Auf deutschen Bankkonten schlummern Milliarden Euro, die anscheinend niemandem gehören. Die Rede ist von sogenannten herrenlosen oder auch „nachrichtenlosen Konten“. Also Konten, auf denen seit langer Zeit keine Bewegung ist, etwa weil die Inhaber gestorben sind. Nun planen Union und SPD das Geld in einen Fonds fließen zu lassen, um es dann für sogenannte „soziale Investitionen“ auszugeben. Im Koalitionsvertrag (Seite 79) heißt es dazu: „Wir fördern soziale Innovationen und nutzen dafür Gelder aus nachrichtenlosen Konten in einem revolvierenden Fonds.“
Bundesregierung will an Geld von „vergessenen Konten“
Mehrere Milliarden Euro könnten auf nicht mehr aktiven Bankkonten lagern – und zukünftig von der Bundesregierung eingezogen werden. Bislang fällt das Geld auf derartig inaktiven Konten nach 30 Jahren in der Regel an die verwaltende Bank. Diese wiederum muss den Betrag dann als Gewinn verbuchen und versteuern. Sollte sich ein Anspruchsberechtigter doch noch melden, muss die Bank das Geld dann trotzdem auszahlen – auch wenn es bereits verbucht wurde.
Auch im Falle eines Umzugs kann es zur langjährigen Inaktivität eines Kontos kommen, sollte der Inhaber eine Adressänderung vergessen und somit für die Bank nicht länger erreichbar sein. Ähnlich verhält es sich bei einer Unternehmensauflösung, bei der nicht alle Konten dementsprechend gekündigt wurden. Möchte niemand das Geld haben, kann es dann eben die Bank übernehmen.
Unterschiedlichen Schätzungen zufolge befinden sich auf deutschen Konten zwei bis neun Milliarden Euro. Während die Bank zur Verwaltung dieser Summen verpflichtet ist, ist die Hürde für einen staatlichen Zugriff auf die Gelder sehr hoch, allein schon durch die langjährige Aufbewahrungspflicht der Banken. Doch das möchten Union und SPD jetzt offenbar ändern.
„Herrenlose“ Konten: Bundesregierung plant ein zentrales Melderegister
Die Bundesregierung plant zunächst eine neue Festsetzung des Zeitraums für nachrichtenlose Konten. Statt einer 30-jährigen Inaktivität könnten Union und SPD den notwendigen Zeitraum ohne Kontobewegung beispielsweise auf 20 oder weniger Jahre festsetzen, um so eine schnellere Einziehung der Gelder durch die Bank zu bewirken. In Großbritannien gibt es ein ähnliches System: Nach 15 Jahren können die Guthaben nachrichtenloser Konten staatlich vergeben werden, indem sie an eine Förderbank weitergeleitet werden. Auch in Frankreich wurde 2016 eine gesetzliche Regelung eingeführt, wonach Banken zehn Jahre (bei Bausparverträgen 20 Jahre) nachrichtenloses Vermögen an das staatliche Finanzinstitut „Caisse des Dépôts et Consignations (CDC)“ übertragen müssen.
Die Kreditinstitute könnten dann auch hierzulande verpflichtet werden, das Geld weiterzuleiten. Als Grundlage ist ein Verzeichnis über alle nachrichtenlosen Vermögenswerte in Form eines zentralen Melderegisters geplant, in dem die nachrichtenlosen Konten aufgeführt werden. Bislang geschieht das nur innerhalb der einzelnen Institute, was Angehörigen die Suche nach Konten von Verstorbenen eher erschwert.
Die Bundesregierung möchte dann, ähnlich wie Großbritannien, das nicht „aufgespürte“ Guthaben zukünftig in einen Fonds einspeisen, aus dem dann wiederum die „sozialen Innovationen“ getätigt werden, um damit zum Beispiel soziale Projekte zu finanzieren. Wie genau die Gelder staatlich genutzt werden sollen, ist bislang nicht klar.
Bankenverband übt Kritik: Zugriff ohne rechtliche Klarheit
Im Koalitionsvertrag der Regierung findet sich die vage Absicht, diese vermeintlich herrenlosen Gelder dem Staat zuzuführen. Doch zentrale Fragen bleiben ungeklärt: Ab wann gilt ein Konto als „unbewegt“? Wie lange darf ein Konto ruhen, bevor der Staat sich Zugriff verschafft? Thorsten Höche, Chefjustiziar des Deutschen Bankenverbands, bringt die Unsicherheit auf den Punkt: „Die Frage eines unbewegten Kontos ist eine Frage des Zeitraums – nach welchem Zeitraum, wenn da keine Bewegung stattgefunden hat, will der Staat auf die Mittel zugreifen?“ Ein gesetzlicher Rahmen fehlt bislang vollständig.
Noch brisanter ist der drohende Eingriff in die Eigentumsrechte von Bankkunden. Höche warnt klar: „Grundsätzlich ist es schon so, das ist natürlich auch ein Eingriff in Eigentumsrechte des Erblassers bzw. des Bankkunden.“ Der Staat könnte also künftig Gelder einkassieren, obwohl der rechtmäßige Eigentümer noch lebt – nur weil keine Aktivität auf dem Konto zu erkennen ist. Diese Praxis würde dem Grundsatz der Unverfügbarkeit fremden Eigentums eklatant widersprechen. Dass ein demokratischer Rechtsstaat überhaupt eine solche Maßnahme prüft, ist mehr als fragwürdig.
Staat als Erbe nur im Ausnahmefall
Nach geltendem Recht wird der Staat nur dann zum Erben, wenn keine Verwandten auffindbar sind. Vorher sind Banken und Nachlassgerichte verpflichtet, mögliche Erben zu ermitteln. Erst wenn diese Suche erfolglos bleibt, fließt das Geld an das Bundesland des letzten Wohnsitzes des Verstorbenen. Auch dann genießt der Staat keinerlei Sonderstatus. „Dann wird das Erbrecht des Fiskus festgestellt, der dann im Grunde ganz normal, wie jeder andere Erbe auch, die Ansprüche gegenüber Banken und anderen Schuldnern geltend machen kann“, erläutert Höche.
Fazit: Politischer Aktionismus statt rechtlicher Seriosität?
Milliardenbeträge auf deutschen Bankkonten stehen plötzlich zur Disposition – obwohl sie nicht dem Staat gehören. Doch der Zugriff auf dieses Geld droht Grundrechte zu untergraben und Eigentumsgrenzen zu verwischen. Die geplante Umwidmung der Mittel in einen Fonds für soziale Zwecke entzieht das Geld dem Haushalt und damit der demokratischen Kontrolle. Bislang liegt dazu nur eine Absichtserklärung im Koalitionsvertrag vor – ein konkreter Gesetzentwurf fehlt noch. Doch allein der Vorstoß zeigt, in welche Richtung sich das Staatsverständnis entwickelt: weg vom Bewahrer individueller Rechte, hin zum aktiven Zugriff auf fremde Werte. Ein gesetzlich legitimierter Zugriff auf ruhende Konten ohne Erbklärung würde einen fragwürdigen Präzedenzfall schaffen.