Politik

Israel und die Türkei wollen Europa mit Gas beliefern

Mit dem Southern Gas Corridor bietet sich für Europa eine Möglichkeit zur Diversifizierung seiner Energie-Versorgung.
02.09.2018 00:33
Lesezeit: 5 min

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew haben die Rolle Aserbaidschans als Gaslieferant der EU unterstrichen. "Deshalb ist die Eröffnung des südlichen Korridors eine gute Botschaft für die Energieversorgung der EU", sagte Merkel kürzlich bei einem Besuch in der aserbaidschanische Hauptstadt Baku mit Hinweis auf die neue Gaspipeline aus dem Land über die Türkei in die EU. Dies helfe, die europäischen Bezugsquellen von Gas zu diversifizieren. "Wir können die Rohstoffzusammenarbeit verstärken." Alijew betonte ebenfalls die Rolle seines Landes bei der Gasversorgung Europas und signalisierte die Bereitschaft zu einem weiteren Ausbau der Pipelines. Sein Land habe auch nichts dagegen, künftig turkmenisches Gas Richtung EU zu leiten.

Merkel sagte, es gebe gute Chancen für engere wirtschaftlichen Beziehungen mit Aserbaidschan. Deutsche Firmen seien etwa an einer Zusammenarbeit in den Bereichen Bau und Infrastruktur, Landmaschinen und Agrarsektor sowie Digitalisierung interessiert. "Was immer Aserbaidschan braucht, da wollen wir mitwirken", sagte sie und verwies auf 150 deutsche Firmen in dem Land. Auch Alijew sprach sich für verstärkte wirtschaftliche Beziehungen aus. Anders als die Regierungen von Georgien und Armenien, die Merkel zuvor besucht hatte, bezeichnete Alijew die Beziehungen zur EU als ausreichend eng.

Der Southern Gas Corridor (SGC) ist eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte weltweit und verbindet den Aserbaidschan mit Europa. Über den SGC soll Gas aus dem Kaspischen Meer (Shah Deniz-Gasfeld) nach Europa transportiert. Der SGC besteht aus den Pipelineprojekten South Caucasus Pipeline Expansion (SCPX), Trans Anatolian Pipeline (TANAP) und Trans Adriatic Pipeline (TAP).

Aus der Webseite der Projektgesellschaft SGC geht hervor: „Das Southern Gas Corridor-Projekt zielt darauf ab, die europäische Energieversorgung zu erhöhen und zu diversifizieren, indem Gasressourcen vom Kaspischen Meer in die Märkte in Europa transportiert werden.” Die Projektgesellschaft wurde am 31. März 2014 vom Wirtschaftsministerium der Republik Aserbaidschan und dem staatlichen aserbaidschanischen Unternehmen SOCAR gegründet.

Der SGC wurde zu etwa 80 Prozent fertiggestellt und der erste Gasstrom für Europa wird für 2020 erwartet. Da der europäische Gasverbrauch in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist, und die EU ihre Gasimporte diversifizieren will, setzt sie auf den SGC. Doch auch der Aserbaidschan wird durch den Gasexport nach Europa profitieren, denn der Gassektor Aserbaidschans macht 45 Prozent seines BIPs und 75 Prozent seiner Staatseinnahmen aus.

Der Importbedarf an Erdgas in Europa wird in den nächsten zehn Jahren weiter steigen, da die Niederlande und Großbritannien von Gasexporteuren zu Importeuren wechseln und die norwegische Energiepolitik neue Öl- und Gas-Offshore-Projekte einfrieren wird, so Oilprice.com.

Aserbaidschan wird eine wichtige Rolle bei der europäischen Energiesicherheit spielen, nicht nur als europäischer Partner mit einer stabilen Wirtschaft, sondern auch als Lieferant mit wachsendem Exportpotential des dringend benötigten Rohstoffs in einem Umfeld steigender Energiepreise.

Turkish Stream wird nach Angaben von Oilprice.com keine Konkurrenz für den SGC darstellen, da die EU-Kommission dem SGC eine Priorität einräumt. Wenn die EU-Kommission Russland keine Garantie für den zweiten Strang von Turkish Stream gibt, wird die Umsetzung des zweiten Strangs gefährdet sein. Der erste Strang von Turkish Stream versorgt ausschließlich die Türkei.

Neun europäische Unternehmen haben bisher zugestimmt, Erdgas von der SGC zu kaufen, darunter Shell, Bulgargaz, DEPA, Uniper, Engie, Hera Trading, Edison & Enel und AXPO. Das geht aus einem Bericht der London Stock Exchange hervor. Mit dem Beitritt zum Southern Gas Corridor-Projekt versuchen diese Unternehmen, ihr professionelles Portfolio zu diversifizieren und ihre Abhängigkeit von monopolisierten Preisen zu verringern, insbesondere aufgrund der dominanten Marktposition von Gazprom.

Bemerkenswerterweise unterzeichnete das italienische Unternehmen Edison mit SOCAR einen Vertrag über den Kauf von Erdgas aus dem Offshore-Projekt Shah-Deniz 2 für einen Zeitraum von 25 Jahren, berichtet das Energieportal O&G Links.

Angesichts der wachsenden Nachfrage nach Erdgas und der schlechten Beziehungen zwischen der EU und Russland ist der Aserbaidschan als Erdgaslieferant wichtig geworden. Der Iran und Turkmenistan möchten sich dem SGC anschließen. Der Iran verfügt über 33,5 Billionen Kubikmeter Erdgas und Turkmenistan über 7,5 Billionen Kubikmeter Erdgas, so die US-amerikanische Energieagentur EIA.

