Politik
Indien hebt Sonderstatus der Region auf

Eskalation des Kaschmir-Konflikts: Indien will Chinas Einfluss zurückdrängen

Indien hat den Sonderstatus der Region Jammu und Kaschmir überraschend aufgehoben. Der Schritt richtet sich nicht nur gegen den Erzfeind Pakistan, sondern auch gegen Chinas Neue Seidenstraße.
05.08.2019 14:04
Lesezeit: 3 min
Eskalation des Kaschmir-Konflikts: Indien will Chinas Einfluss zurückdrängen
Indien fühlt sich durch die Partner Chinas umzingelt und bedrängt. (Grafik: GPF)

Indien hat am Montag angekündigt, den Autonomiestatus der Region Kaschmir aus seiner Verfassung streichen zu wollen. Der Sonderstatus der Region Jammu und Kaschmir ist seit 1954 im Artikel 370 der indischen Verfassung verankert. Der indische Heimatminister Amit Schah machte deutlich, dass Jammu und Kaschmir künftig nicht mehr das Recht haben sollen, ihre eigenen Gesetze zu erlassen. Artikel 370 der indischen Verfassung garantiert dem indischen Teil Kaschmirs unter anderem eine eigene Verfassung, eine eigenen Flagge und weitgehende Kompetenzen mit Ausnahme namentlich der Außen- und Verteidigungspolitik. Nicht-Kaschmirern war es bislang verboten, dauerhaft in der Region zu leben, dort Land zu kaufen oder in der Verwaltung zu arbeiten.

Die Reaktion aus Pakistan ließ nicht lange auf sich warten. Der pakistanische Außenminister Schah Mahmood Qureshi wies den Anspruch Indiens zurück, da er gegen die Resolutionen der UN verstoße. Die Aufhebung des Artikels 370 würde zudem dazu führen, dass Inder außerhalb des Staates das gesetzliche Recht erhalten, dort Eigentum zu besitzen. Die Pakistanis gehen davon aus, dass Indien dadurch den Zuzug von Indern nach Kaschmir antreiben, und somit die demographische Zusammensetzung zugunsten der Hindus verändern möchte.

Die Präsidentin der Demokratischen Partei Jammu & Kashmir, Mehbooba Mufti, teilte über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, dass die Abschaffung von Artikel 370 “katastrophale Folgen für den Subkontinent haben” werde. 

Die indischen Behörden haben am Montag auch Ausgangssperren in Srinagar, der Hauptstadt von Jammu und Kaschmir, verhängt. Dem englischsprachigen Dienst der Nachrichtenagentur AFP zufolge wurden das Handynetz und das Festnetz abgeschaltet. Mehrere Regionalpolitiker wurden unter Hausarrest gestellt. 

Die hindu-nationalistische Partei BJP von Premierminister Narendra Modi ist schon seit Jahrzehnten gegen den Sonderstatus von Kaschmir. Die Partei argumentiert, die Reform werde die mehrheitlich von Muslimen bewohnte Region stärker in Indien integrieren. Kurz vor dem Dekret schickte Indien Tausende zusätzliche Soldaten ins Kaschmir-Tal. Indische Behörden brachten viele Touristen, Studenten und Pilger aus der Region und schlossen Schulen.

Der indische Journalist Ramachandra Guha kritisierte den Vorstoß der indischen Regierung scharf. Dies sei keine Art und Weise, um “Vertrauen unter den Kaschmiris” aufzubauen. “Das ist keine Demokratie, das ist Autoritarismus, das Handwerk paranoider, unsicherer Herrscher, die es nicht einmal wagen, eine richtige Debatte innerhalb oder außerhalb des Parlaments zu führen”, so Guha über Twitter

Diesbezüglich zitierte Guha am 5. August 2019 den indischen Sozialisten Jayaprakash Narayan über Twitter. Narayan hatte im Jahr 1966 gesagt: “Wenn wir weiterhin mit Gewalt regieren und diese Menschen unterdrücken und sie zerschlagen oder den rassischen oder religiösen Charakter ihres Staates durch Kolonialisierung oder auf andere Weise ändern, dann halte ich das für eine politisch höchst widerwärtige Sache.”

Indien will Chinas Neue Seidenstraße behindern

Der Konflikt zwischen Pakistan und Indien steht in einem direkten Zusammenhang mit dem chinesischen Projekt der Neuen Seidenstraße. China ist aufgrund dieses Projekts, aber auch aufgrund der indisch-chinesischen Rivalität im Indischen Ozean, ein Schlüsselpartner Pakistans. 

Der China-Pakistan-Wirtschaftskorridor (CPEC) - der wichtigste Zweig des Großprojekts - zielt darauf ab, Pekings Abhängigkeit von der belebten Seestraße von Malakka zu verringern, indem eine Handelsroute geschaffen wird, die das Arabische Meer mit der westchinesischen Provinz Xinjiang über den Landweg verbindet.  

