Dobrindt und Frei verteidigen Migrationspolitik
Der Entscheid eines Berliner Gerichts sorgt für Wirbel. Doch die Bundesregierung will an ihrer Linie festhalten – und "nacharbeiten".
Die Bundesregierung hält trotz eines Gerichtsentscheids und deutlicher Kritik an ihrem verschärften Kurs in der Migrationspolitik fest. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt befürchtet auch nicht, dass Bundespolizisten nun für ihr Handeln haftbar gemacht werden können. "Das ist vollkommen abwegig, dass Polizisten belangt werden, wenn sie das tun, was ihr Auftrag ist", sagte der CSU-Politiker in der ARD-Talkshow "Maischberger".
Der Auftrag sei von der Politik formuliert worden. "Und deswegen finde ich das eine Einschätzung, die schon weit hergeholt ist." Oppositionspolitiker hatten moniert, dass Polizeibeamte, die Zurückweisungen durchführen, von der Bundesregierung jetzt in eine schwierige Lage gebracht würden.
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am Montag in einer Eilentscheidung festgestellt, die Zurückweisung von drei Somaliern bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) sei rechtswidrig gewesen. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Die drei Betroffenen waren nach Polen zurückgeschickt worden.
Polizei muss rechtssicher handeln können
Der Vorsitzende der Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf, sagte den Sendern RTL und ntv, es bleibe abzuwarten, ob eine Rechtswidrigkeit grundsätzlich festgestellt werde oder ob es bei den Einzelfällen bleibe. In jedem Fall müssten die Kollegen rechtssicher handeln und dürften bei einer festgestellten Rechtswidrigkeit "nicht persönlich belangt werden".
Dobrindt hatte am siebten Mai, wenige Stunden nach seinem Amtsantritt als Bundesinnenminister, eine Intensivierung der Grenzkontrollen verfügt. Gleichzeitig ordnete er an, künftig sollten auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können.
Frei sieht keine Konsequenzen für ganz Deutschland
Kanzleramtsminister Thorsten Frei will den Gerichtsentscheid berücksichtigen, sieht darin aber keine grundsätzliche Bedeutung. "Ein Verwaltungsgericht kann natürlich keine politische Entscheidung mit Wirkung für das gesamte Land treffen", sagte der CDU-Politiker im ZDF-"heute journal".
Im konkreten Fall werde man den Beschluss befolgen, allerdings handele es sich bei der allgemeinen Thematik um "schwierigen juristischen Stoff", über den am Ende möglicherweise erst der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden werde.
Die Bundesregierung werde nun "nacharbeiten", betonte Frei: "Es geht jetzt natürlich darum, sehr genau zu spezifizieren und auch darzulegen, worin die besondere Situation liegt, die eine solche Regelung nicht nur erforderlich, sondern auch geboten macht." Er sehe als Begründung eine "Überforderungssituation", entstanden durch zu viel Migration – zum Beispiel bei der Kinderbetreuung, in Schulen und im Gesundheitswesen.
Notlage – ja oder nein?
CSU-Parteichef Markus Söder wiederum argumentierte in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" etwas anders: Die Nachbarländer Deutschlands hielten sich bei der Zuständigkeit für Migranten zum Teil nicht an europäisches Recht, meinte er. "Dadurch ergibt sich für uns eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung."
Das Verwaltungsgericht hatte argumentiert, die Regierung könne sich nicht auf eine "nationale Notlage" berufen. Es fehle dafür "an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung".
Regierung beschließt Maßnahmen für Abschiebungen
Das schwarz-rote Kabinett hat eine weitere Reform angestoßen, um den von der Union angekündigten Kurswechsel in der Migrationspolitik umzusetzen. Es entschied laut Regierungssprecher über eine Formulierungshilfe des Innenministeriums für die Koalitionsfraktionen zur Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsländer: Demnach kann die Bundesregierung diese Einordnung künftig per Rechtsverordnung treffen – also ohne Zustimmung des Bundesrats.
Denn dort haben Länder mit Beteiligung von Grünen und Linken in der Vergangenheit entsprechende Pläne blockiert. Die nun beschlossene Änderung, über die der Bundestag noch entscheiden muss, soll Asylentscheidungen für Menschen aus diesen Staaten beschleunigen und Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber vereinfachen.
Es gehe darum, die "Asylwende" zu vollziehen, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), der sich nach der Kabinettssitzung im Innenausschuss den Fragen der Abgeordneten zu den von ihm angeordneten Zurückweisungen Asylsuchender an den Grenzen stellte. Von Deutschlands Nachbarstaaten werde dieser Kurswechsel insgesamt positiv aufgenommen. Politiker der Linken und der Grünen kritisierten, dass der Minister vor seiner Befragung im Ausschuss zunächst mit Pressevertretern sprach.
Sichere Herkunftsländer: Maghreb-Staaten
Die vom Kabinett nun beschlossene Reform soll Asylentscheidungen für Menschen aus diesen Staaten beschleunigen und Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber vereinfachen. Möglich wird die Einstufung zusätzlicher Länder per Verordnung, weil sie sich nicht auf das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl für politisch Verfolgte erstrecken soll, das ohnehin nur sehr wenigen Schutzsuchenden zugesprochen wird. Bei den meisten Asylbewerbern, die in Deutschland einen Schutzstatus erhalten, greift der Flüchtlingsschutz oder der sogenannte subsidiäre Schutz für Menschen, denen im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht.
