Im Eiltempo will die EU-Kommission zentrale Nachhaltigkeitsvorgaben aufweichen. Kritiker sehen einen Bruch mit Grundrechten – und warnen vor jahrelanger Rechtsunsicherheit.
Die Europäische Union steht vor einem potenziellen Rechtsstreit mit weitreichenden Folgen für ihre eigene Wirtschaft. Mit dem sogenannten Omnibus-Vorschlag will die EU-Kommission umfassende Vereinfachungen im Nachhaltigkeitsrecht umsetzen – doch der juristische Widerstand wächst. Der renommierte EU-Rechtsexperte David Frydlinger spricht von massiven rechtlichen Risiken und einer „veritablen Gefahr“ für Rechtssicherheit und Grundprinzipien der Union.
Im Zentrum der Kritik steht das Verfahren: Ohne öffentliche Konsultation oder Folgenabschätzung und nach mutmaßlichen Geheimtreffen mit Industrievertretern legte die Kommission ihre Pläne vor. Acht Organisationen aus Umwelt- und Menschenrechtsbereichen haben deshalb Beschwerde bei der EU-Bürgerbeauftragten Teresa Anjinho eingereicht. Die Einleitung einer offiziellen Untersuchung erfolgte bereits am 23. Mai.
Rechtsstaat auf Abwegen?
Frydlinger, Partner der Kanzlei Ciro und spezialisiert auf EU-Nachhaltigkeitsrecht, warnt: Mehrere Bestandteile des Omnibus-Vorschlags könnten gegen die EU-Grundrechtecharta und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Konkret geht es unter anderem darum, dass rund 80 Prozent der europäischen Unternehmen künftig von der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgenommen werden sollen. Auch das Streichen der verbindlichen Klimapläne steht auf der Liste.
Sollten diese Pläne vor dem Europäischen Gerichtshof oder dem Menschenrechtsgerichtshof landen, drohe laut Frydlinger ein jahrelanger Prozess – mit erheblichen Risiken für europäische Unternehmen. „Es ist gut möglich, dass zentrale Teile des Vorschlags für rechtswidrig erklärt werden“, sagt er. Die Folge: Rechtsunsicherheit, Investitionsrisiken und regulatorische Rückschläge.
Politik beschleunigt – ohne Sicherheitsprüfung
Trotz dieser Warnungen wird der Gesetzesprozess forciert. Am Montag präsentierte der konservative EU-Abgeordnete Jörgen Warborn (EVP) das Parlamentsdokument, das als Verhandlungsbasis dienen soll. In mehreren Punkten fordert er sogar noch weitergehende Lockerungen als die Kommission selbst.
Während die Industrie jubelt, wächst in rechtsstaatlich orientierten Kreisen die Sorge: Wird Nachhaltigkeit zur Verhandlungsmasse? Und stellt Brüssel die Wettbewerbsfähigkeit über die Rechtsprinzipien?