Polens Präsident Nawrocki: Konfrontation statt Konsens?
Mit dem Wahlsieg des neuen polnischen Präsidenten Karol Nawrocki rücken in Warschau nicht nur Hoffnungen, sondern vor allem Unsicherheiten in den Vordergrund. Beobachter gehen davon aus, dass das Land vor einer Phase politischer Instabilität, wachsender Spannungen und Machtkämpfe steht. Grund ist vor allem die zu erwartende Konfrontation zwischen dem neuen Staatsoberhaupt und der regierenden Parlamentsmehrheit um Premierminister Donald Tusk. Ob Polen seinen proeuropäischen Kurs fortsetzen, seine außenpolitische Ausrichtung beibehalten oder das Verhältnis zu seinen Nachbarn neu definieren wird – all das steht zur Disposition. Das berichtet das Nachrichtenportal Verslo žinios.
Die Präsidentschaftswahl hat die tiefe Polarisierung innerhalb der polnischen Gesellschaft offengelegt – mit potenziell weitreichenden Folgen für die politische Architektur des Landes in den kommenden Monaten.
Bereits unmittelbar nach der Wahl wurden Stimmen laut, wonach Nawrocki der Regierung kritisch bis feindselig gegenübersteht. Jarosław Kaczyński, Oppositionsführer und Vorsitzender der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), erklärte gar, die Polen hätten Premier Tusk „die Rote Karte gezeigt“ – und forderte die Einsetzung eines „technokratischen“ Übergangskabinetts.
Tusk, ehemaliger Präsident des Europäischen Rates, reagierte prompt: Einen Tag nach der Wahl – am 2. Juni – kündigte er ein Vertrauensvotum im Parlament an, um die Unterstützung für seine proeuropäische Regierung zu testen.
Politologen weisen darauf hin, dass Tusks Koalition bereits jetzt erheblich unter Druck steht. Wichtige Gesetzesinitiativen werden blockiert, die Regierungsarbeit stockt, die Gefahr politischer Instabilität wächst. Sollte sich die Lage nicht stabilisieren, könnten vorgezogene Neuwahlen nötig werden – obwohl regulär erst in zweieinhalb Jahren gewählt werden müsste.
Wirtschaft bleibt vorerst stabil – doch Populismus droht
Polnische Unternehmer und Ökonomen, die sich gegenüber dem Wirtschaftsportal Puls Biznesu zu den Wahlen äußerten, erwarten bei zentralen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen keine abrupten Kurswechsel. Gleichzeitig befürchten sie jedoch, dass die Regierungskoalition unter Druck gerät, populistischen Forderungen nachzugeben – mit steigenden Haushaltsdefiziten und höheren Sozialausgaben. Ein Kurs, den Tusk bislang zu vermeiden suchte.
Tomasz Wróblewski, Präsident des Warschauer Instituts für Unternehmertum, sieht in Nawrockis Wahlsieg ein ernstes Signal an die Europäische Kommission.
„Nach dem Sieg proeuropäischer Kräfte in Rumänien, dem Niedergang der AfD in Deutschland, dem Rückgang der Le-Pen-Partei in Frankreich sowie dem Scheitern von EU-Skeptikern in Österreich und Portugal rechnete die Kommission mit einem Sieg von Rafał Trzaskowski. Dann hätte sie ihren ambitioniertesten Plan vorantreiben können: die Reform der EU-Verträge – mit mehr Macht für Brüssel und weniger nationalem Vetorecht. Nawrockis Wahlsieg sowie der Aufwind für die radikale Opposition in Polen, zusammen mit den euroskeptischen Regierungen in Ungarn, Italien und der Slowakei, drohen diesen Plan zu bremsen“, so Wróblewski.
Adam Marciniak, Präsident der VeloBank, äußerte sich optimistischer. Polen solle auch unter Nawrocki an seinem proeuropäischen Kurs festhalten, um wirtschaftlich und institutionell von der EU zu profitieren.
Außen- und Verteidigungspolitik: Stabilität mit Bruchlinien
Im Bereich Verteidigung erwarten Beobachter keine grundlegenden Veränderungen. Nawrocki erkennt die Bedrohung aus dem Osten an und hat sich wiederholt kritisch zur aggressiven Politik Russlands geäußert.
Auch Polens außenpolitischer Kurs dürfte auf den ersten Blick konstant bleiben. Konfliktpotenzial gibt es jedoch bei konkreten Fragen der EU-Agenda – insbesondere bei der Entsendung von Soldaten in die Ukraine. Nawrocki hat dies kategorisch abgelehnt – ebenso wie zuvor Präsident Andrzej Duda.
Zugleich könnte Nawrocki das Verhältnis zur Ukraine belasten. Er spricht sich gegen einen EU- oder NATO-Beitritt der Ukraine aus und fordert eine Einschränkung der Vergünstigungen für ukrainische Geflüchtete.
Analysten sind überzeugt: Wäre Rafał Trzaskowski Präsident geworden, wäre die europäische Agenda deutlich konfliktfreier verlaufen.
„Dann müssten auch wir in Litauen nicht mehr zwischen Europa und Polen wählen“, so der litauische Analyst Adamas Roževičius im Gespräch mit LRT Radijas. „Doch es hat Karol Nawrocki gewonnen – ein Mann, dessen außenpolitischer Anker die USA sind. Das ist nicht zwingend schlecht. Große Unterschiede zu Andrzej Duda wird es in diesem Bereich kaum geben (...). Wir müssen deshalb nicht in Panik verfallen.“
Ein Präsident mit scharfer Klinge – und Rückenwind aus Washington
Weniger optimistisch äußert sich Slawomir Sierakowski, Gründer der Bewegung Krytyka Polityczna und Senior Fellow bei Mercator. Seiner Einschätzung nach war Duda oft eine „komische Figur“, eine „Marionette an den Fäden von Kaczyński“. Nawrocki dagegen sei deutlich härter und kompromissloser.
„Er ist eine weitaus gefährlichere Figur – zumal er sich der vollen Rückendeckung der Trump-Administration sicher sein kann, die sich bereits aktiv in die polnischen Wahlen eingemischt hat“, warnt Sierakowski.
Ob Nawrocki zum Machthebel für eine neue politische Ära in Polen wird oder in der Konfrontation mit der Regierung Tusk an institutionellen Hürden scheitert, bleibt offen. Klar ist nur: Die kommenden Monate versprechen wenig Stabilität – und viele Fragezeichen.