Die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten sei kein Verwaltungsakt, sondern ein Eingriff in individuelle Schutzrechte, kritisierte die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat. "Wer so handelt, rüttelt an den Grundpfeilern unseres Rechtsstaatsprinzips."
Im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, zuerst Algerien, Indien, Marokko und Tunesien neu als sichere Herkunftsstaaten einzustufen.
Kein Anwalt mehr vom Staat
Gestrichen werden soll laut Kabinettsbeschluss zudem eine Vorschrift, wonach Menschen, die von Abschiebungshaft oder Ausreisegewahrsam betroffen sind, einen vom Staat gestellten Anwalt erhalten. Diese Verpflichtung war erst in der Zeit der Ampel-Regierung auf Drängen der Grünen ins Aufenthaltsrecht aufgenommen worden. Sie gilt auch für Asylbewerber, die im sogenannten Dublin-Verfahren in einen anderen EU-Staat überstellt werden sollen und für die eine sogenannte Überstellungshaft angeordnet wurde.
Weniger Familiennachzug, keine Einbürgerung mehr nach drei Jahren
Nach bisheriger Planung wird sich der Bundestag an diesem Freitag in erster Lesung mit der geplanten Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten befassen. Der ist – anders als bei Flüchtlingen, die keinen eingeschränkten Schutzstatus haben – bereits jetzt auf 1.000 Angehörige pro Monat beschränkt.
Auch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Abschaffung der Einbürgerung von besonders gut integrierten Ausländern bereits nach drei Jahren hat vergangene Woche das Kabinett passiert. Der Union war die von ihr als "Turbo-Einbürgerung" bezeichnete Regelung, die von der Ampel-Koalition eingeführt worden war, von Anfang an ein Dorn im Auge. Ihr Argument: So schnell könne sich niemand in die deutschen Lebensverhältnisse einfügen.
Zurückweisung von Asylsuchenden
An den deutschen Grenzen werden auf Anordnung von Dobrindt nun auch Asylsuchende zurückgewiesen. An dieser Praxis hält die Bundesregierung auch nach einer Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts fest. Das Gericht hatte festgestellt, die Zurückweisung von drei Somaliern bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) am 9. Mai sei rechtswidrig gewesen. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Die drei Betroffenen waren nach Polen zurückgeschickt worden.
Bundesinnenminister Dobrindt sagte, er befürchte nicht, dass Bundespolizisten für ihr Handeln an der Grenze haftbar gemacht werden könnten. "Das ist vollkommen abwegig, dass Polizisten belangt werden, wenn sie das tun, was ihr Auftrag ist", sagte der CSU-Politiker in der ARD-Talkshow "Maischberger". Der Auftrag sei von der Politik formuliert worden. "Und deswegen finde ich das eine Einschätzung, die schon weit hergeholt ist."
Mihalic: Polizei ist nicht der Politik verpflichtet
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, sagte, es sei bemerkenswert, dass Dobrindt in Abrede stelle, dass er die Polizisten in eine schwierige Lage bringe. "Ich will nur mal daran erinnern, dass Polizeibeamtinnen und -beamte eben nicht der Politik verpflichtet sind, sondern ausschließlich an Recht und Gesetz gebunden sind", sagte sie.
Wenn Beamte der Auffassung sind, dass eine dienstliche Anweisung rechtswidrig ist, können sie Widerspruch einlegen (remonstrieren). Dies ist dem Vernehmen nach in Bezug auf die verschärften Grenzkontrollen bislang nicht geschehen.
Linken-Politikerin traf betroffene Somalier
Dobrindts Angaben zufolge hatten die Somalier, die sich mit Unterstützung von Pro Asyl an das Gericht wandten, bereits am 2. und am 3. Mai versucht, nach Deutschland einzureisen – jeweils ohne ein Asylgesuch vorzubringen. Dies hätten sie erst beim dritten Versuch am 9. Mai getan.
Die Linken-Innenpolitikerin Clara Bünger geht allerdings davon aus, dass die drei Migranten auch bei den ersten zwei Einreiseversuchen den Wunsch, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen, geäußert haben. Sie sagte: "Ich selbst habe die drei getroffen. Sie haben mir glaubwürdig versichert, dass sie sehr wohl deutlich gesagt haben, dass sie Asyl beantragen wollen."
Rund 140 zurückgewiesene Asylsuchende
Menschen, die kein Asylgesuch vorbringen, und Ausländer mit Wiedereinreisesperre waren schon vor der von Dobrindt am 7. Mai erlassenen Anordnung zurückgewiesen worden. Durch die Änderung gab es nun laut Bundesinnenministerium rund 140 zusätzliche Zurückweisungen.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Marcel Emmerich, sagte nach einer Sitzung des Innenausschusses, an der Dobrindt teilnahm: "Die Zahlen sprechen für sich und entlarven diesen Grenzblockaden-Zirkus als das, was er ist: teure Symbolpolitik auf Kosten von Wirtschaft, Pendlern, Bundespolizei und Schutzsuchenden."