Finanzen

Europas Banken und die EZB werden zur Gefahr für den Euro

Der Aufstieg des Komikers Beppo Grillo zum erfolgreichsten Politiker Italiens steht im Mittelpunkt des Interesses und der Reaktionen: Nach der Wahl am 4. März, bei der Grillos „Fünf Sterne“-Partei 32,7 Prozent der Stimmen und mit Abstand den ersten Platz eroberte, wechselt europaweit die Stimmung zwischen „nicht ernst nehmen“ und „diese Wahl bedroht die Existenz der EU“.
25.03.2018 03:11
Lesezeit: 5 min

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Der Aufstieg des Komikers Beppo Grillo zum erfolgreichsten Politiker Italiens steht im Mittelpunkt des Interesses und der Reaktionen: Nach der Wahl am 4. März, bei der Grillos „Fünf Sterne“-Partei 32,7 Prozent der Stimmen und mit Abstand den ersten Platz eroberte, wechselt europaweit die Stimmung zwischen „nicht ernst nehmen“ und „diese Wahl bedroht die Existenz der EU“. Die zweite Bemerkung trifft die Problematik am besten: Grillos Partei kritisiert die EU scharf, stellt den Euro in Frage, orientiert sich an US-Präsident Donald Trump und an Russlands Langzeit-Präsident Wladimir Putin, betont zwar die Demokratie, vertritt aber durchaus Führungsvorstellungen, die manche Italiener an Silvio Berlusconi oder gar an Beninto Mussolini erinnern. Die EU-Skepsis im EU-Gründungsland Italien könnte von den EU-Gegnern Trump und Putin für ihre Zwecke ausgenutzt werden.

Das Wahlergebnis hat viele Ursachen:

  • Die Enttäuschung vieler Italiener über die EU entzündet sich am Mangel an Solidarität der anderen EU-Staaten bei der Unterbringung der Flüchtlinge und wird, wie überall,
  • durch die Regulierungswut der Brüsseler Stellen verstärkt.
  • Eine entscheidende Rolle spielt auch in Italien der Ärger vieler, die sich durch den umfassenden Wandel in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und in der Technologie überfordert fühlen.
  • Und nicht zuletzt weinen manche Unternehmer der Annehmlichkeit nach, als man vor der Einführung des Euro bequem die Lira abwerten konnte, wenn man im internationalen Wettbewerb Probleme hatte.

Aber genau der Euro erweist sich, vielfach unbemerkt, als eine italienische Erfolgsstory, die allerdings durch die hohen Staatsschulden überdeckt wird.

Die nicht beachtete Erfolgsstory der italienischen Wirtschaft

Eines der größten Atouts der Euro-Einführung bestand genau in dem bedauerten Umstand: Die gemeinsame Währung kann ein Land gegenüber einem anderen Euro-Land nicht abwerten. Somit war und ist Italien daran gehindert, seine lange geübte Praxis fortzusetzen und mit Abwertungen der Lira seine Waren und Dienstleistungen auf den Weltmärkten zu verbilligen. Zum Zeitpunkt der Euro-Einführung – 1999 als Buchgeld und 2002 als Bargeld – war die italienische Wirtschaft nur beschränkt wettbewerbsfähig.

Der Euro wirkte somit für die Unternehmen, die im Export, im Bereich der Dienstleistungen oder im Tourismus tätig waren und sind als Peitsche: Man konnte in erster Linie nur mehr mit Leistungen und nicht mehr mit niedrigen Preisen punkten. Diese Herausforderungen waren naturgemäß nicht über Nacht zu bewältigen.

Die Folgen lassen sich an den Daten deutlich ablesen. Italien musste etwa zehn Jahre lang eine schmerzhafte Inflation in Kauf nehmen. In jüngster Zeit hat sich das deutlich geändert. Auch wenn ein Teil dem niedrigeren Ölpreis zu danken ist, so sind Teuerungsraten bei 0 Prozent doch bemerkenswert und auch die Steigerungsrate von 2017 war mit 1,4 Prozent moderat.

Auch andere Daten zeigen die heilsame Wirkung der mit dem Euro zustande gekommenen Hartwährungspolitik: Die Leistungsbilanz aus Handel, Dienstleistungen und Tourismus war bis 2010 negativ und ist seit damals bei wachsender Tendenz positiv. Italiens Wirtschaft hat es also geschafft, auf den Weltmärkten konkurrenzfähig zu sein.

