Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will die Regeln für konjunkturbedingte Kurzarbeit rasch ändern. "Wir sind im Moment in einer massiven Konjunkturabkühlung", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Berlin. "Ich würde aber nicht von einer Wirtschaftskrise sprechen." Zu Risiken wie Handelskonflikten und Brexit komme ein erheblicher Strukturwandel durch die Digitalisierung hinzu. Er wolle daher bei der Kurzarbeit Vorsorge für den Krisenfall treffen und zudem Anreize schaffen, dass konjunkturbedingte Kurzarbeit stärker mit einer Qualifizierung verbunden werde.
Heil will in der Koalition durchsetzen, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Arbeitgeber bei den Sozialbeiträgen entlastet, wenn deren Beschäftigte konjunkturbedingte Kurzarbeit mit Weiterbildung verbinden. Zudem soll der Bundestag ihm die Befugnis geben, im Krisenfall kurzfristig per Verordnung den Bezug von Kurzarbeitergeld auszuweiten, um damit Entlassungen zu verhindern. Der Minister kündigte an, er werde nun Eckpunkte seiner Vorschläge ausarbeiten und dann mit Gewerkschaften und Arbeitgebern wie auch mit dem Koalitionspartner Union darüber reden.
Derzeit bewegt sich die konjunkturell bedingte Kurzarbeit aufgrund von Auftragsflauten in den Unternehmen laut BA auf sehr geringem Niveau. Im Mai gab es laut BA-Berechnungen 40.900 konjunkturbedingte Kurzarbeiter. Für sie übernimmt die Arbeitslosenversicherung einen Teil des Lohnausfalls. Sollte es zu einem deutlichen Anstieg kommen, sieht sich die Behörde mit Rücklagen von über 20 Milliarden Euro gut gerüstet. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 gab es zeitweise bis zu 1,5 Millionen Kurzarbeiter.
In den vergangenen Monaten hatten sich erste Anzeichen für eine Eintrübung auf dem deutschen Arbeitsmarkt gezeigt. Zwar hat die Konjunkturschwäche noch keine Alarmstimmung in Sachen Kurzarbeit, Einstellungstopp oder gar Stellenabbau ausgelöst. Doch die Konzerne rüsten sich für den Fall, dass die Wirtschaft in Deutschland weiter schrumpft und in eine Rezession rutscht.
In der Chemie etwa sei Kurzarbeit derzeit in der Fläche noch kein Thema, erklärte der Chemie-Arbeitgeberverband BAVC am Mittwoch. "Aber es ist richtig, sich frühzeitig für den Fall der Fälle vorzubereiten. Wenn es zu einer Wirtschaftskrise kommt, müssen Instrumente wie die Kurzarbeit schnell und unbürokratisch eingesetzt werden können." Vorboten dessen, was auf die deutsche Wirtschaft zukommen kann, ist der angekündigte Abbau tausender Stellen bei Bayer, BASF, Volkswagen oder Thyssenkrupp - auch wenn die Gründe hierfür vor allem Umbrüche in der Industrie oder hausgemachte Probleme sind.
Bayer hatte bereits Ende 2018 den Abbau von rund 12.000 der weltweit gut 118.000 Stellen bis Ende 2021 angekündigt. BASF will 6000 Jobs streichen, der Thyssenkrupp-Konzern ebenso. Die Maßnahmen sind aber Teil von Sparprogrammen, die es wohl ohnehin gegeben hätte. Die Stahlsparte von Thyssenkrupp reagiert auf die Flaute der wichtigen Kunden aus der Automobilindustrie und die stark gestiegenen Rohstoffkosten. Seit einigen Monaten gilt bei Thyssenkrupp Steel Europe mit seinen 27.000 Beschäftigten ein Einstellungsstopp. Pläne für Kurzarbeit gebe es derzeit nicht. Leiharbeit werde ohnehin nur in begrenztem Umfang genutzt, erklärt der Konzern.
Bei Volkswagen sieht man sich wegen des halbwegs stabilen Absatzes im ersten Halbjahr noch auf der sicheren Seite. "Es ist nicht so, dass hier das Heulen und Zähneklappern ausbricht." Man sehe aber natürlich, was sich bei den Zulieferern tue, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters. VW baut im Zuge des "Zukunftspakts" ohnehin bis Ende 2020 in Deutschland 14.000 Stellen durch Altersteilzeit und andere Maßnahmen ab. Hinzu kommen bis 2023 noch bis zu 7000 Stellen, die im Zuge der Digitalisierung in der Verwaltung wegfallen sollen. Ebenso viele Arbeitsplätze gehen in den nächsten Jahren zudem beim Umbau der Werke in Hannover und Emden zu Elektrostandorten verloren. Da ist schwer auszumachen, ob der ein oder die andere auch wegen der schwachen Konjunktur gehen muss.
FIRMEN WOLLEN WERTVOLLE MITARBEITER NICHT VERLIEREN
Der Konkurrent BMW stellt zwar Stellen auf den Prüfstand, allerdings lediglich bei Neubesetzungen. Kurzarbeit oder weitergehende Schritte sind nach Konzernangaben kein Thema. Betriebsbedingte Kündigungen sind einer Vereinbarung mit den Arbeitnehmern zufolge ohnehin ausgeschlossen, solange das Unternehmen Gewinne schreibt.
Die Zahl der offenen Stellen in Deutschland ist im zweiten Quartal sogar gestiegen. Bundesweit gab es rund 1,39 Millionen Jobangebote, wie aus einer Betriebsumfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervorgeht. Das seien 9000 mehr als im Vorquartal und 175.000 mehr als im Vorjahreszeitraum gewesen.
Viele Firmen wollen offenbar auch nicht riskieren, Facharbeiter oder Ingenieure zu verlieren, die sie dringend brauchen - insbesondere, wenn es wieder rund läuft. Die über Jahre erfolgsverwöhnten Maschinenbauer rechnen in diesem Jahr mit einem Rückgang der Produktion um zwei Prozent. "Bisher ist ein Durchschlag auf den Arbeitsmarkt noch nicht erkennbar", erklärt jedoch der Branchenverband VDMA. Die Maschinenbauer gelten mit mehr als einer Million Beschäftigen als Rückgrat der deutschen Wirtschaft.
BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT NICHT BESORGT - METALLER SCHON
Auch die Bundesagentur für Arbeit sieht keine alarmierenden Hinweise auf drastisch steigende konjunkturelle Kurzarbeit. Die Zahl der Leistungsempfänger lag im Mai bei etwa 41.000 und damit deutlich über dem Wert vor einem Jahr, aber noch sehr niedriges Niveau. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall zeigt sich allerdings wegen des Produktionsrückgangs in der Branche besorgt. Die schwierige Lage schlage inzwischen auch auf die Beschäftigung durch. Im Mai habe es zum ersten Mal seit neun Jahren saisonbereinigt einen leichten Rückgang der Beschäftigung in der Metall- und Elektroindustrie gegeben. "Die Beschäftigungspläne der Unternehmen deuten darauf hin, dass auch hier so schnell keine Besserung zu erwarten ist."