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Autobauer in der Krise: Deutschlands Zulieferern stehen ungewisse Zeiten bevor

Lesezeit: 5 min
15.06.2019 08:19
Die deutsche Automobilindustrie steckt in einer tiefen Krise – nicht einmal der Ölpreisschock zu Beginn der 1970er Jahre ist damit vergleichbar.
Autobauer in der Krise: Deutschlands Zulieferern stehen ungewisse Zeiten bevor
Mercedes-Sterne. (Foto: dpa)

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Zu Beginn des Jahres hatten bereits einige renommierte Experten ein hartes Jahr für die Automobilbranche prognostiziert. Als Ursachen dafür wurden der eskalierende Handelskonflikt zwischen den USA und China, der nach wie vor ungeklärte Brexit sowie die schwächere Konjunktur Chinas aufgeführt. Über all dem steht die Industrie vor den Herausforderungen der E-Mobiliät, welche Investitionen in Milliardenhöhe erfordert.

Obwohl VW auch im Jahr 2018 mit weltweit mehr als 10,83 Mio. verkauften Autos einmal mehr die Nummer Eins unter den Kraftfahrzeugproduzenten gewesen ist, schweben über dem Konzern wie vielen seiner Konkurrenten die Gefahren, die politische Unwägbarkeiten und veränderte Marktbedingungen mit sich bringen. Und natürlich müssen sich auch die zahlreichen Zulieferer darauf einstellen.

Deutschland ist Autoland. Und wen verwundert es da schon, dass hierzulande neben international anerkannten  Marken wie Daimler, VW, BMW und Porsche auch die weltweit größten und bedeutendsten Automobilzulieferer angesiedelt sind. Im aktuellen Umsatz-Ranking der Top 100 der Automobilzulieferer von Berylls Strategy Advisors belegen die beiden deutschen Unternehmen Bosch (Jahresumsatz 2018: 47,6 Mrd. Euro) und Continental (44,4 Mrd. Euro) Platz Eins und Zwei. Darauf folgt der japanische Vertreter Denso und das kanadische Unternehmen Magna, das seinen vierten Rang mit dem wiederum deutschen Hersteller ZF (Jahresumsatz 2018: 34,0 Mrd. Euro) getauscht hat.

Deutsche Zulieferer verlieren weltweit an Boden

Allerdings täuscht diese vermeintliche Dominanz der deutschen Unternehmen in dieser Branche über die wahren Gegebenheiten hinweg. Denn die Welt verändert sich längst in eine Richtung, in der Bosch, Continental und Co. gar nicht mehr so glanzvoll dastehen, wie es auf den ersten Blick erscheint. Während im Ranking der Top 100 der Automobilzulieferer von Berylls Strategy Advisors die Ländergruppe der Chinesen im Jahr 2018 mit einem Wachstum von 31,5 Prozent glänzten und sich die US-amerikanischen Gesellschaften um durchschnittlich 13,1 Prozent verbesserten, konnten die deutschen Unternehmen im Mittel nur ein Plus von 3,5 Prozent verbuchen.

Die nackten Zahlen machen aber offenbar nicht bei allen deutschen Zulieferern Eindruck. Auf die Frage, ob die heimische Branche in vielen Bereichen die Position als Weltmarktführer behaupten kann, antwortet ein Continental-Firmensprecher: „Continental ist beim Thema Elektromobilität sehr gut positioniert. Seit langem schon bieten wir unseren internationalen Kunden umfassende Lösungen im Bereich der teilweisen und vollständigen Elektrifizierung des Antriebstranges. Im Bereich der Batteriezellen liegen die asiatischen Hersteller klar vorne. Aus Continental-Sicht ergeben sich aber selbst ohne eigene Zellfertigung interessante Wachstumschancen im Bereich der E-Mobilität.“

Dagegen hatte der Air-Berlin-Insolvenzverwalter Lucas Flöther bereits Ende vergangenen Jahres ausgemacht: „Die niedrigen Zinsen und die gute Konjunktur haben bei vielen Betrieben überdeckt, dass sie keine echte Fortführungsperspektive und keinen Plan für den Wandel in der Autobranche haben. Das wird jetzt zu Tage treten.“ Die Branche leidet unter der Dieseldebatte und sinkender internationaler Nachfrage. Eines der jüngsten Opfer: Im Dezember 2018 musste der Autozulieferer Wielpütz aus Hilden mit etwa 850 Mitarbeitern Insolvenz anmelden.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist die Produktion von Autos und Kraftwagenteilen in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. Demnach gab es im Vergleich zum ersten Halbjahr in der zweiten Jahreshälfte 2018 einen Rückgang um 7,1 Prozent. Bereits Anfang 2017 hatte das Center of Automotive Management (CAM), ein unabhängiges Institut der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach, die Auswirkung der E-Mobilität auf die Beschäftigung berechnet (siehe Grafik).

Wie deutlich sich die Kehrtwende in Richtung E-Mobilität negativ auf Absatz und Beschäftigung in der nationalen wie internationalen Automobilindustrie auswirken wird, dürfte ganz entscheidend von der Geschwindigkeit des Strukturwandels abhängen. Und diese wird von zahlreichen Faktoren wie durch technische Innovationen oder durch gesellschaftliche bzw. politische Bedingungen (Ablehnung oder Akzeptanz breiter Bevölkerungsschichten) beeinflusst.

Wie sich der Absatz von Elektro-PKW in verschiedenen Ländern unter unterschiedlichen Bedingungen auswirken könnte, hat das Center of Automotive Management ebenfalls berechnet (siehe nachfolgende Grafik). Hieran wird ersichtlich, welch enormes Potenzial der Absatzmarkt China bietet – welcher allerdings seit Monaten deutliche Nachfragerückgänge aufweist.

