen Interventionen vorgenommen und sorgt für eigenartige Kapriolen.
- Die meisten Banken deklarieren sich als „nicht-unabhängige“ Finanzdienstleister und teilen den Kunden mit, dass sie nur die im eigenen Haus oder bei nahen Partnern verfügbaren Produkte verkaufen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Banken Verträge mit Fondsgesellschaften haben, die ihnen Provisionen zahlen, die zur Finanzierung des Verkaufs verwendet werden.
- Somit kommt es zur offen ausgesprochenen Verletzung des „best advice“, der ursprünglich als Grunderfordernis jeder Beratung in allen konsumentenbezogenen Regeln enthalten ist. In den meisten Banken bekommt man nur mehr das Hausangebot und nicht eine Auswahl aus den am Markt erhältlichen Produkten.
- Die Groteske ist perfekt: Das Provisionsverbot wurde nicht nur gefordert, weil gierige Vermittler schlechte, aber provisionsträchtige Produkte verkauft haben, sondern auch, weil Banken ihren Mitarbeitern den Abverkauf von Ladenhütern mit Provisionen schmackhaft gemacht haben.
Doch die Aufseher schlagen zurück:
- In den MiFID-Regeln ist verankert, dass nur Provisionen gezahlt werden dürfen, die dem Kunden nachweisbar einen Vorteil bringen. Womit eine europaweite Diskussion stattfindet, was denn nun von den Aufsichtsbehörden als Vorteil anerkannt werden wird.
- Die Liste der angedachten Begünstigungen ist bereits ziemlich lang, doch wissen die Aufseher selbst noch nicht genau, wie sie welche Kunden-Vorteile als Rechtfertigung für Provisionen an die Vermittler anerkennen werden.
- Auch hier wird es skurril: Die Steuer-Experten machen darauf aufmerksam, dass die meisten Bankgeschäfte umsatzsteuerfrei sind, aber die Bonbons zur Rechtfertigung von Provisionen leicht eine Steuerpflicht auslösen können.
Getrennte Gebühren für die Kosten der Analyse eines Wertpapiers
Kopfschmerzen bereitet den Banken und Finanzdienstleistern eine Regelung für die Verrechnung von Forschung-, Recherche- und Analysearbeit. Bei den Honoraren oder Provisionen müssen die Kosten für die Beratung und Vermittlung getrennt von den Forschungsaufwendungen (research) ausgewiesen werden.
- Unter Research fallen die Aufwendungen in einer hauseigenen Analyse-Abteilung sowie die Honorare an eigenständige Institute. Auch die Mitteilungen der Verkäufer über Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus dem täglichen Geschäft können als Research gewertet werden.
- Nicht zur gesondert zahlungspflichtigen Analyse-Arbeit gehören die allgemein verfügbaren Mitteilungen der Börsen, der nationalen Statistik-Ämter oder der öffentlich zugänglichen Berichte der Wirtschaftsforschungsinstitute. Die Grenze ist schwer zu ziehen, da viele Analysen auf der Basis dieser Daten erfolgen und zu eigenständigen Ergebnissen führen, die sehr wohl unter den Begriff Research im Sinne der MiFID II fallen.
Noch sind die Konsequenzen nicht zur Gänze abzusehen. Viele Banken schließen die hauseigenen Analyse-Abteilungen und kaufen bei Bedarf Research von Instituten zu. Oder überlassen es den Kunden, Auswertungen von unabhängigen Forschungseinrichtungen zu erwerben. Das hat für die Banken den Vorteil, dass Empfehlungen von außen kommen, das Haftungsrisiko verringern und Kosten sparen.
Hier ist daran zu erinnern, dass durch die starke Betonung des Ratings bereits vor Jahren viele Banken die eigene Beurteilung eingestellt haben und sich an den Bewertungen durch Rating-Agenturen orientieren.
Systematische Internalisierer – die quasi-legalen „Dark Pools“
Ein entscheidendes Anliegen der ESMA-Aufseher ist die Verlagerung möglichst vieler Wertpapiergeschäfte zu den offiziellen Börsen und Handelsplätzen. Um diese Bewegung zu stärken führen MiFID und MiFIR eine neue Kategorie von Handelsplätzen unter der Bezeichnung OTF (organised trading facility) für Schuldverschreibungen, strukturierte Finanzprodukte, Emissionszertifikate und Derivate ein.
Gleichzeitig wird aber eine Regelung geschaffen, die die Fortsetzung des bekämpften Wertpapierhandels außerhalb der Börsen ermöglicht – allerdings unter verstärkter Aufsicht der ESMA.
Präzisiert wird die Einrichtung eines „Systematischen Internalisierers – SI“. Dieses Instrument wurde bereits mit MiFID I geschaffen, hatte ein eingeschränktes Wirkungsfeld und wurde kaum genutzt. MiFID II und im Besonderen die Verordnung MiFIR macht das Instrument attraktiv vor allem für Großbanken, die im Rahmen ihres eigenen, „internen“ Wertpapierbestandes Käufe und Verkäufe für Kunden organisieren, also in sich einen Marktplatz bilden. Banken, die diesen Weg gehen wollen, müssen sich als SI deklarieren, dies der nationalen Aufsicht melden und diese ergänzt wiederum das bei ESMA geführte EU-Register. Im Moment sind europaweit kaum noch Banken auf dieser Liste zu finden, doch dürfte sich das bald ändern.
SI müssen bestimmte Schwellenwerte einhalten. Der Handel muss kontinuierlich erfolgen und mindestens 0,4 Prozent des entsprechenden Volumens in der gesamten EU erreichen. In regelmäßigen Abständen wird die Eigenschaft als SI geprüft. Das traditionelle OTC – Over the counter-Geschäft in den Räumen der Bank sollte durch MiFID II transparenter werden, da auch die SI die MiFID-Regeln einhalten müssen und kontrolliert werden.
Mit SI will ESMA den anonymen, nicht veröffentlichten Wertpapierhandel im Rahmen von sogenannten „Dark Pools“ eindämmen. Dieser entzieht sich bislang im Wesentlichen der Aufsicht, vermeidet von den Börsen- und Wertpapiergesetzen vorgeschriebene Mitteilungspflichten, die jetzt mit MiFID II deutlich verschärft wurden. Ein gänzliches Verbot wollte man vermeiden, um das Geschäft nicht vollends in die Illegalität zu treiben. Nachdem die meisten „Dark Pools“ von renommierten Großbanken, allerdings mit Vorliebe in Hongkong, betrieben werden, könnten die SI sich als eine Art „quasi-legaler Dark Pools“ durchsetzen.
Skeptiker meinen allerdings, dass der Kontrolleifer der Aufseher dem schwer fassbaren „Dark Trade“ wenig bekannter Unternehmen Auftrieb geben wird. In diesem dunklen Bereich des Internets sorgt zwar die fehlende Transparenz für erhöhte Risiken und schafft ein Aktionsfeld für Betrüger, doch haben die Verkäufer wie die Käufer von Wertpapieren den Vorteil anonym zu bleiben. Jedenfalls so lange, das gehandelte Papier nicht Gegenstand einer offiziellen Transaktion wird.
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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.