Politik

Analyst: Türkische Wirtschaft ist anfällig für Angriffe von Spekulanten

Lesezeit: 3 min
18.06.2018 23:11
Spekulanten haben sich wegen der US-Zinspolitik die Schwellenländer vorgenommen. Die türkische Wirtschaft ist besonders anfällig.
Analyst: Türkische Wirtschaft ist anfällig für Angriffe von Spekulanten

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die türkische Lira wurde am Montag gegenüber dem Dollar bei 4.74 notiert. am vergangenen Donnerstag notierte sie noch bei 4.64, berichtet der englischsprachige Dienst von Reuters. Die Lira-Schwäche ist unter anderem auf einen „Spekulanten-Angriff” auf die Türkische Lira zurückzuführen.

Larry McDonald, Leiter der US-Makro-Strategien bei ACG Analytics, hatte am 7. Juni im Gespräch mit CNBC gesagt, dass die US-Notenbank ein wichtiger Faktor für die Probleme der Schwellenländer, was die Türkei einschließt, sei. „Es begann mit der Offshore-Dollar-Krise. Es gibt weltweit einen Mangel an Dollar. Wenn der Dollar höher steigt, macht das den Mangel extremer”, so McDonald. Zudem würden Spekulanten auf anfällige Währungen abzielen.

Andrew Brenner von NatAlliance Securities fügt hinzu: „Ihre Schulden (der Schwellenländer und der Türkei, Anm. d. Red.) sind an den Dollar gebunden, und sie müssen sich selbst finanzieren. Jeder muss die Zinsen erhöhen, um seine Währungen zu verteidigen (...) Es wird schlimmer und schlimmer, und wird zum Selbstläufer, und plötzlich haben Sie systemische Risiken.”

Piotr Matys von der Rabobank sagte Bloomberg im Zusammenhang mit einer Sitzung der türkischen Notenbank im Dezember 2017: „Das heutige Treffen hätte eine Gelegenheit sein können, Spekulanten davon abzuhalten, gegen die Lira zu wetten, indem sie die Zinsen entscheidend erhöhen”. Doch die Notenbank habe nur “sehr wenig Spielraum, was wiederum die Lira einer weiteren Runde spekulativer Angriffe aussetzt.”

Die Finanzanalystin Elif Çepni, Partnerin der Foresight Consult GmbH in Frankfurt und Professorin an der türkischen Nişantaşı Universität, führt ein einer Analyse aus, dass die Anfälligkeit der türkischen Wirtschaft für Spekulanten-Angriffe auf das Strukturanpassungs- und Stabilisierungsprogramm vom 24. Januar 1980 zurückzuführen sei. Mit diesem Programm wurde der erste Schritt unternommen, um die türkische Wirtschaft zu liberalisieren und sie in die Weltwirtschaft zu integrieren: "Im Einklang mit diesem Ziel wurden viele neue Gesetze erlassen, um die Außenhandels- und Finanzbewegungen zu liberalisieren. Das Dekret Nr. 32 über den Schutz des Wertes der türkischen Währung, das am 11. August 1989 in Kraft trat, bildete den rechtlichen Rahmen für die Umwandlung der türkischen Währung in ’Konvertibilität’. Mit diesem Dekret wurde die Liberalisierung des Devisen- und Kapitalverkehrs weitgehend abgeschlossen.”

Doch dabei sei die Türkei keine Ausnahme gewesen. Seit den 1970er Jahren habe es weltweit derartige Reformen gegeben, die zu einem Anstieg von „Hot Money” (kurzfristige Kapitalflüsse, Anm. d. Red.) geführt, und damit die Anfälligkeit von Währungen und Volkswirtschaften erhöht haben. Hinzu sei dann ein „massiver Anstieg an spekulativen Aktivitäten gekommen”. Im Rahmen dieses globalen Systems sei es schwierig für einzelne Länder, Spekulanten-Angriffen entgegenzutreten.

