Deutschland

Die Mietpreise in Deutschland sinken erstmals seit vielen Jahren

Zum ersten Mal seit fast 15 Jahren sind die Mietpreise in Deutschland in einem Quartal zurückgegangen. Die Wohnungsnot hält dennoch an. Deutschland stehen harte Verteilungskämpfe bevor.
26.05.2019 11:02
Lesezeit: 3 min

Ungewohnte Entwicklung auf dem Immobilienmarkt: Erstmals seit 2005 sind im bundesdeutschen Schnitt die Mieten innerhalb eines Quartals gegenüber dem Vorquartal wieder gesunken, wenn auch nur leicht (0,3 Prozent).

Konkret: Im ersten Quartal dieses Jahres (Januar bis März 2019) lag die Höhe der Neuvertragsmieten niedriger als die Höhe der Neuvertragsmieten im davorliegenden Quartal (Oktober bis Dezember 2018). Selbst in beliebten, äußerst hochpreisigen Metropolen wie München gab es Rückgänge. Ob sich der Trend verfestige, sei allerdings unklar, sagte Bernd Leutner, Geschäftsführer von „F+B  -  Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt“.

F+B ist ein privatwirtschaftlich betriebenes Forschungsinstitut in Hamburg, das Daten für Mietspiegel erstellt, Städte und Gemeinden berät und in regelmäßigen Abständen einen „Wohn-Index Deutschland“ veröffentlicht.

Interessant ist, dass - wie oben gesehen - die Höhe der Mieten bei den tatsächlich neu abgeschlossenen Mietverträgen zwar sank (um - wie gesagt - 0,3 Prozent), die Höhe der Miete von angebotenem Wohnraum jedoch stieg, und zwar um 2,0 Prozent. Das könnte darauf hindeuten, dass die jahrelange Steigerung der Mietkurve ihren Höhepunkt erreicht hat, dass also Mieter nicht mehr in der Lage beziehungsweise nicht mehr willens sind, die immer höher werdenden Mieten zu bezahlen.

„Ich wäre vorsichtig, zu behaupten, dass das einen neuen Trend einleitet“, sagte Manfred Neuhöfer, Regionalleiter West bei F+B im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. „Aber es deutet tatsächlich viel darauf hin, dass in Sachen Mietzahlungsfähigkeit und -willigkeit ein Limit erreicht ist.“ Unter anderem sei festzustellen, dass immer mehr Menschen aufgrund der hohen Mieten bereit sind, längere Arbeitswege in Kauf zu nehmen: „Die pendeln dann eben.“ Und noch etwas sei zu beobachten: „Eine steigende Zahl von Menschen lehnen einen angebotenen Arbeitsplatz in einem Mieten-Hochpreisgebiet ab und verzichten auf einen Umzug.“

Interessant ist auch, dass sich die Kosten für bereits bestehende Mietverhältnisse im ersten Quartal 2019 im Vergleich zum ersten Quartal 2018 nur leicht erhöhten, nämlich um 1,4 Prozent. Dieser Wert ist niedriger als die Inflationsrate, die 2018 bei 1,8 Prozent lag und im Montag April dieses Jahres 2,0 Prozent betrug.

Für Wohnungssuchende ist das eine gute Nachricht. Sie bedeutet allerdings nicht, dass sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt generell entspannen würde. Der Drang in die Großstädte und andere beliebte Wohnregionen hält nämlich weiterhin an, und angesichts der immer noch hohen Mieten sei eine geringere Umzugsbereitschaft der Mieter, die dort bereits wohnen, zu erkennen, so Leutner: „Wer umzieht, muss in der Regel je Quadratmeter mit einer deutlich höheren Miete rechnen. Anders ausgedrückt: Mobilität wird behindert, wenn nicht bestraft. Damit wird die Freisetzung von Wohnfläche beschränkt, was die Marktanspannung vergrößert.“

