Überstundenabbau: Fast die Hälfte der Beschäftigten macht Überstunden
Als Überstundenabbau wird der Vorgang bezeichnet, in dem Mitarbeitende die geleisteten Überstunden wieder abbauen, um ihr Arbeitszeitkonto auszugleichen und bei „Null“ zu landen. Ein Überstundenabbau kann in monetärer Form erfolgen, aber auch in Form eines Freizeitausgleichs.
Die Deadline für das laufende Projekt drängt, die Arbeit will mal wieder kein Ende nehmen: Das Ansammeln von Überstunden scheint eine übliche Praxis deutscher Arbeitnehmer zu sein, denn fast die Hälfte der Beschäftigten macht regelmäßig Überstunden: Einer Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbunds sind das 44 Prozent der Beschäftigten. Knapp ein Viertel der Befragten arbeitet pro Woche mehr als fünf Stunden länger als vertraglich vereinbart. Was sind die Hintergründe der vielen Überstunden und welche Regeln gelten beim Abbau für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?
Unbezahlter Überstundenabbau: Mehr als die Hälfte bummelt ab
Vier von zehn Befragten gaben an, zumindest gelegentlich außerhalb der normalen Arbeitszeit unbezahlte Arbeit für ihren Betrieb zu erledigen. 15 Prozent tun dies nach eigenen Angaben sehr oft oder oft. Der DGB ergänzt unter Berufung auf Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB, dass 53,6 Prozent aller Überstunden im Jahr 2024 unbezahlt geleistet worden seien.
Überstundenabbau: Wer bestimmt wann und wie?
Wann die gesammelten Überstunden abgebaut werden dürfen, kann in der Praxis ganz unterschiedlich gehandhabt werden, wie Kathrin Schulze Zumkley, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Gütersloh, erklärt. Grundsätzlich gilt aber: Der Arbeitgeber kann Beschäftigte einseitig zum Abbau von Überstunden verpflichten, wenn keine anderweitigen Regelungen greifen. Gibt es keine weitere Vereinbarung, kann der Arbeitgeber sogar jederzeit Freizeitausgleich anordnen – auch kurzfristig.
Eine Möglichkeit für den Freizeitausgleich besteht zum Beispiel in der Anpassung der Arbeitszeit. Hat ein Arbeitnehmer etwa an einem Tag zehn statt acht Stunden gearbeitet, kann der Arbeitgeber anordnen, dass der betroffene Beschäftigte am nächsten Tag nur sechs Stunden arbeiten soll. Dadurch wird der reguläre Wochenschnitt wieder erreicht und die Überstunden ausgeglichen.
Überstundenabbau: Wann liegt die Entscheidung beim Arbeitnehmer?
Insbesondere in Arbeitsverhältnissen mit Gleitzeit oder einem Arbeitszeitkonto liegt die Entscheidung aber oft auch beim Arbeitnehmer. Beschäftigte können dann etwa Beginn oder Ende der Arbeitszeit ihres Arbeitstags anpassen.
Generell gilt aber, was im Arbeitsvertrag steht. Dort kann festgelegt sein, wie mit Überstunden umzugehen ist. Als Überstunden werden alle Arbeitsstunden bezeichnet, die über das hinausgehen, was im Arbeitsvertrag vereinbart worden ist. Überstunden muss der Arbeitgeber theoretisch extra vergüten – oder er gibt dem Arbeitnehmer für die zusätzlichen Stunden frei.
Unter Umständen darf der Arbeitgeber auch gar keine Überstunden verlangen. Sofern es keine expliziten Regelungen im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung gibt, sind Beschäftigte nur verpflichtet, solche Arbeitszeiten abzuleisten, die vertraglich vereinbart sind. Lediglich in Ausnahmefällen, etwa Notsituationen, können Beschäftigte einer Anordnung von Überstunden kaum entziehen.
Mehrarbeit: Entlohnen statt Freizeitausgleich
Sofern der Arbeitgeber keinen Freizeitausgleich schaffen kann, können Arbeitnehmer sich Überstunden auch auszahlen lassen. Gesetzlich ist die Entlohnung von Überstunden allerdings nicht geregelt. Daher muss sich aus dem Tarif- oder Arbeitsvertrag ergeben, dass die Überstunden entlohnt werden.
Enthält der Vertrag keine Regelungen, um sich die Überstunden ausbezahlen zu lassen, muss der Arbeitgeber die Mehrarbeit aber dennoch entlohnen, sofern dies betriebs- oder branchenüblich ist. Dies ist gesetzlich in § 612 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) festgeschrieben.
Was gilt für bereits geleistete Überstunden nach einer Kündigung?
Damit für geleistete Überstunden auch eine Bezahlung erfolgt, sollte der Arbeitnehmer generell die Mehrarbeit genauestens dokumentieren, sofern im Unternehmen keine Zeiterfassung vorhanden ist. Nur so können die Überstunden und der Grund fürs längere Arbeiten detailliert nachgewiesen werden. Bei einer Kündigung des Arbeitsvertrages gibt es grundsätzlich auch die Möglichkeit, die angesammelten Überstunden auszahlen zu lassen: Eine Auszahlung ist vor allem dann möglich, wenn kein Freizeitausgleich gewährleistet werden kann.
TIPP: Denken Sie allerdings unbedingt daran: Lassen Sie sich die Überstunden auszahlen, sind noch Steuern fällig. Steuerrechtlich handelt es sich dabei nämlich um normalen Arbeitslohn. Ausnahmen bilden Zuschläge für die Sonn- und Feiertags- sowie die Nachtarbeit.
Steuerfreie Überstunden ab 2025? Steuerliche Anreize in der Kritik
DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel kritisierte, dass Union und SPD mit den geplanten „steuerfreien Überstunden“, die geleistete Anzahl an Überstunden noch mehr angeheizt wird – etwa mit Steuervorteilen. „Zusammen mit der offenbar geplanten Abschaffung des 8-Stunden-Tags ist das ein Giftcocktail für die Gesundheit und Leistungskraft von Beschäftigten“, sagte Piel. Da mehr als die Hälfte aller Überstunden nicht vergütet würden, würde eine Steuerfreiheit den Beschäftigten nichts bringen, fügte sie hinzu.
In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD festgehalten: „Damit sich Mehrarbeit auszahlt, werden Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt.“ Und weiter: „Wir werden einen neuen steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten schaffen: Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen.“
Überstunden steuerfrei – ab wann gilt das neue Gesetz?
Bisher handelt es sich lediglich um eine geplante Maßnahme, die im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU vereinbart wurde. Ein konkreter Gesetzentwurf liegt derzeit noch nicht vor. Es handelt sich hierbei um politisches Versprechen. Es muss zunächst das reguläre Gesetzgebungsverfahren durchlaufen oder ggf. eine Sofortmaßnahme in Kraft gesetzt werden. Bis dieser Plan also umgesetzt wird, kann es noch etwas dauern. Das Gesetz soll allerdings nur für Vollzeitangestellte (34 Wochenstunden bei Tarifbindung/ 40 Stunden ohne Tarifbindung) und nicht für Teilzeitbeschäftigte gelten.
Lesen Sie hier mehr über die geplanten „steuerfreien Überstunden“ und welche Auswirkungen die neuen Regelungen auf die Personalkosten der Unternehmen haben.
Kathrin Schulze Zumkley ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) und Dozentin der Deutschen Anwalt Akademie sowie der Rechtsanwaltskammer Hamm.