Finanzen

Bargeldlos um jeden Preis: Ist Schweden Vorbild oder Extremfall?

Schweden hat sich in den vergangenen Jahren zu einem nahezu bargeldlosen Land entwickelt. Seit 2007 hat sich der Bargeldbezug im Land halbiert. Die Wirtschaft ist in hohem Maße digitalisiert, und insbesondere Großstädte funktionieren nahezu ausschließlich bargeldlos.
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15.05.2025 08:15
Lesezeit: 4 min
Bargeldlos um jeden Preis: Ist Schweden Vorbild oder Extremfall?
Bald kein Bargeld mehr? (pixabay/ Alexas_Fotos)

Schweden stellt in dieser extremen Entwicklung einen Sonderfall dar – selbst andere Länder mit vergleichsweise geringem Bargeldaufkommen, wie etwa Norwegen, können hier nicht mithalten. Dieses Extrembeispiel kann uns nicht nur Aufschluss über die Risiken eines solchen Weges geben, sondern auch einen Ausblick darauf, was möglicherweise auch uns in Zukunft erwartet.

Bargeld ist gesetzliches Zahlungsmittel

Rein rechtlich ermöglicht die Vertragsfreiheit, dass – obwohl Bargeld laut dem „Sveriges Riksbank Act“ als gesetzliches Zahlungsmittel vorgeschrieben ist – Geschäfte und Betriebe die Freiheit haben, diese Regel zu umgehen. Jedes Geschäft kann demnach die Annahme von Bargeld verweigern. Von diesem Recht machen zunehmend sogar Banken selbst Gebrauch: So zahlen 900 von 1.600 Bankfilialen in Schweden kein Bargeld mehr aus und nehmen keine Bareinzahlungen an. Einzig Krankenhäuser sind von dieser Regelung ausgeschlossen, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung weiterhin für alle sicherzustellen.

Diese drastischen Entwicklungen geben vielen gesellschaftlichen Akteuren zu denken. Daher wurde im Jahr 2023 eine nationale Kommission unter der Leitung der schwedischen Zentralbank eingerichtet, die die Auswirkungen der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs untersuchen und Empfehlungen für den Erhalt der finanziellen Inklusion erarbeiten soll. Die Kommission setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Regierung, Wissenschaft, Banken, Verbraucherschutz und Zivilgesellschaft zusammen. Erste Empfehlungen sehen unter anderem die Wiedereinführung eines Grundangebots an Bargelddienstleistungen vor, insbesondere für ländliche Regionen und ältere Menschen.

Digitale Zahlungsalternativen zu Bargeld

Ein sehr beliebtes alternatives Zahlungsmittel ist die digitale Zahlungsapplikation „Swish“. Seit 2012 ermöglicht diese App für Smartphones Echtzeitüberweisungen. Eine Vielzahl von Banken hat sich zusammengeschlossen, um dies bankenübergreifend zu ermöglichen. Die App wird nicht nur im privaten Bereich genutzt, sondern etabliert sich zunehmend auch im Einzelhandel sowie im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen. Sogar Zahlungen an Behörden sind über Swish möglich. Laut Angaben der Schwedischen Nationalbank nutzen mittlerweile über 80 % der Bevölkerung Swish regelmäßig – darunter auch viele kleine Unternehmen, Spendenorganisationen und öffentliche Einrichtungen.

Bargeldlos: Einschränkung des Schwarzmarktes?

Die Einschränkung des Bargeldflusses wird häufig mit dem Argument begründet, dass dadurch Schwarzmarktaktivitäten und Geldwäsche eingedämmt werden könnten. Allerdings zeigt sich, dass auch digitale Alternativen – wie die App „Swish“ – zunehmend als Mittel zur Geldwäsche genutzt werden. Die Echtzeitüberweisungen machen dies besonders attraktiv: Geldsummen können schnell zwischen verschiedenen Konten verschoben, aufgeteilt und wieder zusammengeführt werden. Auf diese Weise lassen sich Geldflüsse verschleiern und gezielt an den gewünschten Ort weiterleiten, wo letztlich Bargeld abgehoben werden kann.

Die schwedische Polizei spricht hier von dem Phänomen der „Skiktning“ (Stratifizierung oder Schichtung), das darauf abzielt, eine hohe und damit schwer nachvollziehbare Zahl an Verbindungen zwischen Straftat und Erlös zu erzeugen – und so den Ursprung des Geldes zu verschleiern. Diese Problematik zeigt, dass nicht das Zahlungsmittel allein über Sicherheit oder Kriminalität entscheidet, sondern die Regulierung und Kontrolle der Zahlungswege.

Bargeldlos bezahlen: Wer wird abgehängt?

