Finanzen

„Banknoten-Paradoxon“: Milliarden unter den Matratzen - Bargeldmenge steigt weiter

Ungeachtet der stetig abnehmenden Bedeutung von Scheinen und Münzen beim alltäglichen Einkauf steigt die im Umlauf befindliche Bargeldmenge im Euroraum nach wie vor. Schätzungsweise lagern vierhundert Milliarden Euro Bargeld in Privathaushalten. Doch warum ist mehr Bargeld im Umlauf, wenn immer weniger Menschen es im Alltag nutzen?
15.06.2025 18:13
Lesezeit: 3 min
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„Banknoten-Paradoxon“: Milliarden unter den Matratzen - Bargeldmenge steigt weiter
Seit 2022 hat sich die Wachstumsrate zwar stark verlangsamt, doch die im Umlauf befindliche Bargeldmenge nimmt nach wie vor zu und nicht ab. In der Bundesbank wird das Phänomen „Banknoten-Paradoxon“ genannt. (Foto: dpa) Foto: Monika Skolimowska

Milliarden unter den Matratzen: Bargeldmenge steigt weiter

Die häufigen Unkenrufe zum bevorstehenden Verschwinden des Bargelds sind verfrüht: Ungeachtet der stetig abnehmenden Bedeutung von Scheinen und Münzen beim alltäglichen Einkauf steigt die im Umlauf befindliche Bargeldmenge im Euroraum nach wie vor. Zentralbanken und Fachleute gehen davon aus, dass Bargeld in dreistelligem Milliardenwert nicht ausgegeben, sondern gehortet wird.

Schätzung: vierhundert Milliarden Euro Bargeld lagern in Privathaushalten

Nach Zahlen der Bundesbank liegt der Anteil der in Deutschland zur „Wertaufbewahrung“ gehaltenen Banknoten bei etwa 42 Prozent, knapp zweieinhalbmal so hoch wie noch 2013. In absoluten Zahlen: Ende 2024 lagerten nach Schätzung der Bundesbanker 395 Milliarden Euro in Deutschlands Privathaushalten – sehr ungleich verteilt, da Umfragen zufolge viele Haushalte keine oder nur geringe Barreserven haben.

„Bargeld-Paradoxon“

Im März waren nach Zahlen der Europäischen Zentralbank im Euroraum insgesamt 1,564 Billionen Euro in bar im Umlauf. Das waren knapp 30 Milliarden mehr als im Frühjahr 2022 und sogar 300 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der Corona-Pandemie fünf Jahre zuvor. Seit 2022 hat sich die Wachstumsrate zwar stark verlangsamt, doch die im Umlauf befindliche Bargeldmenge nimmt nach wie vor zu und nicht ab. In der Bundesbank wird das Phänomen „Banknoten-Paradoxon“ genannt. Es sei seit „vielen Jahren zu beobachten, und zwar in vielen Ländern“, sagt eine Bundesbank-Sprecherin in Frankfurt.

„Noch bis ins Jahr 2021 war die Wachstumsrate der Banknoten im Umlauf stets ein Vielfaches der jährlichen Inflationsrate“, sagt Johannes Gärtner, Bezahlfachmann bei der Unternehmensberatung Strategy&.

Paradox ist das Phänomen deshalb, weil bekanntermaßen die Zahl der Menschen abnimmt, die mit Scheinen und Münzen bezahlen. Im Jahr 2023 wurde laut Bundesbank zwar noch die Hälfte aller Bezahlvorgänge an Deutschlands Kassen bar abgewickelt, das machte jedoch lediglich ein gutes Viertel der gesamten Umsätze aus.

