US-Hilfe versiegt – Europa muss Putins Vormarsch stoppen
US-Präsident Donald Trump, der angekündigt hatte, den russischen Krieg gegen die Ukraine binnen 24 Stunden zu lösen, steckt in einer Sackgasse. Seine diplomatischen Bemühungen, selbst unter Zugeständnissen an Moskau, blieben erfolglos. Inzwischen spricht der Republikaner zunehmend davon, sich sowohl vom Verhandlungstisch als auch von der militärischen Unterstützung für die Ukraine zurückzuziehen. Experten sind überzeugt: Ohne Washington wird es für die Ukraine schwierig – scheitern wird sie daran aber nicht. Das berichtet das litauische Wirtschaftsportal Verslo žinios.
Die US-Hilfen für die Ukraine gehen bereits seit geraumer Zeit zurück. Fast fünf Monate hat Washington keine neuen Militärhilfen für Kiew mehr angekündigt. „Manchmal sieht man zwei kleine Kinder im Park raufen. Man kann sie ruhig noch ein bisschen kämpfen lassen, bevor man sie trennt“, so äußerte sich der US-Präsident zur russischen Aggression gegen die Ukraine. Im April genehmigte die US-Regierung ein Militärhilfepaket über 50 Millionen Dollar für die Ukraine – allerdings erst, nachdem Kiew ein Abkommen über Rohstoffe unterzeichnet hatte. Zudem stammt dieses Hilfspaket noch aus der Amtszeit des vorherigen US-Präsidenten. Die Ukraine warnte, dass von einem Abbruch der US-Unterstützung allein Russland profitieren würde. „Ohne amerikanische Waffen wird die Lage auf dem Schlachtfeld natürlich schwieriger“, sagte Oleksandr Merezko, Abgeordneter der Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj, gegenüber „ABC News“. Selenskyj selbst erklärte zu Jahresbeginn, dass die amerikanische Militärhilfe rund 30 Prozent der ukrainischen Waffen ausmacht. Andere Schätzungen gehen von nur 20 Prozent aus – klar ist, Washington bleibt ein zentraler Lieferant für die Ukraine.
Wegen einer Blockade im US-Kongress ruhte die US-Militärhilfe für neun Monate. Kiew musste sich auf eine Zukunft ohne Amerika vorbereiten. Im März 2025 bewahrheiteten sich diese Befürchtungen: Trump stoppte für eine Woche sämtliche US-Militärhilfen und auch den Austausch von Geheimdienstinformationen mit Kiew. „Die Abhängigkeit der Ukraine von den USA hat zwar abgenommen, aber Washingtons Unterstützung bleibt entscheidend für die Schlagkraft auf dem Schlachtfeld“, sagte Emil Kastelhelm vom finnischen Analysekollektiv „Black Bird Group“ gegenüber dem „Kyiv Independent“. Das in Deutschland ansässige Kieler Institut, das die Hilfen für die Ukraine weltweit erfasst, bestätigt: Während die US-Hilfen sinken, steigen jene aus Europa.
Wichtig, aber kein Wendepunkt an der Front
Ende 2024 verabschiedete das ukrainische Parlament einen eigenen Verteidigungsetat über rund 53,7 Milliarden Dollar. Oleksandr Danyliuk vom britischen Thinktank „Royal United Services Institute“ erklärte gegenüber US-Medien, dass die US-Militärhilfe zwar bedeutend, aber nicht überlebenswichtig sei. „Ich würde sie weder unterschätzen noch überbewerten“, so Danyliuk. Rund die Hälfte der amerikanischen Waffen und Munition könne ersetzt werden, sagte er. Wie die Ukraine Ersatz für ausbleibende US-Waffen finden soll, sei jedoch die größte Herausforderung für Kiew, betonte Pawel Luzin von der Fletcher School für Recht und Diplomatie an der Tufts-Universität. „Europa kann für US-Waffen zahlen – das Geld ist vorhanden. Auch Kiew selbst kann Waffen über langfristige europäische oder US-Kredite beschaffen. Sogar eingefrorene russische Vermögenswerte könnten dafür genutzt werden“, so Luzin.