E-Mobilität: Deutschland nach aktuellen Daten mit deutlichem Nachholbedarf

Wie die neueste Studie des Center of Automotive Management (CAM) unter der Leitung von Dr. Stefan Bratzel zur Elektromobilität im internationalen Vergleich zeigt, haben E-Fahrzeuge im ersten Quartal 2019 eine hohe Dynamik in einem insgesamt rückläufigen Gesamt-Automobilmarkt aufgewiesen. Auch im neuen Jahr sind Norwegen und China Vorreiter in Sachen E-Mobilität.

In jüngster Zeit stagnierte der deutsche Automobilmarkt im internationalen Vergleich (+0,2 %), allerdings konnten auch hier E-Fahrzeuge deutlich zulegen. Das CAM hat für das erste Quartal 2019 einen Zuwachs von 33 Prozent auf 23.300 neu zugelassene Elektrofahrzeuge (Q1 2018: 17.600) festgestellt. Der Marktanteil stieg damit von 2,0 auf 2,6 Prozent.

Hierzulande legten die Verkäufe von reinen Stromern mit rund 15.900 BEVs (battery electric vehicles) in den letzten drei Monaten um 75 Prozent zu, Plug-in-Hybride (PHEV - plug-in hybrid electric vehicle) hingegen nahmen um 13 Prozent auf nur noch 7.400 Pkw ab. Bestverkauftes E-Auto war zuletzt das Tesla Model 3 mit 3.200 Einheiten gefolgt von dem Renault ZOE mit 2.700 und BMWs i3 mit knapp 2.000 verkauften Einheiten.

„Die Elektromobilität steht in den zentralen Automobilmärkten kurz vor dem Durchbruch, den wir jedoch erst ab dem Jahr 2020 erwarten. Auffallend ist, dass sich die E-Fahrzeugabsätze bereits jetzt gegen einen allgemein rückläufigen Gesamtmarkt stemmen können. Die Dynamik geht dabei von den reinen E-Fahrzeugen aus, während der Absatz von Plug-in Hybriden derzeit nachlässt“, sagte der Studienleiter Stefan Bratzel den Deutschen Wirtschaftsnachrichten.

E-Mobilität und autonomes Fahren: große Anforderungen an Zulieferer

Dr. Bratzel vom CAM hat sich vor Kurzem auch zum Thema Zulieferer der Automobilindustrie geäußert: „Die Zulieferindustrie kann eine wichtige Rolle im Veränderungsprozess spielen, wenn Sie den Hebel an den richtigen Stellen ansetzt. Sie kann technologischer Enabler für ein breites Spektrum von Zukunftsthemen sein. Die neuen Felder erfordern eine enge Zusammenarbeit der Hersteller mit Zulieferern, die die Kompetenzen mitbringen. So versuchen beispielsweise Bosch oder Continental natürlich in den Konsortien mitzumischen, in denen auch neue Player wie Mobileye oder Nvidia dabei sind. Auch bei den Functions on demand können Automobilzulieferer eine Rolle einnehmen, wenn sie die verschiedenen Schnittstellen beherrschen. Zum einen die Schnittstelle zur Cloud, wo es um Big Data Management geht oder die künstliche Intelligenz im Datenmanagement hinzubekommen.“

Bedeutung der deutschen Automobilindustrie und was von der Politik gefordert wird

Der Anteil der Automobilindustrie an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland ist hoch, das beweisen weitere Zahlen des Statistischen Bundesamtes. So erbrachten die Hersteller im Jahr 2016 laut der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eine wirtschaftliche Leistung von 134,9 Mrd. Euro, was 4,7 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland entspricht.

So hat Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) erst vor einigen Wochen auf dem Kongress zur Nationalen Industriestrategie 2030 des Bundeswirtschaftsministeriums erklärt: „Wir befürworten die Initiative des Bundeswirtschaftsministers, eine Diskussion über eine nationale Industriestrategie einzuleiten. Seit langem weisen wir darauf hin, dass eine aktive strategische Wirtschaftspolitik notwendig ist, um die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland und seiner Wirtschaft zu stärken. Und wir stehen bereit, an diesem Konsultationsprozess aktiv mitzuarbeiten.“

Zur Stärkung des Industriestandorts Deutschlands sollte die Politik die Bildung von Konsortien unterstützen, im vorwettbewerblichen FuE-Bereich, etwa für das vernetzte und automatisierte Fahren. Dringend notwendig sind auch massive Anstrengungen beim Ausbau des 5G-Netzes. Ziel sollte es sein, bis spätestens 2025 alle Hauptverkehrswege und den urbanen Raum mit 5G abzudecken. Der Industriestandort Deutschland braucht wettbewerbsfähige Produktionsbedingungen. Ob Strom- und Energiepreise, ob Unternehmensbesteuerung oder Sozialabgaben: In all diesen Bereichen gibt es Optimierungsbedarf.

Die ambitionierten EU-Flottengrenzwerte 2030 lauten: Im Jahr 2030 müssen rund 40 Prozent der in Europa neu zugelassenen Pkw Elektromodelle sein. Allein in den nächsten drei Jahren investiert die deutsche Automobilindustrie rund 40 Mrd. Euro in alternative Antriebe, vorrangig in die E-Mobilität, das Modellangebot verdreifacht sich auf über 100. Dies könne nur erreicht werden, wenn alle technologischen Optionen sinnvoll genutzt werden. Und das gilt nicht nur für die Hersteller sondern auch für deren Zulieferer.

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