Das einzige Hindernis für Turkmenistan in dieser Phase ist der noch immer ungelöste Status des Kaspischen Meeres. Allerdings bereiten Azernews zufolge die fünf kaspischen Anrainerstaaten darauf vor, ein neues Abkommen über den rechtlichen Status des Meeres zu unterzeichnen. Dies würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Turkmenistan dem SGC-Projekt beitritt.

Der aserbaidschanische Präsident Alijew sagte bei der Einweihungszeremonie des SGC im Mai 2018, dass der Aserbaidschan bereit sei, „das Southern Gas Corridor-Projekt zu nutzen, um Erdgas aus Iran, Israel und Zypern zu transportieren”, führt 1news.az aus.

Cyril Widdershoven von der Risikoberatungs-Gesellschaft VEROCY sagte Azernews: „Mit Blick auf andere Optionen ist SGC eine der rentabelsten, da der Iran und andere mögliche Gaslieferungen auf absehbare Zeit eingeschränkt sein werden. Gleichzeitig kommt die Eröffnung von SGC zur richtigen Zeit, da sie bereits Marktanteile erringen kann, bevor die neuen Exporte von Flüssigerdgas (LNG) aus Ägypten auf den Markt kommen. Der Wettbewerb wird da sein, aber eine Erdgaspipeline hat einen besseren Zugang zu mehreren Regionen auf dem Balkan als LNG, und die Erdgaslieferungen an Erdgasleitungen sind immer noch viel billiger (...) Auch wenn in den europäischen Ländern die Tendenz zunimmt, nach anderen erneuerbaren Energiequellen zu suchen, wird Gas die wichtigste Energiequelle für die kommenden Jahrzehnte sein. Selbst in den Niederlanden zeigen die Berichte jetzt, dass selbst bei einem völligen Zusammenbruch der Groninger Gasversorgung und -produktion das Land zumindest bis 2030 einen erhöhten Gasbedarf haben wird, einige sogar über 2040 hinaus.”

Russland und der SGC

Russland plant, über einen Umweg am SGC teilzuhaben. Moskaus Pläne erstrecken sich auf Infrastrukturen in Südosteuropa, wie die TANAP- und TAP-Pipelines. Moskau beabsichtigt, sich am Auktions-System für die Pipeline zu beteiligen, die den Zugang zu jedem potenziellen Lieferanten ermöglicht. Im vergangenen Jahr sagte der stellvertretende Leiter von Gazprom, Alexander Medwedew, dass sein Unternehmen erwäge, Gas über die TAP im Rahmen eines Auktions-Systems zu pumpen, das allen potenziellen Lieferanten gleichen Zugang gewährt, berichtet bnw Intellinews. Medwedew bezweifelt Aserbaidschans Fähigkeit, die Pipeline zu füllen, und sagte, dass Russland eingreifen könnte, um etwaige Engpässe zu schließen, sobald die Verbindung ausgebaut ist, zitiert der englischsprachige Dienst von Reuters Medwedew. Ein hochrangiger EU-Beamter, der anonym bleiben wollte, sagte Reuters: „Es wäre absolut konträr zu allem, was wir mit Partnern vereinbart haben.”

Dies würde der Absicht der EU widersprechen, die eine Diversifizierung von russischem Gas vorgeschlagen hat. Die „Entbündelungsgesetzgebung” der EU bietet einen gleichberechtigten Zugang zur Verkehrsinfrastruktur, so dass Brüssel rechtlich keine Alternativen hat, um Moskaus Absichten zu blockieren.

In den vergangenen Jahren haben sich große Herausforderungen für den russischen Gasexport nach Europa ergeben: die vereitelte South-Stream-Pipeline, der EU-geförderte Rivale SGC und der Aufstieg des östlichen Mittelmeeres als Gas-Hub. Moskau hat sich jedoch als einfallsreich und relativ erfolgreich bei der Aufrechterhaltung seines Marktanteils erwiesen, so Oilprice.com. Die Teilnahme an mehreren Projekten, einschließlich des SGC, hat das Interesse der europäischen Partner für sibirisches Gas geweckt. Darüber hinaus hat die Vielzahl von Plänen und Absichten, an mehreren Projekten teilzunehmen, die Unsicherheit für andere potenzielle Lieferanten erhöht, die möglicherweise in alternative Quellen investieren könnten.

Israel und der SGC

Cemil Ertem, Wirtschaftsberater des türkischen Präsidenten, sagt in einem Interview mit der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Trend News Agency, dass die Türkei israelische Gaslieferungen an das Southern Gas Corridor Projekt anbinden wolle.

Der israelische Botschafter in Aserbaidschan, Dan Stav, gab bereits am 6. November 2016 bekannt, dass sein Land „die Möglichkeit in Erwägung ziehe, sein Erdgas über die Transanatolische Erdgasleitung [TANAP] durch die Türkei nach Europa zu transportieren”, zitiert die Trend News Agency Stav.

„Wir wollen eine Pipeline von Israel in die Türkei bauen, um Erdgas aus Israel in die Türkei exportieren zu können", sagte der israelische Energieminister Yuval Steinitz auf dem 22. World Petroleum Congress im Juli 2017 in Istanbul. „Israelisches Gas könnte über die Türkei nach Europa und auf den Balkan geliefert werden”, zitiert Caspian News Steinitz.

Zu den Gasfeldern in Israel gehören Tamar und Leviathan, betrieben von der US-amerikanischen Gesellschaft Noble Energy in Partnerschaft mit der israelischen Delek-Gruppe, und Karish und Tanin, die sich zu 100 Prozent in der Hand von Energean Israel befinden. Das geht aus der Webseite von Energean hervor.

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