Politik

EU-Deal mit Mercosur-Staaten ein einziger Streit

Kaum hat die EU den Freihandelsvertrag mit den südamerikanischen Mercusor-Staaten verkündet, baut sich auch schon Widerstand dagegen auf. Und das weltweit. Donald Trump braucht sich erstmal keine Sorgen zu machen.
07.07.2019 12:45
Lesezeit: 4 min

Die neue Freihandelsvertrag, den die EU und die Mercosur-Staaten in der vergangenen Woche ausgehandelt haben, hat in Südamerika die Gemüter sichtbar hochkochen lassen. Der brasilianische Staatsoberhaupt Jair Bolsonaro sprach von einem „historischen Moment“. Und der argentinische Außenminister Jorge Faurie zeigte sich sogar zu Tränen gerührt, als er seinem Präsidenten Mauricio Macri die frohe Botschaft übermitteln konnte, dass sich die Vertreter der beiden kontinentalen Wirtschaftsblöcke nach 20 zähen Verhandlungsjahren endlich geeinigt hatten. So stark ließ sich der argentinische Politiker von seinen Gefühlen übermannen.

Grundsätzlich schämen sich die südamerikanischen Männer nicht, sich auch mal etwas emotional gehen zu lassen, wenn es dafür einen Anlass gibt. Und danach sieht es ja auch tatsächlich aus. Denn der neue Wirtschaftspakt hat wirklich gigantische Ausmaße. Denn er schließt rund 770 Millionen Konsumenten ein und ist damit der größte seiner Art weltweit – noch größer als die JEFTA-Vereinbarung zwischen der EU und Japan, die 600 Millionen Verbraucher integriert.

Damit könnte das Abkommen grundsätzlich geeignet sein, den Handel, den beide Wirtschaftsräume mit den USA betreiben, zumindest in Teilen zu ersetzen. Das wäre ein wichtiges internationales Signal an US-Präsident Donald Trump, der die Länder schon seit Jahren mit seiner protektionistischen Politik ärgert.

Bisherige Handelsstruktur: „Autos gegen Schweinefleisch“

Bisher sieht der Handel zwischen dem europäischen und dem südamerikanischen Block folgendermaßen aus: Die EU hat 2018 Waren und Dienstleistungen im Wert von 51,5 Milliarden Dollar exportiert, wie aus den Statistiken der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft GTAI hervorgeht. Die europäischen Unternehmen haben bis dato überwiegend Maschinen und Autos und Autoteile in Südamerika abgesetzt. Die Firmen der Mercosur-Länder verkauften hingegen Produkte und Dienstleistungen im Wert von 48,8 Milliarden Dollar – und zwar überwiegend landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Rind-, Geflügel- und Schweinefleisch sowie Zucker, Bioethanol, Orangen und Reis sein. „Autos gegen Schweinefleisch“, schreiben deswegen viele deutsche Fachdienste über den bisherigen Handel zwischen beiden Wirtschaftsräumen.  

Der gesamte Außenhandel beträgt derzeit etwa 115 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Mit den USA handelt die EU Volumina, die pro Jahr fünf bis sechs Mal höher sind. Das bedeutet, dass die Geschäfte zwischen dem europäischen und dem südamerikanischen Wirtschaftsraum derzeit noch relativ gering sind und somit ein erhebliches Wachstumspotenzial haben. Aus diesem Grund sind die Erwartungen, die die Südamerikaner an den neuen Pakt haben, enorm groß.

„Abkommen bringt Brasilien zusätzliche 125 Milliarden Dollar“

Brasilien, das aufgrund der Größe seiner Volkswirtschaft dem Mercosur-Raum die Richtung vorgibt, rechnet damit, dass der verstärkte Handel zwischen den beiden Blöcken dem Land in den kommenden 15 Jahren zusätzliche Umsätze von 125 Milliarden Dollar ermöglicht. Das käme einem Volumen von fünf bis sechs Prozent am derzeitigen Bruttoinlandsprodukt (BIP) gleich. Dadurch würde die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt, die ein jährliches BIP von 2,4 Billionen Dollar generiert, also einen spürbaren Schub bekommen.

„Der neue Vertrag wird die Wettbewerbsfähigkeit der brasilianischen Ökonomie erhöhen, indem für unsere Hersteller der Zugang zur europäischen Hochtechnologie ermöglicht wird“, heißt es in einer Erklärung, die das Außen- und das Wirtschaftsministerium gemeinsam verfasst haben. „Außerdem dürfte das Abkommen für geringere Preise sorgen“, glaubt die Regierung.

Brasilianer denken an öffentliche Ausschreibungen in Europa

Doch nicht nur die nationale Ökonomie, sondern auch die brasilianischen Unternehmer sollen nach dem Willen der einheimischen Regierung profitieren. Die Brasilianer schielen insbesondere auf die öffentlichen Aufträge, die Mitgliedsstaaten der EU zu vergeben haben. Der Vertrag vereinfacht den brasilianischen Managern künftig die Teilnahme an staatlichen Aufträgen innerhalb der Gemeinschaft. Die brasilianische Regierung schätzt das Gesamtvolumen der Order in allen EU-Staaten pro Jahr auf 1,6 Milliarden Dollar – also einem durchaus lukrativen Geschäft für die Südamerikaner.

