Irene Preisinger von Reuters analysiert die prekäre Lage bei den deutschen Autobauern:
In der Autobranche hat sich Ungemach zusammengebraut: Diesel-Desaster, strengere Abgasziele, Strafzölle, Brexit-Sorgen und Rabattschlachten machen den Herstellern das Leben schwer. Noch dazu sind dunkle Wolken am Konjunkturhimmel aufgezogen, und der Umschwung hin zur elektrischen und vernetzten Mobilität verschlingt weiter Milliarden, ohne wirklich Gewinn abzuwerfen. Der Gegenwind zerrt immer heftiger an den Firmen. Das dritte Quartal habe sich für die Autobranche zum "perfekten Sturm" entwickelt, heißt es in einer Analyse von Barclays. Die weiteren Aussichten sind noch trüber: "Die Margen werden sinken", sagt Falco Weidemeyer von der Unternehmensberatung Roland Berger. "Sie könnten sogar Richtung Null tendieren, wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert."
Der Restrukturierungsexperte fügt hinzu: "Einzelne Hersteller, zum Beispiel von Sportwagen oder Luxuslimousinen, werden noch höhere Werte erzielen, aber sie werden sich auf niedrigerem Niveau einpendeln." Innerhalb der Pkw-Branche gibt es seit langem deutliche Unterschiede, wieviel Geld pro verkauftem Fahrzeug hängen bleibt. Je teurer das Auto, desto größer in der Regel die Rendite. In der Oberklasse gilt eine Marge von acht bis zehn Prozent als Richtschnur, in guten Zeiten liegen die Schwergewichte darüber. Doch viele Premium-Hersteller sind von dieser Spanne im Moment weit entfernt. Denn zu einer Flut allgemeiner Probleme kommen oft hausgemachte.
Bei BMW schrumpfte die Rendite im Autosegment im dritten Quartal um fast die Hälfte auf 4,4 Prozent. Hauptgründe waren die Rabattschlachten rund um die Umstellung auf den strengeren Abgasprüfzyklus WLTP und die Rückstellung von fast 700 Millionen Euro für Rückrufe. Daimler erzielte zuletzt im Pkw-Geschäft 6,3 Prozent - vor allem diverse Verfahren zu überhöhten Dieselabgaswerten fressen viel Geld, insgesamt wohl einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Bei Audi schmolz die Marge wegen einer 800 Millionen Euro schweren Geldbuße im Abgasskandal auf 0,8 Prozent zusammen. Alle drei deutschen Oberklasse-Autobauer warfen ihre Jahresziele über Bord, Daimler sogar zweimal in vier Monaten.
WACHSTUMSMOTOR CHINA STOTTERT
Bei der internationalen Konkurrenz sieht es nicht besser aus: Dem schwedischen Autohersteller Volvo Cars, der zum chinesischen Geely-Konzern gehört, machen die US-Strafzölle zu schaffen, zusammen mit der Konjunkturabkühlung dämpften sie die Nachfrage in China. Die Rendite sackte auf 3,2 Prozent ab. Der britische Sport- und Geländewagenbauer Jaguar Land Rover steuert wegen des schwächelnden Geschäfts in der Volksrepublik im laufenden Quartal auf einen Verlust zu.
Dabei war China über viele Jahre eine sichere Bank für die Autobranche, vor allem für die Oberklasse-Hersteller. Doch wegen des Handelsstreits mit den USA läuft der größte Automarkt der Welt Gefahr, 2018 zu schrumpfen - erstmals seit Beginn der 1990er Jahre. Die Oberklasse-Hersteller setzen darauf, dass wenigstens ihr Segment weiter wächst. Denn bisher waren in China hochpreisige Modelle besonders gefragt, gern von westlichen Marken mit starkem Image. Die Bereitschaft zahlreicher Kunden, für Sonderausstattung und technischen Schnickschnack viel Geld auszugeben, ließ ebenfalls die Kassen der Konzerne klingeln.
Gute Geschäfte in China glichen lange auch Dellen in anderen Märkten aus. Manche Krise, etwa in Europa, beutelte in den vergangenen Jahren vor allem die Massenhersteller, während der Verkauf von teuren Limousinen und Geländewagen besser lief. Der weltweite Trend zu Geländewagen in allen Größen wirkte sich positiv auf die Renditen aus, denn in der Branche gilt die Faustregel: kleines Auto - kleine Marge, großes Auto - große Rendite. Doch angesichts schlechter Luft in vielen staugeplagten Großstädten wächst weltweit der politische Druck, die Mobilität zu modernisieren. Hinzu kommen neue Angebote, die statt auf den Verkauf von Fahrzeugen auf Dienstleistungen und Daten setzen.
EXPERTEN RATEN ZU KOOPERATIONEN UND KOSTENSENKUNGEN
"Die Zeiten, in denen Autobauer Renditen zwischen acht und zehn Prozent oder noch darüber erzielen konnten, gehen - ohne größere Anstrengungen - zu Ende", sagt Roland-Berger-Berater Weidemeyer. "Die Transformation der Branche durch Elektromobilität, Dieselgate, Digitalisierung und Regulatorik erfordert hohe Investitionen." Experten vom Analysehaus Evercore ISI rechnen damit, dass es für die Premiumhersteller wegen höherer Kosten für die Mobilität der Zukunft und wegen des allgemeinen Gegenwinds für die Branche "mindestens die nächsten zwei Jahre" schwer werde, Margen zwischen acht und zehn Prozent zu erreichen. Die Hersteller bleiben bei dieser Spanne, räumen aber immer öfter Probleme ein.
Um trotz Schlechtwetterfront den Renditekurs zu halten, raten Experten den Premium-Herstellern einhellig: mehr kooperieren und mehr sparen. Beides führe zu niedrigeren Kosten, heißt es bei Evercore ISI. Die Beratungsfirma Roland Berger warnte im Frühjahr in einer Studie mit dem Titel "Sturmtief voraus?" vor aufziehenden Krisen. Autoexperte Norbert Dressler mahnte darin die Branche: "Das Kerngeschäft gehört auf den Prüfstand. Es muss noch besser und effizienter aufgestellt werden, damit genügend Spielraum für die notwendigen Investitionen verbleibt." Zudem müssten alte, an Fahrzeugen ausgerichtete Geschäftsmodelle mit neuen, datengetriebenen verknüpft werden.