Nach dem Austritt Großbritanniens wollen europäische Reedereien und Schifffahrts-Gesellschaften britische Häfen künftig nicht mehr anlaufen, berichtet die Financial Times. Stattdessen sollen die Direktverbindungen zwischen Irland und dem europäischen Festland verstärkt genutzt werden. Begründet wird diese Entscheidung durch die Reeder mit der Sorge vor künftigen Grenzkontrollen. Britische Spediteure haben bereits im vergangenen Jahr vor einer derartigen Entwicklung nach dem Brexit gewarnt. In den kommenden Wochen wollen die ersten Reedereien Irland neuen Routen anlaufen.
Über die Hälfte der irischen Handelsexporteure haben in der vergangenen Woche angekündigt, ihre Ware mittels Direktverbindungen ans europäische Festland bringen zu wollen, wenn sich die Transportkosten durch zusätzliche Grenz- und Zollkontrollen nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU erhöhen. Durch die zusätzlichen Kontrollen befürchten sie längere Transportzeiten und damit ansteigende Personalkosten.
Bislang haben sich Europa und Großbritannien noch keine Einigung über wirtschaftliche Positionierung des Landes nach dem Brexit geeinigt. Während Premierministerin Theresa May eine Handelspartnerschaft mit Zoll- und Warenfreiheiten anstrebt, hält sich die EU in diesem Punkt bedeckt. Vereinbart wurde jedoch, dass Großbritannien seinen Handel mit EU-Staaten in einer Übergangszeit bis 2020 nach europäischen Regeln weiter betreiben kann, ohne an Grenzkontrollen gebunden zu sein.
Verona Murphy, Präsidentin der irischen Straßen und Transportvereinigung, befürchtet jedoch, dass nach Ablauf der Übergangszeit irische Exporteure ein dreistufiges Grenzkontrollverfahren durchlaufen müssen, welches durch den Zoll und die Landwirtschafts- und Einwanderungsbehörden durchgeführt wird.
Zwei Drittel des irischen Warenverkehrs wird momentan noch über Nordirland und Großbritannien nach Europa gebracht. Genutzt werden dazu die für den Fernverkehr ausgebauten britischen Autobahnen, Kurzfährverbindungen von Dublin ins westenglische Holyhead und die unterseeische Eisenbahnverbindung zwischen Dover und Calais.
Künftig sollen Güter ab dem südirischen Cork ans spanische Festland nach Santander geschifft werden. Für einen Transport nach Westeuropa haben Reeder die Route zwischen Dublin und den Häfen Cherbourg in Frankreich und Zeebrügge und Rotterdam in den Niederlanden festgelegt.
In den kommenden Wochen will die britische Brittany Ferries zwischen Irland und Spanien den Transport aufnehmen. Nach Unternehmensangaben ist diese Route zwar länger, als der bisherige Transport über Großbritannien. Das Verbleiben in der Eurozone und damit das Entfallen zeitraubendender Grenzkontrollen wiege den Zeitverlust jedoch auf.
Die irische Continental Gruppe gab bekannt, ihre Frachtkapazitäten um das zehnfache von 120 auf 1155 Lkw-Ladungen erhöhen zu wollen, wenn die Direktverbindung nach Cherbourg aufgenommen werde.
Vor dieser logistischen Entwicklung haben über 170 britische Spediteure bereits im vergangenen Jahr gewarnt. Gegenüber dem Guardian hatte Guy Platten, Vorsitzender des britischen Fracht- und Reedereiverbands, eine Logistikverlagerung als hausgemachtes Probleme und als politisches Versagen bezeichnet.
Auch für die Betreibergesellschaft des Eurotunnels ist die unklare europäische Situation unbefriedigend. Im Fall einer Einführung von Grenzkontrollen erwartet sie an den Passierstellen auf britischer und französischer Seite Lkw-Staus von bis zu 40 Kilometern. Pro Jahr werden rund 2,6 Millionen Container durch den Eurotunnel transportiert und täglich bis zu 8.000 Lkw abgefertigt. Die überwiegende Zahl der Container kommt aus der EU. Für die Zoll- und Warenabfertigung von Nicht-EU-Waren rechnen die Betreiber durchschnittlich 20 Minuten.