In der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik Moldau eskaliert drei Monate nach der Parlamentswahl der Streit um eine Regierungsbildung. In der vergangenen Woche schlossen sich die von dem pro-russischen Präsidenten Igor Dodon unterstützten Sozialisten mit dem pro-europäischen Block ACUM zu einer Koalition zusammen. Russland und die EU begrüßten die Vorgänge. Die Koalition hat 61 der insgesamt 101 Parlamentssitze inne, berichtet der EU Observer.
Der einflussreiche Oligarch Vladimir Plahotniuc, der auch die bislang regierende Partei der Demokraten führt, erkannte die Koalition dagegen nicht an. Er nutzte seine Verbindungen zum Verfassungsgericht, um das Parlament aufzulösen und den Staatschef Dodon zu entmachten.
Die Verfassungsrichter setzten einen Übergangspräsidenten ein. Gleichwohl bestand Dodon am Montag erneut darauf, weiter im Amt zu bleiben. Zuvor waren mehrere Versuche gescheitert, eine Regierung zu bilden. Dodon stand deshalb unter Druck, Neuwahlen auszurufen. Gemäß Landesverfassung lief am vergangenen Freitag die Frist zur Regierungsbildung aus, so die dpa. Daraufhin verlangten die Verfassungsrichter die Auflösung der Volksvertretung. Sie trat dennoch am Samstag zusammen.
Bei der Sitzung wurde Maia Sandu vom rechten pro-europäischen Parteienblock ACUM zur Regierungschefin gewählt. Dodon vereidigte die frühere Bildungsministerin und ihr neues Kabinett aus prowestlichen und russlandfreundlichen Politikern. Bereits in der vergangenen Woche hatte der russische Vize-Regierungschef Dmitri Kosak bei einem Besuch in der moldauischen Hauptstadt Chisinau das Bündnis als guten Kompromiss bezeichnet, um das Land aus der Krise zu führen. Moldau gilt als das ärmste Land Europas. Kosak warnte davor, dem “Kriminellen” Plahotniuc das Land weiter zu überlassen.
Trotzdem beauftragten die Verfassungsrichter dann am Sonntag den Ministerpräsidenten der letzten Regierung, Pavel Filip von den Demokraten, damit, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Filip unterzeichnete wenig später moldauischen Medienberichten zufolge das Dekret und setzte Neuwahlen für Anfang September an.
Der von Russland wegen angeblich illegaler Finanzgeschäfte gesuchte Oligarch Plahotniuc sagte, er erkenne die Legitimität von Parlament und Regierung nicht an. Er soll gemeinsam mit Veaceslav Platon illegale Geschäfte im Umfang von 560 Millionen US-Dollar getätigt haben. Es soll um Devisen-Betrug gehen, berichtet die Zeitung Libertatea.
Plahotniuc ist ein enger Vertrauter von Victoria Nuland (“Fuck the EU”), die von 2013 bis 2017 Assistant Secretary of State im US-Außenministerium gewesen ist, die er unter anderem 2016 am Atlantic Council in Washington D.C. getroffen hatte, berichtet Digi 24. Diversen Medienberichten zufolge ließ er Hunderte Menschen aus anderen Landesteilen zu Kundgebungen nach Chisinau fahren, um für Neuwahlen zu demonstrieren. In den vergangenen Tagen kam es immer wieder zu Protesten mit Tausenden Teilnehmern.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn riefen das Land zu Ruhe und Zurückhaltung auf. “Der Dialog zwischen demokratisch gewählten Vertretern muss der Schlüssel bleiben.” Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie sollten die tragende Säule der Beziehungen zwischen EU und Moldau bleiben. Die neue Regierungskoalition erkannten sie an.
Der EU Observer führt aus: “Die EU, der einflussreichste internationale Partner der Republik Moldau, hat die Möglichkeit zu handeln. Während die Republik Moldau ein kleiner und armer Staat ist, liegt sie an den Grenzen der EU und hat ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Darüber hinaus hat die EU einen erheblichen Einfluss auf das Land, da es von Exporten und Hilfsleistungen der EU und internationaler Finanzinstitutionen abhängig ist.”
Deutschland stellte in einer gemeinsamen Erklärung mit Frankreich, Großbritannien, Polen und Schweden klar: In der Verfassungskrise unterstütze man das Parlament in Moldau als Volksvertretung. Es sei der beste Ort, um alle politischen Fragen zu erörtern.
Das Außenministerium in Moskau appellierte ebenfalls an die Lager, ihren Streit über Dialog zu lösen. “Wir rechnen mit einer möglichst baldigen Normalisierung”, hieß es in einer Erklärung. Zugleich begrüßte Moskau die Bildung einer neuen Regierung, um die Beziehung zwischen beiden Ländern weiter voranzutreiben, berichtet die Washington Post.
Moldau mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern liegt zwischen der Ukraine und Rumänien im politischen Spannungsfeld zwischen Russland und der EU. Die frühere Sowjetrepublik befindet sich seit ihrer Unabhängigkeit 1991 praktisch in einer Dauerkrise.
Aufgrund der geringen Größe, des flachen Geländes und der strategischen Lage in der Bessarabischen Kluft ist Moldau in seiner gesamten Geschichte anfällig für Invasionen und die Kontrolle durch fremde Mächte, so der US-Informationsdienst Stratfor. Das Gebiet, aus dem Moldau besteht, wurde im 19. Jahrhundert zwischen dem Osmanischen und dem Russischen Reich umkämpft. Im 20. Jahrhundert kämpften Rumänen, Deutsche und Sowjets um die Kontrolle über das Territorium. Als die Sowjetunion 1991 zusammenbrach, wurde Moldau zum ersten Mal in der modernen Geschichte ein unabhängiger Staat, dessen wirtschaftlicher, politischer und demografischer Kern in der Hauptstadt Chisinau liegt.
Die Unabhängigkeit hat die externe Konkurrenz um den Einfluss auf Moldau nicht beseitigt. Das politische System des Landes ist ungefähr gleichmäßig in pro-russische und pro-europäische Unionsgruppen aufgeteilt, die - manchmal gewaltsam - über die Ausrichtung des Landes nach Moskau oder in Richtung Westen streiten. Moldau ist auch geografisch geteilt, wobei das Gebiet von Transnistrien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr durch Chisinau kontrolliert wurde. Transnistrien bleibt de facto außerhalb der Kontrolle der moldauischen Regierung und wird finanziell und militärisch von Russland unterstützt. Auch die Spannungen mit dem autonomen Gebiet Gagausien, wo mehrheitlich christlich-orthodoxe Türken leben, sind nicht ausgestanden. Die Bewältigung dieser verschiedenen internen und externen Spannungsfelder ist die größte geografische Herausforderung für die Republik Moldau.