Elektronische Zahlung weiter auf dem Vormarsch

Laut einer kürzlichen Umfrage von Strategy& unter 5.500 Befragten in neun europäischen Ländern und der Türkei hat die Debitkarte mittlerweile Bargeld als am weitesten verbreitetes Zahlungsmittel abgelöst – nur noch 23 Prozent zahlten bevorzugt bar. Viele Einzelhändler bevorzugen mittlerweile ebenfalls die elektronische Zahlung, vor allem die kontaktlose, bei der die Kundschaft keine PIN-Nummer eingeben muss. „Das ist bis zu sieben Mal schneller als Bargeldzahlung“, sagt Bernd Ohlmann, der Sprecher des Handelsverbands Bayern.

„Unsicherheit ist der treibende Faktor“

Doch warum ist mehr Bargeld im Umlauf, wenn immer weniger Menschen es im Alltag nutzen? „Der Euro wird sehr stark gehortet“, sagt Ralf Wintergerst, Vorstandschef des Münchner Banknoten- und Sicherheitstechnikherstellers Giesecke+Devrient, der weltweit gut 150 Zentralbanken zu seinen Kunden zählt. „Das Produktionsvolumen des Euro wird zwar auch zum Bezahlen benutzt, aber mittlerweile eben halt auch zum Weglegen.“ Das Unternehmen sei seit 20, 30 Jahren mit den Zentralbanken immer wieder in Diskussionen: „Was geschieht eigentlich im Bargeldkreislauf, warum und wofür nutzen die Menschen Bargeld?“ Wintergersts Erklärung für den offenkundigen Trend zur Bargeldhortung: „Unsicherheit ist der treibende Faktor.“

Laut Bundesbank erreichte der zur Wertaufbewahrung gelagerte Anteil des Bargelds während der Corona-Pandemie einen Höchstwert von 43 Prozent – was allerdings maßgeblich an den monatelangen Lockdowns in der ersten Phase der Pandemie lag: „Der Anstieg des Banknotenumlaufs in Krisen – nicht nur während der Corona-Pandemie – aufgrund der mit diesen einhergehenden Unsicherheit ist ein häufig beobachtetes Phänomen“, sagt die Bundesbank-Sprecherin.

Gangster brauchen Cash

Unternehmensberater Gärtner bringt noch zwei weitere Faktoren ins Spiel, die mutmaßlich zum Anstieg des Bargeldumlaufs beitragen. „Grundsätzlich ist das Wachstum der Bargeldmenge nicht dem klassischen Zahlungsverkehr zuzuordnen“, sagt der Finanzexperte. „Die Gründe liegen vielmehr in einer Mischung aus Hoarding, Schattenwirtschaft und der Rolle als Reservewährung im Ausland.“ „Schattenwirtschaft“ bezeichnet wirtschaftliche Aktivitäten jenseits von Recht und Gesetz, ob klassische Schwarzarbeit oder kriminelle Geschäfte. So ist die Autobahn A3 in Bayern dafür bekannt, dass die Polizei bei Kontrollen immer wieder auf immense Summen Bargeld stößt: Im November fanden Schleierfahnder im Auto eines 34 Jahre alten Mannes eine Million Euro, mutmaßlich aus kriminellen Geschäften stammend und verpackt in Plastiktüten.

Altmodisch, aber sicher

Doch auch wenn die Bedeutung des Bargelds im Alltag der gesetzestreuen Bürgerschaft weiter sinken dürfte, ist nicht zu erwarten, dass künftig nur noch Gangster Scheine und Münzen im Geldbeutel – oder in Plastiktüten – mit sich schleppen. Die Bundesbank hat sich den Erhalt des Bargelds und der dazugehörigen Infrastruktur auf die Fahnen geschrieben. Denn Bargeld hat unbestreitbare Vorteile. Dazu zählt nicht zuletzt, dass Scheine und Münzen keinen Strom und keine elektronische Infrastruktur brauchen. „Die Zentralbank muss für eine dauerhafte, resiliente Bezahlinfrastruktur sorgen“, sagt G+D-Vorstandschef Wintergerst. „Wenn es Krieg gibt, wenn es Krisen gibt, bei Hochwasser muss es trotzdem möglich sein, zu bezahlen. Dafür spricht Bargeld.“

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