Somit stellt sich die Frage, wieso das Land nach wie vor als Krisenland gilt und warum die Drohung der erfolgreichen Fünf-Sterne-Partei, aus dem Euro auszutreten, ernst zu nehmen ist.

Italien konnte 2.270 Milliarden Schulden machen und niemand griff ein

Tatsächlich stellt Italien eine Gefahr für den Euro dar, weil die Staatsverschuldung 2.270 Mrd. Euro beträgt und somit 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung von geschätzt 1.700 Mrd. Euro entspricht. Das Zustandekommen dieser enormen Verschuldung ist allerdings nicht allein die Folge einer verfehlten Haushaltspolitik durch die italienischen Regierungen.

Eine entscheidende Rolle spielt das Fehlverhalten der Banken, der EU-Gesetzgeber und der Europäischen Zentralbank.

Zur Jahrtausendwende hatte Italien bereits eine Staatsverschuldung in der Größenordnung von 100 Prozent des BIP und war aufgefordert, diese Quote auf die in der EU vorgeschriebenen 60 Prozent zu drücken. Das Gegenteil war und ist der Fall.

Allerdings: Die Ausweitung war nur möglich, weil die Banken und Versicherungen aus dem In-und Ausland dem Staat großzügig Kredit gewährten.

Gefördert wurde diese Entwicklung durch die in allen Regulierungen für Banken und Versicherungen enthaltene Bestimmung, wonach Euro-Staaten als risikolos einzustufen sind und Finanzierungen folglich nicht mit Kapital unterlegt werden müssen. Man kann also große Beträge günstig und weil groß sogar mit wenig Aufwand verleihen.

Als in den vergangenen Jahren vielen Banken die Finanzierung von Staaten und insbesondere von Italien trotz der vorteilhaften Regeln zu riskant wurde, sprang die Europäische Zentralbank ein: Unter EZB-Präsident Mario Draghi flossen und fließen immer noch Milliarden Finanzierungen in die Staatskassen.

Das Ergebnis: Der Staat bekam die vorgesehene, heilsame Wirkung des Euro nicht zu spüren. Die Politiker sahen keinen besonderen Handlungsbedarf. Also nahm man gerne die Milliarden an und so stieg der Schuldenstand allein in den Jahren seit 2010 um über 400 Milliarden.

Die Geldschwemme hatte keine positiven Wirkungen

Aus dem großzügig finanzierten Staatshaushalt wurde und wird ebenso großzügig eine überbordende Bürokratie finanziert.

Die Bevölkerung nimmt die staatlichen Wohltaten nicht zur Kenntnis, da ständig Einsparungen vorgenommen werden, die das Problem des Budgets nicht lösen, aber doch bestimmte Gruppen schmerzhaft treffen.

Vor allem die Renten machen den Italienern zu schaffen: Frauen bekommen im Schnitt etwa 650 Euro im Monat, Männer 1200, wenn sie in der Privatwirtschaft tätig waren. Diese nüchternen Daten weisen auf eine dramatische Altersarmut vor allem bei Frauen hin, wobei auch die niedrigen Witwenpensionen von etwa 550 Euro (im Schnitt!) eine große Rolle spielen. Im öffentlichen Dienst betragen die Durchschnittswerte der Pensionen hingegen 1600 Euro bei den Frauen und 2500 Euro bei den Männern. Die Privilegien der öffentlich Bediensteten sorgen für Spannungen innerhalb der Bevölkerung.

Die hohen Ausgaben des Staates hatten auch keine positive Wirkung auf den Arbeitsmarkt. Die gesamte Arbeitslosigkeit hält sich hartnäckig bei 10 bis 11 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit erreicht sogar 40 Prozent. Die Folge: Allein im Jahr 2016 haben 115.000 junge Menschen Italien verlassen, um anderswo Arbeit zu finden.

