Die Linde AG ist als deutsches Traditionsunternehmen bald Geschichte. Die Aktionäre stimmten am Mittwoch auf einer außerordentlichen Hauptversammlung über den Rückzug von der Börse ab, die Zustimmung galt als Formsache. Die Linde AG geht nach der umstrittenen Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair in der Linde plc auf.
Die neue Linde plc sei "ein Bastard", sagte Kleinaktionär Philipp Steinhauer. "Eine irische Gesellschaft, die ihre wenigen Steuern in Großbritannien zahlt, aus Amerika geführt wird und einen deutschen Namen trägt." Die Linde AG habe sich bei der Fusion unter Wert verkauft, kritisierte Daniel Bauer von der Aktionärsvereinigung SdK vor rund 650 Anteilseignern. "Der Preis war deutlich zu gering."
Es war die letzte öffentliche Hauptversammlung der Linde AG. Künftig treffen sich die Aktionäre des fusionierten Konzerns in Guildford bei London, wo die Verwaltung der neuen Linde sitzt. Rund acht Prozent der Kleinaktionäre hatten ihre Papiere nicht in Aktien der Linde plc getauscht. Sie werden nun gegen eine Abfindung von 189,46 Euro aus dem Unternehmen gedrängt. Mit dem Tausch in 1,54 Aktien der Linde plc wären sie rund zehn Prozent besser gefahren. Diese notierten am Mittwoch bei 143,25 Euro.
"Die Aktionäre sind traurig, teilweise sogar wütend", sagte Daniela Bergdolt von der DSW. Die Kleinaktionärsvertreterin kündigte an, die Abfindung in einem Spruchverfahren überprüfen zu lassen. Deren Berechnung sei zum Teil fragwürdig. Sie klagt bereits dagegen, dass die Linde-Aktionäre - anders als die von Praxair - über die Fusion selbst nicht abstimmen durften. Den strategischen Sinn hinter dem Zusammenschluss könne sie aber durchaus nachvollziehen.
Aufsichtsratschef Reitzle - zugleich nun Verwaltungsratschef des fusionierten Konzerns und damit ein Gewinner des Vorganges - sagte, der Kursanstieg der Linde-Aktie seit der Entscheidung zeige, welches Potenzial die Anleger in dem Zusammenschluss sähen. Mit einem Marktwert von 88 Milliarden Dollar sei Linde unter den wertvollsten Unternehmen im Leitindex Dax inzwischen die Nummer drei hinter SAP und Siemens. Reitzle hatte die umstrittene Fusion im zweiten Anlauf auch gegen Widerstände durchgeboxt.
Um den Zusammenschluss zum weltgrößten Industriegase-Hersteller gegen die Bedenken der Wettbewerbshüter vor allem in Europa und USA durchzusetzen, mussten Linde und Praxair große Zugeständnisse machen und Firmenteile verkaufen. Der fusionierten Linde plc winken daraus insgesamt mehr als acht Milliarden Euro. Allein der Verkauf eines Großteils des bisherigen Linde-Geschäfts in Nord- und Südamerika bringt umgerechnet 3,3 Milliarden Euro, wie der scheidende Vorstandschef der Linde AG, Aldo Belloni, sagte. Dazu kommen Erlöse aus der Trennung von Tochtergesellschaften in Südkorea, China und Indien. Der Fusionspartner Praxair hatte das Europa-Geschäft für fünf Milliarden Euro an die japanische Taiyo Nippon Sanso abgegeben.
Die Fusion war zum 1. November vollzogen worden. Operativ dürfen die beiden Gesellschaften aber erst von Ende Januar an zusammenarbeiten, wenn die Unternehmensverkäufe unter Dach und Fach sind.