Zur Jahreseröffnung der Deutschen Börse beschreibt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann die Lage der Zentralbanken. Er nennt ausdrücklich die Entwicklungen in Japan (hier) und in Ungarn (hier) äußert bedenklich. Weidmann: „Im Zuge der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise werden Notenbanken dazu gedrängt, Maßnahmen zur Stützung des Finanzsystems, zur Stimulierung der Konjunktur und zur Senkung der staatlichen Refinanzierungskosten oder gar zur staatlichen Solvenzsicherung zu ergreifen.“ Dies seien aber nicht die Aufgaben von Notenbanken, weshalb diese ihr Mandat „eng“ auslegen sollten.
Die ganze Passage aus Weidmanns Rede dokumentieren wir im Folgenden wörtlich:
Die Übertragung der Verantwortung für die Bankenaufsicht auf die EZB passt indessen gut zu einem Eindruck, der sich auch außerhalb des Euro-Raums immer mehr aufdrängt: Den Notenbanken wird immer mehr Verantwortung zugeschoben, auch für Aufgaben, die außerhalb ihres Kernmandats liegen.
Der Kollege James Bullard von der St. Louis Fed hat kürzlich (bei der Jahrestagung der American Economic Association) beklagt, dass es im Zuge der Finanzkrise weltweit zu einer schleichenden Politisierung der Zentralbanken gekommen sei. Eine mittelfristige Folge dieser Entwicklung könnte auch sein, dass Preisstabilität als Hauptziel der Geldpolitik zunehmend in Frage gestellt wird und die unabhängige Notenbank aus der Mode kommt.
Vielleicht hat der Chefökonom von HSBC, Stephen King, ja Recht, wenn er voraussagt: „The era of independent central banks is coming to an end“.
Schon jetzt lassen sich bedenkliche Übergriffe beobachten, zum Beispiel in Ungarn oder in Japan, wo sich die neue Regierung massiv in die Angelegenheiten der Notenbank einmischt, mit Nachdruck eine (noch) aggressivere Geldpolitik fordert und mit dem Ende der Notenbankautonomie droht.
Eine Folge, ob gewollt oder ungewollt, könnte ferner eine zunehmende Politisierung des Wechselkurses sein. Bisher ist das internationale Währungssystem ohne Abwertungswettläufe durch die Krise gekommen und ich hoffe sehr, dass es dabei bleibt.
Nun mag es gerade in Japan näherliegende Probleme als Inflation und eine schwache Währung geben. Den Notenbanken wurde aber nicht ohne Grund Unabhängigkeit und ein enges Mandat gegeben. Es war eine Lehre aus den 1970er und frühen 1980er Jahren – eine Zeit, in der viele Länder hohe, teils zweistellige Inflationsraten hatten.
In den USA spricht man von der „great inflation“. Mitte der 80er Jahre folgte die „great moderation“, eine Phase mit moderaten Inflationsraten und gedämpften Konjunkturzyklen. Und mit der „great financial crisis“ kam es dann zur „great recession“.
Das Adjektiv „great“ wird jenseits des Atlantiks bekanntermaßen häufig, um nicht zu sagen inflationär verwendet. Die Erfahrung der great inflation war jedenfalls, dass unabhängige Notenbanken mit einem engen, glaubwürdigen Mandat erfolgreicher in der Inflationsbekämpfung waren.
So wurden in den 80ern und 90ern weltweit viele Notenbanken unabhängig gemacht. Als der Bank of England 1997 Unabhängigkeit verliehen wurde, sagte der damalige Schatzkanzler Gordon Brown: „The previous arrangements for monetary policy were too short-termist, encouraging short but unsustainable booms and higher inflation, followed inevitably by recession.“
Die Entpolitisierung des Geldes und die Stabilitätsorientierung der Notenbanken haben zweifelsohne einen wesentlichen Beitrag zur great moderation geleistet.
Der Rückgang der Inflation während dieser Zeit wurde freilich auch von anderen Entwicklungen begünstigt, zum Beispiel von der Globalisierung. Die great moderation war insofern eine Schönwetterperiode für die Geldpolitik.
Seit Ausbruch der Krise ist das Umfeld für die Notenbanken deutlich widriger geworden: Der wachsende Energie- und Rohstoffhungers der aufholenden Volkswirtschaften hat die inflationsdämpfende Wirkung der Globalisierung tendenziell in steigenden Preisdruck umschlagen lassen.
Im Zuge der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise werden Notenbanken dazu gedrängt, Maßnahmen zur Stützung des Finanzsystems, zur Stimulierung der Konjunktur und zur Senkung der staatlichen Refinanzierungskosten oder gar zur staatlichen Solvenzsicherung zu ergreifen.
Die Überfrachtung der Zentralbanken mit Aufgaben und Erwartungen ist aber sicherlich nicht der richtige Weg, um die Krise nachhaltig zu überwinden. Die Notenbanken schützen ihre Unabhängigkeit wiederum am besten dadurch, dass sie ihren Auftrag eng auslegen.
Zusammengefasst kann man sagen: „Heute sind die meisten Zentralbanken unabhängig, werden von nicht gewählten Amtsträgern geleitet und verfügen über eine recht große Machtfülle. Dies ist nur dann zu rechtfertigen, wenn die Unabhängigkeit durch das Mandat begrenzt ist. Diesen Rahmen hat uns der Gesetzgeber vorgegeben […]. Deshalb ist es uns auch so wichtig, dieses Mandat zu erfüllen, denn das ist die wahre Garantie für unsere Unabhängigkeit, die […] für unsere Glaubwürdigkeit von zentraler Bedeutung ist. Und Glaubwürdigkeit ist eine entscheidende Voraussetzung für die Gewährleistung von Preisstabilität.“
Diese Sätze stammen übrigens nicht von mir, sondern von Mario Draghi, der es kürzlich in einem Interview so treffend auf den Punkt gebracht hat.