Unternehmen

Shitstorm im Joballtag: Hate Speech am Arbeitsplatz explodiert – was Unternehmen jetzt tun müssen

Hassrede hat den Mittelstand erreicht – von Social Media bis ins Kundengespräch. Wo endet Meinungsfreiheit, wo beginnt Persönlichkeitsverletzung? Und wie reagieren Führungskräfte richtig, ohne juristische Fallstricke zu übersehen?
11.07.2025 12:27
Lesezeit: 3 min
Shitstorm im Joballtag: Hate Speech am Arbeitsplatz explodiert – was Unternehmen jetzt tun müssen
Hate Speech in Unternehmen: Auf dem Bildschirm eines Smartphones sieht man die Hashtags Hass und Hetze in einem Twitter-Post (Foto: dpa). Foto: Fabian Sommer

Hate Speech am Arbeitsplatz: Hassrede im Berufsalltag – der digitale Brandbeschleuniger

„Ausländer raus!“ – Diese menschenverachtende Parole hallte vor einem Jahr laut über die Ponybar auf Sylt, begleitet vom Party-Hit „L’amour Toujours“. Junge Menschen verbreiten Hass mitten in Deutschland – und acht Unternehmen reagierten konsequent: Sie stellten die beteiligten Mitarbeitenden sofort frei oder entließen sie. Damit sendeten sie ein klares Signal gegen Hass – auch wenn die Äußerungen privat getätigt wurden. Doch Hate Speech am Arbeitsplatz ist längst kein Randphänomen mehr. Im Gegenteil: Immer häufiger zieht sie auch in den Berufsalltag ein. Ob beleidigende Posts gegen Vorgesetzte, diffamierende Kommentare über das eigene Unternehmen oder verletzende Aussagen in beruflichen Netzwerken – das Netz wird zum Schlachtfeld der Meinungen und immer öfter zur Bühne für Hass.

Laut aktueller HateAid-Studie stoßen 73-Prozent der Deutschen im Netz auf Hate Speech – ein Warnsignal, das kein Arbeitgeber überhören darf. Was öffentlich gepostet wird, verbreitet sich in Sekunden, bleibt ewig abrufbar und hinterlässt tiefe Spuren im Betriebsklima und im Ruf eines Unternehmens (Arbeitsgericht Duisburg, 5 Ca 949/12). Besonders deutlich wird der Trend auf LinkedIn: Zwischen Juli und Dezember 2023 löschte das Karrierenetzwerk gut 230.000 Belästigungs­beiträge; 2019 waren es gerade einmal 16.000. Spätestens hier stellt sich für Firmen die Gretchenfrage: Wann ist ein Post noch Meinung – und ab welchem Punkt wird er zum strafbaren Verstoß?

Meinungsfreiheit vs. Ehrenschutz: Wo die rote Linie bei der Hassrede verläuft

Klartext im Netz ist erlaubt – Rufmord nicht. Wer Kolleginnen, Vorgesetzte oder das eigene Unternehmen öffentlich beleidigt, riskiert Abmahnung oder Kündigung. Trotzdem gilt: Unser Grundgesetz schützt auch spitze Kritik, solange sie noch eine sachliche Ebene hat. Die Grenze ist erreicht, wenn nur noch die Person herabgewürdigt wird. Dann spricht die Rechtsprechung von Schmähkritik – und die genießt keinen Schutz mehr (BVerfG NJW 1995, 3303).

Gehen oder Gelbe Karte? So urteilen Deutschlands Arbeitsgerichte

Was darf nun gesagt werden – und wann fliegt man raus? Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus 2019 zeigt die Grauzone: Eine Angestellte nannte ihren Chef einen „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“. Das Gericht sah die Aussage noch von der Meinungsfreiheit gedeckt; eine Kündigung wäre nur zulässig, wenn die Arbeitgeberinteressen überwiegen (BAG, 5. 12. 2019 – 2 AZR 240/19). Ganz anders entschied das Arbeitsgericht Hagen schon 2012: Eine grobe Beleidigung auf der Facebook-Pinnwand gegen einen Kollegen kostete den Absender den Job – hier sah das Gericht eine ordentliche Kündigung als gerechtfertigt (ArbG Hagen, 16. 5. 2012 – 3 Ca 2597/11).

Dass selbst schwere Beleidigungen nicht zwangsläufig zum Rausschmiss führen, zeigt wiederum ein Fall vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Dort betitelte ein langjähriger Mitarbeiter seinen Chef öffentlich als „fettes Schwein“. Das Gericht wertete die Kündigung als überzogen; eine heftige Verwarnung reichte – die jahrzehntelange Betriebszugehörigkeit wog schwerer als das Schimpfwort (LAG BaWü, 2. 6. 2016 – 4 Sa 5/16).