Der Übergang in eine bargeldlose Gesellschaft lässt viele Menschen zurück. Insbesondere ältere Menschen, die nicht so vertraut mit dem Umgang von Smartphones sind wie jüngere Generationen, werden in diesem Wandel nicht ausreichend berücksichtigt. Für viele bedeutet die bargeldlose Gesellschaft einen Verlust an Kontrolle: Finanzangelegenheiten müssen nun von Dritten übernommen werden. Wer niemanden hat, der helfen kann, ist vollständig ausgeschlossen – andere sind auf die Zeit und den guten Willen ihrer Mitmenschen angewiesen und verlieren dabei den Überblick und die Autonomie über ihre eigenen Finanzen.

Auch für viele Menschen mit Behinderung bedeutet der Zugang zu Bargeld ein Stück Autonomie und Selbstständigkeit – beides ist durch den Übergang zu einer bargeldlosen Gesellschaft gefährdet.

Abstrahierung des Geldes

Der Umgang mit Bargeld bietet vielen Menschen die Möglichkeit, ihre Ausgaben besser zu überblicken und zu kontrollieren. Studien zeigen, dass digitales Zahlen das Verhältnis zum Geld stark abstrahiert. Es wird dadurch schwieriger, zu erfassen, wie viel Geld man täglich ausgibt und wie viel einem monatlich tatsächlich zur Verfügung steht. Tatsächlich zeigt sich, dass Kunden eher beriet sind (mehr) Geld auszugeben, wenn die Bezahlung digital vorgenommen wird, als es in bar zu bezahlen.

Es überrascht daher nicht, dass das Abschließen von Krediten in Schweden weit verbreitet ist. Per SMS können Kunden auf Knopfdruck Kredite beantragen. Wer viele einzelne und mit der Zeit unübersichtliche Kredite anhäuft, kann sogenannte Umschuldungskredite abschließen, um die bestehenden Kredite zu tilgen – nur um sich erneut zu verschulden.

Dies zeigt, dass besonders Menschen mit geringem Einkommen und begrenzten finanziellen Mitteln durch die Abstraktion des Geldes schnell den Überblick verlieren und in eine Schuldenfalle geraten können. Für viele Menschen ist das haptische Element von Bargeld ein entscheidender Faktor: Es hilft nicht nur beim Verständnis von Geld, sondern auch beim Erkennen seines Wertes – im wahrsten Sinne des Wortes. Bargeld hat Gewicht, Form, und es ist spürbar. Eine Zahl auf dem Bildschirm hingegen bleibt abstrakt.

Bargeld als soziale Interaktion

Weitere Studien zeigen zudem, dass das Hantieren mit Bargeld – das Überreichen, Wechseln und Annehmen – für viele Menschen eine bedeutende soziale Interaktion darstellt. Barzahlungen können Momente der zwischenmenschlichen Verbindung schaffen, die bei digitalen Zahlungen wegfallen. In einer digitalisierten Gesellschaft nehmen solche Interaktionen ab, was zu einer zunehmenden Vereinsamung führen kann. So gilt Schweden heute als ein stark individualistisches Land indem jeder Vierte laut Umfrage mit dem Gefühl von Einsamkeit zu kämpfen hat.

Sicherheitsbedenken

Eine vollständig bargeldlose Gesellschaft ist in hohem Maße auf technische Infrastrukturen angewiesen – und somit besonders anfällig für Systemausfälle, Stromunterbrechungen oder Cyberattacken. Bereits kleine technische Störungen können den Zahlungsverkehr kurzfristig zum Erliegen bringen und ganze Wirtschaftszweige lahmlegen. Ein Stromausfall, wie er kürzlich in Teilen Spaniens und Portugals vorgekommen ist, führt nicht nur zu Verdunkelung, sondern legt auch digitale Kassen und Bankautomaten lahm. In Schweden könnte ein vergleichbarer Blackout oder ein gezielter Angriff auf kritische Netzkomponenten schnell dazu führen, dass Menschen ohne Zugriff auf Bargeld oder Offline-Alternativen keine Lebensmittel, Medikamente oder andere lebensnotwendige Güter mehr erwerben können.

Bargeld und Deutschland

Die jüngsten Entwicklungen in Deutschland und der EU verdeutlichen einen klaren Trend hin zur bargeldlosen Gesellschaft. Das schwedische Beispiel, als eines der weltweit am stärksten digitalisierten Länder, offenbart jedoch eindrücklich die Risiken eines radikalen Wandels: Von zunehmender Anfälligkeit gegenüber Cyberangriffen und Stromausfällen bis hin zur sozialen Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Selbst in Schweden mehren sich inzwischen Stimmen – auch aus Banken und Fachkreisen –, die eine Rückkehr zu mehr Bargeld fordern. Eine digitalisierte Wirtschaft kann nur dann nachhaltig funktionieren, wenn technologische Resilienz mit sozialer Inklusion Hand in Hand geht.

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Siri Moede

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Siri Moede ist Redaktionsassistentin bei den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Sie hat einen Bachelorabschluss in Internationalen Beziehungen mit Vertiefung im Public International Law. Aktuell studiert sie Politikwissenschaften im Master an der Freien Universität Berlin. 

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