Für Indien ist der CPEC jedoch besonders provokativ, da eine Autobahn, die ein Teil des CPECs sein soll, durch Gilgit-Baltistan verläuft. Baltistan wird von Pakistan verwaltet, doch Indien sieht es als einen Teil des indischen Kaschmir an, was bedeutet, dass Neu-Delhi Pekings Unterstützung für den Korridor als eine Anerkennung der pakistanischen Souveränität über Gilgit-Baltistan ansieht. Indien hat China dementsprechend beschuldigt, sein eigenes Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer  Staaten verletzt zu haben. Die Regierung in Neu Delhi hat bislang auch keine erkennbaren Schritte unternommen, um an der Neuen Seidenstraße teilzunehmen.

Während China Ansprüche auf den nordöstlichsten Bundesstaat Indiens, Arunachal Pradesh (Süd-Tibet), erhebt, bestreitet Indien wiederum die chinesische Souveränität über Aksai Chin. 

Chinas Expansion nach Südasien und in den Indischen Ozean stellt Indiens regionale Dominanz in Frage. Dass die aktuellen Spannungen zwischen Pakistan und Indien in Kaschmir direkt mit China zusammenhängen, hatte eine Entwicklung im April 2019 gezeigt. Die Economic Times berichtete, dass China eine Karte von der Website des Belt and Road Initiative (BR) Forums entfernt hat, auf der ganz Jammu und Kaschmir und Arunachal Pradesh als Teil Indiens und Indiens als Teil der Neuen Seidenstraße gezeigt wurden.

Die indische Zeitung The Telegraph berichtet: “Die Wahrheit ist, dass das Projekt zur Neuen Seidenstraße eine Reihe von scheinbar unlösbaren Herausforderungen für Indien darstellen. Offensichtlich droht die Neue Seidenstraße die Besetzung eines Teils von Kaschmir durch Pakistan in eine vollendete Tatsache zu verwandeln. Wenn das Gebiet zu einem wichtigen Wirtschaftskorridor für China wird, kann der Konflikt innerhalb des begrenzten Bereichs der Beziehungen zwischen Pakistan und seinem viel größeren Nachbarn nicht mehr gelöst werden.”

Im Jahr 2017 fand die erste internationale Konferenz zur Neuen Seidenstraße statt. Obwohl über 100 Staaten an der Konferenz teilnahmen, boykottierte Indien die Konferenz. “Indien boykottierte diese Konferenz, weil der China-Pakistan-Wirtschaftskorridor (CPEC) durch das von Pakistan besetzte Kaschmir (PoK) gebaut wird, was als Teil der Neuen Seidenstraße geplant wurde”, so der New Indian Express.

Wenn es Indien gelingen sollte, die Kontrolle über die Region Kaschmir auszudehnen, um anschließend die wichtigste Region der Neuen Seidenstraße zu blockieren, würde dies mit den Interessen jener Großmächte und Nationen harmonieren, die das Projekt zur Neuen Seidenstraße, und damit China, aushebeln wollen. Doch auch Anschläge und Unruhen sind künftig auf der Route der Neuen Seidenstraße nicht ausgeschlossen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Unternehmen
Unternehmen Trade Republic Probleme: Kundenfrust wächst trotz neuer Produkte
04.12.2025

Trade Republic wirbt mit Innovationen, doch viele Kunden erleben etwas anderes. Die Beschwerden zu Ausfällen, Support und Handelbarkeit...

DWN
Politik
Politik G7? Nein danke, sagt Putin
04.12.2025

Russlands Präsident Wladimir Putin sorgt vor seinem Indien-Besuch für Aufsehen. Er kritisiert die G7 als "nicht groß" und verweist auf...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutschland im Club der Superreichen vorn dabei
04.12.2025

Fast 3.000 Menschen weltweit besitzen mehr als eine Milliarde Dollar – und Deutschland spielt eine führende Rolle. Während...

DWN
Finanzen
Finanzen Silberpreis aktuell leichter: Kurspotenzial weiter hoch – jetzt Rücksetzer nutzen und Silber kaufen?
04.12.2025

Der Silberpreis hat am Mittwoch ein Rekordhoch erreicht. Doch der starke Anstieg des Silberpreises in den vergangenen Monaten stellt die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Porsche-Aktie: 1.900 Stellen fallen weg
04.12.2025

Porsche verschärft seinen Sparkurs und fordert deutliche Zugeständnisse der Beschäftigten. 1.900 Stellen sollen bis 2029 wegfallen,...

DWN
Technologie
Technologie Lockerung der Gentechnik-Regeln im Supermarkt: Was Verbraucher jetzt wissen müssen
04.12.2025

Neue EU-Vorgaben aus Brüssel: Gibt es im Supermarkt bald keinen Hinweis mehr auf genveränderte Lebensmittel? Was sich für Obst, Gemüse...

DWN
Politik
Politik Durch Angriffe beschädigte Pipeline lässt den Ölpreis steigen
04.12.2025

Ein beschädigter Pipeline-Anleger im Schwarzen Meer lässt den Ölpreis scharf anziehen. Die Märkte reagieren nervös, denn geopolitische...

DWN
Politik
Politik Beiträge für Private Krankenversicherung steigen kräftig ab 2026
04.12.2025

Die Mehrheit der Privatversicherten muss kommendes Jahr höhere Beiträge für ihre Krankenkasse bezahlen. Die Branche rechnet mit...