Kündigung bei Hate Speech ist kein Selbstläufer – erst prüfen, dann handeln

Diese Urteile machen deutlich: Kündigungen sind kein Selbstläufer. Erst wenn Gerichte Ton, Kontext, Dauer der Betriebszugehörigkeit und Interessen gegeneinander abwägen, fällt die Entscheidung: Rote Karte oder doch nur Verwarnung. Wer lange im Unternehmen ist und bislang ohne Fehltritt blieb, kommt bei einem einmaligen Ausrutscher häufig mit einer Abmahnung davon. Wer dagegen wiederholt entgleist oder das Firmenimage – man denke an die Sylt-Parole – nachhaltig beschädigt, riskiert den Rauswurf.

Für KMU gilt: Vorfall sauber aufklären, Betroffene anhören, Screenshots mit Likes und Reichweite sichern, Schaden beziffern – erst dann Maßnahmen festlegen. Vor einer fristlosen Kündigung läuft die Zwei-Wochen-Frist (§ 626 Abs. 2 BGB), der Betriebsrat muss nach § 102 BetrVG gehört werden und beim Melden von Hassinhalten greift der Digital Services Act. Wer diese Checkliste beachtet, schützt Belegschaft und Ruf – ohne in juristische Fettnäpfchen zu treten.

Frontlinie Kundenkontakt – Schutz vor Hass von außen

Damit ist das interne Spielfeld abgesteckt – doch die nächste Angriffslinie verläuft außerhalb der Firma. Denn Hass kann ebenso über Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartner in den Arbeitsalltag eindringen. Genau deshalb brauchen Unternehmen klare Verhaltenskodizes für jeden Kundenkontakt, regelmäßige Deeskalations­trainings und Meldestellen, die leicht erreichbar sind. Wer Übergriffe konsequent ahndet – notfalls bis zum Ausschluss eines Kunden –, zeigt Haltung und schützt sein Team spürbar.

Führungskräfte haben hier eine besondere Verantwortung: Sie verkörpern Respekt im täglichen Miteinander, ermutigen Teams, Vorfälle früh zu melden, und ziehen klare Grenzen, wenn diese überschritten werden. So wird Respekt zur gelebten Praxis – zur stärksten Firewall gegen Hate Speech und zum echten Wettbewerbs­vorteil. Unternehmen, die jetzt handeln, sichern nicht nur ihr Image, sondern auch die Loyalität ihrer Mitarbeitenden – und damit ihren langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

 

DWN
Politik
Politik Emissionshandel 2027: Klima-Sozialfonds soll Folgen der Teuerung abfedern
10.11.2025

In Deutschland sind wegen der hohen Energiepreise, die auch durch den CO₂-Preis getrieben werden, bereits Hunderttausende Arbeitsplätze...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bund sichert Deutschlandticket-Finanzierung bis 2030 ab
10.11.2025

Das beliebte Deutschlandticket bleibt den Fahrgästen erhalten: Bund und Länder haben sich auf eine langfristige Finanzierung bis 2030...

DWN
Panorama
Panorama Wegwerftrend mit Folgen: Politik will Einweg-E-Zigaretten stoppen
10.11.2025

Sie sehen schick aus, leuchten bunt und sind sofort einsatzbereit – Einweg-E-Zigaretten liegen vor allem bei jungen Menschen im Trend....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Rüstungsindustrie in Europa: 10 Unternehmen mit stabilen Renditen
09.11.2025

Europäische Verteidigungsunternehmen profitieren von stabilen Aufträgen und steigenden Investitionen. Technologische Kompetenz und lokale...

DWN
Technologie
Technologie Dunkle Wolke aus den USA: Die digitale Gefahr des US CLOUD Acts
09.11.2025

Ein US-Gesetz erlaubt amerikanischen Behörden Zugriff auf Daten in europäischen Clouds – ohne Wissen oder Zustimmung der Betroffenen....

DWN
Finanzen
Finanzen Contrarian Thinking: Wie falsche Narrative unsere Wahrnehmung verzerren – und was das für Anleger bedeutet
09.11.2025

In einer Welt voller Empörung, Filterblasen und ideologischer Schlagzeilen lohnt sich ein zweiter Blick. Wer immer nur der öffentlichen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Verjährung von Urlaubsansprüchen: Wann Resturlaub verfällt – und wann nicht
09.11.2025

Urlaub verfallen? Von wegen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat klargestellt: Ohne klare Belehrung bleibt der Urlaubsanspruch bestehen –...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Die Zukunft der Chefetage: Warum mittleres Management an Bedeutung verliert
09.11.2025

Das mittlere Management verliert in vielen Unternehmen an Bedeutung. Wirtschaftliche Unsicherheit, neue Technologien und veränderte...