Auch in Italien wirkt der Kündigungsschutz negativ: Wie bis zu den Reformen unter Gerhard Schröder in Deutschland, wie trotz der halbherzigen Reformen in Frankreich unter Präsident Francois Hollande und der ebenfalls ungenügenden Korrektur unter Ministerpräsident Matteo Renzi. Kündigungsschutz bewirkt, dass die Unternehmen möglichst wenige Mitarbeiter aufnehmen und im Krisenfall den Betrieb zur Gänze schließen müssen, weil eine Reduktion der Belegschaft nicht möglich ist.

Im Bewusstsein der italienischen Bevölkerung, aber auch bei den EU-Spitzen finden daher die eingangs geschilderten Hinweise auf eine deutliche Verbesserung der Wirtschaftslage keinen Niederschlag. Man erlebt ein Land in der Krise:

  • mangelhafte Infrastruktur
  • Altersarmut
  • keine Perspektive für die Jugend
  • Bankenkrisen
  • ständige Spar-Appelle
  • Korruptionsskandale
  • Massen an Flüchtlingen, die von anderen EU-Staaten nicht oder nur schleppend aufgenommen werden

Die Lehren aus Italien: Die Finanzierung von Staaten muss die ohnehin bekanten Faktoren beachten. Defizite können sinnvoll nur finanziert werden, wenn sie in Perioden schwacher Konjunktur den Ausbau der Infrastruktur, der Forschung und der Investitionen im öffentlichen und im unternehmerischen Bereich ermöglichen. Die laufenden Ausgaben der öffentlichen Stellen müssen aus den laufenden Einnahmen und Beiträgen finanziert werden. Die leider vernachlässigte Grundregel zwingt die Staaten zur finanziellen Disziplin und ermöglicht doch eine flexible, konjunkturabhängige Budgetpolitik.

Ist Italien auf dem Weg, die EU zu sprengen?

In diesem Umfeld profilieren sich Politiker, die als Führungsfiguren akzeptiert werden. Das war mit Silvio Berlusconi der Fall, dessen dubiose Aktivitäten von vielen Italienern mit der Bemerkung entschuldigt wurden „Das ist doch ein richtiger Mann!“. Nun punktet Beppo Grillo mit problematischen Ankündigungen, die Italien nicht sanieren können. Verschiedentlich wurde angenommen, Grillo sei politikmüde und würde sich von der Bewegung distanzieren. Auch haben die Fünf-Sterne-Vertreter immer erklärt, sie würden keine Koalition mit anderen Parteien bilden. Nach der Wahl zeigte ein Film im Internet Grillo glücklich im Sand herumspringen und die verschiedenen Prozentanteile der Parteien zeichnen. Alle Kombinationen werden im Sand markiert und der Film endet mit Grillos Ausruf, jetzt werde man doch im Lande die Demokratie endlich installieren können.

Somit wird es spannend.

  • Komt es tatsächlich zu einer Koalition? Und wenn ja, mit den linken Parteien? Bei den „Fünf Sternen“ sind auch viele linke Forderungen zu finden.
  • Oder mit rechts, da man einen stark geführten Staat befürwortet?
  • Oder wird man doch weiter aus der Opposition die traditionellen Parteien jagen?
  • Wird tatsächlich ein Austritt Italiens aus dem Euro oder sogar der EU betrieben? Steht jetzt nach dem Brexit und der Politik in den Ländern Polen und Ungarn, die auf Distanz zu Brüssel gehen, nun eine Gefährdung der EU aus Italien auf dem Programm?
  • Bedeutet die Nähe zu Putin, dass Italien die EU-Sanktionen im Gefolge der Krim-Annexion gegen Russland bekämpft?

Und weitere Fragen sind offen:

  • Wer wird die Partei tatsächlich führen? Der offizielle Obmann, der 31jährige Luigi di Maio, der auch den Wahlkampf als Spitzenkandidat bestritten hat?
  • Welche Rolle wird der Unternehmer Davide Casaleggio spielen?

Casaleggio ist der Sohn des mittlerweile verstorbenen Mitbegründers der „Fünf Sterne“, Gianroberto Casaleggio, der mit Grillo eng verbunden war und über seine Internetfirma die Partei unterstützt hat. Vor allem Casaleggio junior, 42 Jahre alt, möchte gerne die Gründer in den Olymp der Partei verweisen und selbst die Partei gestalten. Nur: Ohne Grillo wären die „Fünf Sterne“ kaum die stärkste Partei im italienischen Parlament geworden.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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