„Der Vertrag wird den Firmen Zugang zu neuen Geschäftsfeldern eröffnen wie Dienstleistungen, Kommunikation oder Vertrieb“, erklärte die brasilianische Regierung, die sich dadurch erhofft, dass das Land künftig nicht nur überwiegend landwirtschaftliche Produkte verkauft und von der Monokultur wegkommt, die es bisher beim Export nach Europa gibt. „Die Verringerung von Handelsbarrieren, die Zusage, dass die rechtliche Situation sicherer wird, und die Transparenz der Regeln werden die Einbindung Brasiliens in die internationalen Wertschöpfungsketten erleichtern und mehr Investitionen, Jobs und höhere Löhne bringen“, glauben die Vertreter der Regierung.

Arbeitnehmer-Vertreter: „Ein Todesurteil für unsere Industrie“

Die Gewerkschaften in den südamerikanischen Ländern kritisieren das Abkommen allerdings mit sehr scharfen Worten. „Es ist das Todesurteil für unsere Industrie und wird katastrophale Auswirkungen haben“, beklagen sich 20 Arbeitnehmer-Vertreter aus Brasilien, Argentinien, Chile und Paraguay in einer gemeinsamen Erklärung. „Generell fördert der Vertrag die Liberalisierung der Agrarexporte der Mercosur-Staaten nach Europa, während die Erzeugnisse der wertschöpfenden Industrie ungehindert auf den südamerikanischen Kontinent gelangen“, warnen die Gewerkschaften, die davon ausgehen, dass durch das Abkommen die bisherige Handelsstruktur verstärken wird. Sie erwarten also genau das Gegenteil der brasilianischen Regierung, die mit einer Diversifizierung der Geschäfte rechnet.

„Darüber hinaus sieht der Vertrag keine echte Förderung für kleine und mittlere Unternehmen vor“, mahnen die Gewerkschaften. „Bei einem fairen Abkommen müssten finanzielle Unterstützung und Technologietransfer gewährleistet sein, um im Prozess der Handelsöffnung bei der technologischen Modernisierung und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bestehen zu können“, fordern sie.

Deutscher Bauernverband läuft dagegen Sturm

Doch nicht nur in Südamerika gibt es massive Kritik, sondern auch in Deutschland. „Es ist nicht zu akzeptieren, dass die EU-Kommission diese völlig unausgewogene Vereinbarung unterzeichnet“, erklärte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. Das Abkommen gefährdet seinen Aussagen zufolge die Zukunft vieler bäuerlicher Familienbetriebe, die unter den hohen europäischen Standards wirtschaften. Ungleiche Standards, die für den Umwelt- und Klimaschutz, für Antibiotika und beim Pflanzenschutz gelten, sind aus der Sicht des Verbandes ein weiteres Problem. Die Organisation befürchtet, dass es zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung kommt.

Ähnliche Kritik kam auch vom Bundesverband der deutschen Bioethanol-Wirtschaft (BDBe). „Dadurch werden bis zu 650.000 Tonnen Bioethanol zusätzlich eingeführt“, befüchtet der Vorsitzende des BDBe, Nobert Schindler. „Das sind rund zwölf Prozent des aktuellen EU-Verbrauchs, die mit Hilfe deutlich geringerer Produktions- und Umweltstandards hergestellt werden“, sagte der Funktionär, der auf die strengen Nachhaltigkeitsregelungen für Bioethanol und hohe

Pflanzenschutz- und Umweltauflagen hinwies, die europäische Landwirte beim

Pflanzenanbau zu erfüllen haben.

Diese Vorgaben führten seiner Einschätzung zufolge zu Wettbewerbsnachteilen und einer Schwächung der heimischen Produzenten von Bioethnol gegenüber der Konkurrenz aus

Übersee. „Durch die weniger strengen Umwelt- und Sozialstandards in

Südamerika können die Erzeuger in den Mercosur-Staaten zu niedrigeren

Preisen produzieren, als dies in Europa möglich ist.“, so Schindler.

Frankreich ebenso dagegen

Auch in Frankreich ist Widerstand zu spüren. „Das Abkommen wird die europäischen Landwirte unlauterer Konkurrenz aussetzen“, befürchtet auch die Chefin der französischen Bauerngewerkschaft FNSEA, Christiane Lambert. Deswegen hat auch schon die französische Regierung Widerstand angekündigt. „Frankreich ist derzeit nicht bereit, das Abkommen zu ratifizieren,“ sagte Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye. „Wir verlangen zusätzliche Garantien, beispielsweise für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes und für die französischen Rinderzüchter“, so die Sprecherin.

Es sieht so aus, dass das Abkommen noch lange nicht in trockenden Tüchern ist. Es wird die Emotinen wohl noch lange hochkochen lassen - und zwar überall: nicht nur in Südamerika, sondern auch in Europa. Donald Trump braucht sich erstmal keine Sorgen zu machen.

 

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