Historisches Beispiel „Schwarzer Mittwoch”

US-Investor George Soros wurde aufgrund seiner rechtzeitigen Wette gegen die Bank of England im Jahr 1992 zu einem der berühmtesten Devisenhändler der Welt. Verbunden mit Kosten von etwa 3,3 Milliarden Pfund war die britische Zentralbank nicht in der Lage, sich gegen einen Angriff auf den Devisenmärkten zu verteidigen. Soros erzielte dadurch einen Gewinn von schätzungsweise einer Milliarde Dollar. Aufgrund des Spekulanten-Angriffs auf das britische Pfund musste die Bank of England Milliarden an Stützungskäufen tätigen, um das Pfund zu stabilisieren, was ihr jedoch misslang. Folglich wurde das Pfund abgewertet und Großbritannien stieg aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) aus.

Ausgangspunkt des Angriffs war die Ansicht der Spekulanten, wonach das Pfund überbewertet sei. Großbritannien sollte vor die Entscheidung gestellt werden, das Pfund abzuwerten, oder aber aus dem EWS auszusteigen. Aus diesem Grund setzten die Spekulanten Milliarden ein, um eine Abwertung des Pfunds herbeizuführen. Nachdem die Stützungskäufe von der Bank of England keine Wirkung zeigten, was sie nach finanzpolitischen Regeln hätten müssen, ging die Bank of England dazu über, den Leitzins schlussendlich von zehn auf zwölf Prozent und dann nochmal auf 15 Prozent zu erhöhen. Das Ziel war es, Investoren zurück ins Land zu holen. Trotz der drastischen Leitzinserhöhungen wetteten die Spekulanten weiterhin gegen das Pfund. Schließlich musste die Bank of England den EWS verlassen. Der Tag ging als „Schwarzer Mittwoch” in die Geschichte ein.

Der türkische Präsident Erdoğan meint, die Türkische Lira sei einem ähnlichen „Spekulanten-Angriff” ausgesetzt. „Sie haben nur ein Problem. Sie wollen sich Tayyip Erdoğan entledigen (...) Doch nicht Soros hat Tayyip Erdoğan an die Macht gebracht, sondern mein Volk, und nur mein Volk”, zitiert die Pressestelle des türkischen Präsidialamts Erdoğan.

***

Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tesla Grünheide - Protesttage: Polizei schützt Autofabrik mit Großaufgebot
10.05.2024

Die Kundgebungen gegen den Autobauer Tesla in Grünheide erreichten am Freitag einen neuen Höhepunkt. Während eines...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Chefredakteur kommentiert: Deutsche Bahn, du tust mir leid!
10.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Technologie
Technologie Kein Erdgas mehr durch die Ukraine? Westeuropa droht erneute Energiekrise
10.05.2024

Eines der größten Risiken für die europäische Erdgasversorgung im nächsten Winter ist die Frage, ob Gaslieferungen weiterhin durch die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch: Deutscher Leitindex springt auf Allzeithoch bei über 18.800 Punkten
10.05.2024

Der DAX hat am Freitag mit einem Sprung über die Marke von 18.800 Punkten seinen Rekordlauf fortgesetzt. Was bedeutet das für Anleger und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Streik am Bau: Gewerkschaft kündigt Proteste in Niedersachsen an
10.05.2024

Die IG Bauen Agrar Umwelt hat angekündigt, dass die Streiks am Bau am kommenden Montag (13. Mai) zunächst in Niedersachsen starten...

DWN
Politik
Politik Selenskyj drängt auf EU-Beitrittsgespräche - Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Überblick
10.05.2024

Trotz der anhaltenden Spannungen an der Frontlinie im Ukraine-Krieg bleibt Präsident Selenskyj optimistisch und setzt auf die...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Spahn spricht sich für breite Analyse aus mit allen Blickwinkeln
10.05.2024

Im deutschen Parlament wird zunehmend eine umfassende Analyse der offiziellen Corona-Maßnahmen, einschließlich Masken und Impfnachweisen,...

DWN
Politik
Politik Pistorius in den USA: Deutschland bereit für seine Aufgaben
10.05.2024

Verteidigungsminister Boris Pistorius betont in Washington eine stärkere Rolle Deutschlands im transatlantischen Bündnis. Er sieht den...