Selenskyj forderte zuletzt, die Luftabwehr der Ukraine rasch auszubauen – als Reaktion auf zunehmende russische Raketen- und Drohnenangriffe auf Städte im ganzen Land. „Wir brauchen dringend positive Signale aus den USA – konkrete Signale für Luftabwehrsysteme. Wir warten noch immer auf eine Antwort auf unsere Anfrage“, so Selenskyj. Auch Danyliuk sieht die Luftverteidigung als einen Bereich, in dem die USA unverzichtbar bleiben. Neben der Frontlinie profitiert die Ukraine von den massiven US-Geheimdienstkapazitäten. Laut dem US-Thinktank CSIS umfasst die US-Aufklärung Hilfe bei Signal-, Bild- und menschlicher Aufklärung. „Diese Unterstützung ermöglichte es der Ukraine, Raketenangriffe abzuwehren, Geheimoperationen zu durchkreuzen und Truppenbewegungen zu überwachen“, so das CSIS in einem Bericht. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth kündigte kürzlich an, die Militärhilfe für die Ukraine ab kommendem Jahr weiter zu kürzen. Allerdings wirft Trumps bisheriges Verhalten Zweifel auf, ob die Ukraine überhaupt noch die Hilfen erhält, die unter Biden zugesagt wurden. Anfang Juni verlagerte Washington etwa 20.000 Anti-Drohnen-Raketen, die für Kiew bestimmt waren, in den Nahen Osten. Die Ukraine sieht sich gezwungen, sich auf das Schlimmste vorzubereiten – für den Fall, dass die USA langfristig aussteigen. „Ein Stopp der US-Militärhilfe hätte gravierende Auswirkungen auf die Fähigkeiten der Ukraine. Aber diese Auswirkungen würden schrittweise eintreten, nicht abrupt – es gibt Vorräte, es wird nach Alternativen gesucht. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab, aber das Ergebnis hängt von Europas Reaktion ab“, erklärte Kastelhelm.
Nach dem vorübergehenden Aussetzen der US-Militärhilfe und Geheimdienstunterstützung kündigten Kiews europäische Partner an, ihre Unterstützung für die Ukraine auszuweiten. Angesichts der wachsenden russischen Bedrohung stellte die EU-Kommission am 4. März den Plan „ReArm Europe“ vor, um die Verteidigungsfähigkeiten Europas zu stärken. Der auf zehn Jahre angelegte Plan sieht Verteidigungsausgaben von 800 Milliarden Euro vor, darunter 150 Milliarden Euro an Krediten für die EU-Mitgliedstaaten zur Investition in ihre Verteidigungsindustrien. Laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll diese Initiative es auch ermöglichen, die Unterstützung für die Ukraine zu erhöhen. Das Kieler Institut berechnete, dass Europa seine Verteidigungsausgaben massiv steigern müsste, um die USA zu ersetzen. Deutschland müsste sein jährliches Militärbudget von 6,7 auf 10,2 Milliarden Dollar erhöhen, Frankreich von 1,7 auf 6,7 Milliarden, Italien von 905 Millionen auf 5,1 Milliarden, Spanien von 565 Millionen auf 3,4 Milliarden, Großbritannien von 5,6 auf 7,3 Milliarden Dollar. „Unsere Daten zeigen, dass Europa den Großteil der US-Hilfe kompensieren könnte – aber nur, wenn die Politik entschlossen handelt. Bislang war Europa dabei zu zögerlich“, kritisierte Christoph Trebesch, Forschungsdirektor am Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Ukraine setzt auf Waffendeals
Die Ukraine versucht zudem, Waffen direkt aus den USA zu kaufen. Im April kündigte Selenskyj an, Kiew wolle 50 Milliarden Dollar für Waffen ausgeben – Verträge wurden bis Anfang Juni aber keine bekanntgegeben. „Bald könnten wir erste Waffenkäufe sehen – wahrscheinlich finanziert über eingefrorene russische Vermögenswerte oder europäische Partner. Dieser geschäftsorientierte Ansatz entspricht Trumps Logik – deshalb dürfte es schnell gehen“, sagte F. Borsari. Die Abhängigkeit von den USA und Europa sinkt zudem schrittweise – durch wachsende ukrainische Waffenproduktion und Investitionen aus dem Ausland in die ukrainische Rüstungsindustrie. Militärexperte Mychajlo Samus vom Netzwerk für neue Geopolitik erklärte dem „Kyiv Independent“, ukrainische Fachleute könnten inzwischen US-Waffen eigenständig reparieren – so kehren die Systeme schneller an die Front zurück. Laut Samus hätte ein Ende der US-Militärhilfe kaum Auswirkungen an der Frontlinie. Der Stopp der US-Geheimdienste hingegen könnte die ukrainischen Angriffe tief im Inneren Russlands treffen – Kiew nutzt US-Satellitendaten, um russische Truppen und Technik zu lokalisieren. Auch hier könnten europäische Partner Washington langfristig ersetzen. „US-Geheimdienste kann man ersetzen. Aber das kostet Geld, Zeit und politischen Willen“, so Samus.
Die Politikwissenschaftlerin Dovile Jakniunaite vom Institut für internationale Beziehungen sieht die US-Hilfen für die Ukraine im kommenden Jahr skeptisch. „Direkte Hilfe wird kaum noch kommen – wenn überhaupt. Offen bleibt nur, ob Waffen über Kredite oder Direktkäufe beschafft werden. Für Trump als Geschäftsmann ist das plausibler“, so Jakniunaite. Europa erhöht unterdessen seine Militärhilfen. „Wenn die Amerikaner wenigstens Geheimdienst- und Logistikhilfe aufrechterhalten, wäre das schon als Erfolg zu werten“, kommentierte sie. Nach Angaben des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) verzeichnete Russland im Juni den dritten Monat in Folge militärische Geländegewinne – so viel wie seit November nicht mehr. Laut ISW nahm Russland im Juni 588 Quadratkilometer ukrainisches Gebiet ein, nach 507 im Mai, 379 im April und 240 im März.