Insgesamt lässt sich in der Wohnungspolitik „Nervosität“ beobachten, heißt es im aktuellen „Wohn-Index“. Und weiter: „Die Preisentwicklungen in den letzten fünf Jahren sind der Hintergrund einer sich rasant verschärfenden wohnungspolitischen Debatte, die nun auch radikale Maßnahmen wie die Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen, einen generellen Mietenstopp oder Enteignungen androht, wenn ein innerstädtisches Grundstück nicht bebaut wird (…) Die von den enorm steigenden Mieten betroffenen Normal- oder Transfereinkommensbezieher der prosperierenden Ballungsräume fühlen plötzlich, dass ein Grundbedürfnis des Menschen, nämlich „das Wohnen“, in der ihnen gewohnten Form und Qualität akut bedroht ist. Das ist eine neue Erfahrung für die heute lebende Generation und führt zu heftigen emotionalen Reaktionen.“

F+B stellt im „Wohn-Index Deutschland“ eine Reihe von Forderungen auf beziehungsweise postuliert, dass es notwendig sei, „unangenehme Wahrheiten zu benennen und auszuhalten“:

  • „Wer die Ausweisung neuer Baugebiete durch Bürgerbegehren und Anwohnerproteste (wie gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin) verhindert, kann nicht gleichzeitig die Wohnungsnot in den Städten und steigende Mieten anprangern.“
  • Politische Ziele, die sich ausschließen, müssen demokratisch entschieden werden. Es gebe eben „zentrale Widersprüche“ zwischen „den Erfordernissen einer expansiven Baupolitik und einer extrem restriktiven Umweltpolitik.“ Bei diesen demokratischen Entscheidungen werde es Gewinner und Verlierer geben - wer sich dieser Einsicht verweigere, mache sich „unglaubwürdig“.
  • Menschen, die unbedingt und unter allen Umständen in besonders beliebten Stadtteilen wie Berlin-Kreuzberg oder Hamburg-Ottensen oder aber in Städten wie Freiburg oder München leben wollen, werden dafür tief in die Tasche greifen müssen. Sie sollten sich nicht auf abstrakte Gleichheitsgrundsätze nach dem Motto „Die Stadt gehört allen“ zurückziehen und vom Staat Subventionen einfordern können. Der „Wohn-Index“ fragt: „Warum sollten die Steuerzahler in Pirmasens oder Eisenhüttenstadt die Wohnkosten der Mieter in den teuren In-Stadtvierteln heruntersubventionieren?“
  • Eine Wohnungsbauförderung durch den Bund ist kaum noch existent. 1954 floss mehr als ein Sechstel (17,8 Prozent) des Bundeshaushalts in Bauförderprogramme. 2014, also 60 Jahre später, war es nur noch ein 2.500-Tausendstel (0,04 Prozent). Soll - angesichts der in Deutschland weiter vorherrschenden Wohnungsnot - wieder mehr Geld in den Wohnungsbau gesteckt werden? Eine Frage, über die in der politischen Debatte entschieden werden muss. Im „Wohn-Index“ heißt es: „Expansive Rentenpolitik versus Wohnungsbauförderung, Aufstockung des Verteidigungshaushalts versus Subventionierung des gebäudetechnischen Klimaschutzes: Harte politische Auseinandersetzungen werden dabei kaum zu vermeiden sein.“

Summa summarum: Der deutsche Wohnungsmarkt enthält weiterhin viel Konfliktpotential. Auch wenn sich die Mietpreisspirale anscheinend nicht mehr unaufhörlich nach oben bewegt, könnte sie Deutschland in den nächsten Jahren, wie schon gesagt, harte Auseinandersetzungen einbringen.

ÜBERSICHT:

Erhöhungen der Neuvertragsmieten:

  • In den vergangenen fünf Jahren: 11,2 Prozent
  • In den vergangenen zehn Jahren: 20,5 Prozent

Erhöhungen der Bestandsmieten:

  • In den vergangenen fünf Jahren: 5,7 Prozent
  • In den vergangenen zehn Jahren: 9,3 Prozent

Erhöhungen der Preise für Eigentumswohnungen:

  • In den vergangenen fünf Jahren: 35,1 Prozent
  • In den vergangenen zehn Jahren: 71,7 Prozent

Erhöhungen der Preise für Einfamilienhäuser:

  • In den vergangenen fünf Jahren: 31,2 Prozent
  • In den vergangenen zehn Jahren: 52,7 Prozent

Erhöhungen der Preise für Mehrfamilienhäuser:

  • In den vergangenen fünf Jahren: 6,8 Prozent
  • In den vergangenen zehn Jahren: 15,7 Prozent

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