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Carl Siebel: „Je höher die Position, desto wichtiger der Charakter“

Carl A. Siebel hat aus einem Familienunternehmen einen Weltkonzern geformt. Er vertritt die Auffassung, dass Charakterstärke die entscheidende Qualität für Führungspersönlichkeiten ist. Charakter und der Umgang mit den Mitarbeitern entscheiden über Erfolg oder Scheitern.
19.11.2016 01:51
Lesezeit: 5 min
Carl Siebel: „Je höher die Position, desto wichtiger der Charakter“
Carl Siebel. (Foto: DWN)

Carl A. Siebel ist einer der erfolgreichsten deutschen Unternehmer. Doch anders als manch ein Börsen-Star oder Fußball-Mäzen kann Siebel unerkannt durch die deutschen Städte marschieren: Die Öffentlichkeit weiß nichts von ihm – obwohl seine unternehmerischen Erfolge spektakulär und nachhaltig sind. Siebel war der erste Deutsche an der Spitze eines amerikanischen Unternehmens, das an der Börse notiert ist. Er formte mit der Aptargroup einen Mischkonzern, dessen Portfolio von Gesundheitsartikel über Kosmetika bis in den Pharmabereich reicht. Das Unternehmen machte im dritten Quartal 2016 einen Umsatz von 590 Millionen Dollar und erwirtschaftete trotz einer Akquisition einen Gewinn von 123 Millionen Dollar – also eine sagenhafte Marge von 21 Prozent.

Der 81-jährige Siebel ist nicht mehr aktiv im Unternehmen. Ohne ihn gebe es den Konzern nicht. In Bonn geboren, stieg er früh in den Betrieb seines Vaters ein, den dieser 1945 nach dem Kauf eines bankrotten Unternehmens geformt hatte. Siebel leitete einige Jahre ein Tochterunternehmen. Nach den unternehmerischen Lehrjahren wurde er Geschäftsführer beim der familieneigenen Perfect Valois Ventil GmbH in Dortmund. Er formte aus dem Unternehmen einen Milliarden-Konzern, fusionierte mehrfach mit US-Firmen und brachte das Endprodukt schließlich 1993 als Aptargroup an die New Yorker Börse. Viele Jahre leitete er das Unternehmen als CEO – mit dauerhaftem Erfolg.

Siebels Karriere ist erstaunlich, weil es ihm offenkundig gelungen ist, die Werte eines deutschen Familienunternehmens im rauen Umfeld der Börse neu zu definieren. Dazu gehört vor allem sein Selbstverständnis als Unternehmer, das ihn von den meisten angestellten Managern unterscheidet: „Ich habe die Werte des Unternehmertums von meinem Vater gelernt. Wir haben auch beim Abendessen von der Firma gesprochen, mein Vater hat für sie gelebt. Ich habe so früh die Sorgen und die schlaflosen Nächte erlebt, habe gesehen, dass mein Vater rund um die Uhr arbeitet. Ich war schon früh fasziniert und wollte nie etwas anderes werden“, sagt Siebel den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Es ist nach all den Jahren erst das zweite Interview, das er gibt: „Das erste war für CNBC“, erinnert sich Siebel: „Ich habe für mich die Regel aufgestellt, so wenig wie möglich mit der Presse zu tun zu haben. Wir Unternehmer sollten Ego-Trips meiden.“

Die Zurückhaltung kommt aus seiner Überzeugung, dass ein Unternehmer auf das Geschäft fokussiert sein soll. Nur dann könne ein Unternehmen Erfolg haben. Dies sei vor allem bei einem international tätigen Konzern unerlässlich, weil es gilt, die unterschiedlichsten Kulturen zu integrieren: „Es ist eine große Herausforderung, die einzelnen Kulturen zu verstehen. Viele Unternehmen kümmern sich nur um die Zahlen und wundern sich, wenn es nicht läuft. Sie setzen auf Controlling, aber das ist nicht entscheidend. Zentralisierung und Kontrolle verhindern den Erfolg. Viele Unternehmen werden heute so geführt, dass die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass das Management ihnen nicht vertraut.“ Vertrauen aber sei die Grundlage, um im globalen Wettbewerb die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Die Analyse der Zahlen reiche nicht aus: „Vertrauen wird dann wichtig, wenn die Zahlen nicht erreicht werden. Dann kommt es auf mein Menschenbild an. Ich gehe davon aus, dass jeder Mitarbeiter sein Bestes gibt. Niemand macht absichtlich Fehler. Wenn Fehler gemacht werden, müssen wir sie analysieren. Zu einem richtigen Ergebnis komme ich nur, wenn ich den Mitarbeitern und ihrer Kompetenz in den lokalen Märkten vertraue. Unsere Mitarbeiter hatten völlige Freiheit. Das einzige, was sie nicht verändern durften, war die Preis-Strategie. Diese Freiheit waren vor allem die Amerikaner nicht gewöhnt. Aber sie haben es auch bald gelernt.“

Siebel hat immer darauf geachtet, dass die Mitarbeiter bereits in einer sehr frühen Phase an Entscheidungen mitwirken. Entscheidend für ihn war das von Unternehmensberater Heiner Kübler Konzept zur Erarbeitung von Strategien. Dieses Konzept setzt darauf, Mitarbeiter der zweiten und dritten Führungsebene bereits sehr früh in die Entwicklung von Strategien einzubeziehen. Gemeinsam mit Kübler hat Siebel dieses Konzept auch bei der Aptargroup umgesetzt. Siebel: „Wenn man externe Berater für die Strategie holt, mag es schneller gehen. Aber wir haben bewusst die Führungskräfte einbezogen – und damit sichergestellt, dass die Strategie dann auch umgesetzt wird.“ Die Einbindung der Mitarbeiter ist Ausdruck des Vertrauens, das Siebel seinen Führungskräften entgegenbringt. In vielen Konzernen bedeutet der Auftritt von Heerscharen von externen „Experten“ nämlich, dass das Management den eigenen Mitarbeitern nicht vertraut.

Siebel ist der Auffassung, dass die deutsche Kultur hilfreich für einen modernen Führungsstil ist: „Die Amerikaner setzen sehr auf Autorität und Gehorsam. Bei den Amerikanern kommt der CEO dicht hinter dem lieben Gott. Bei einem Besuch in Chicago habe ich einmal beiläufig gesagt, dass ich die Teppichböden scheußlich finde. Beim nächsten Besuch hatten die Amerikaner alle Teppiche herausgerissen. Ich sagte entsetzt, was denn da los sei, das muss ja eine Menge gekostet haben! Die Mitarbeiter entgegneten mir: Aber Sie haben ja bei ihrem vorigen Besuch gesagt, dass sie Ihnen nicht gefallen.“

Den partnerschaftlichen Ansatz wählte Siebel auch im Umgang mit den Aktionären. Anders als angestellte Manager, die nur auf die Quartalszahlen achten, pochte Siebel auf das langfristige Wachstum des Unternehmens: „Wir hatten zeitweise 60 Prozent Eigenkapital – wir hatten 400 Millionen Cash auf der Bank. Meine Aktionäre sagten, warum machen wir nicht eine große Akquisition oder schütten das Geld an die Aktionäre aus? Ich habe beides abgelehnt und das Geld für technologische Innovationen verwendet. Meine Aktionäre sind mir immer gefolgt, weil sie sahen, dass eine langfristige Strategie auch ihnen nützt.“

Siebel ist der Meinung, dass es möglich ist, ein börsennotiertes Unternehmen nach den klassischen Werten des deutschen Mittelstandes zu führen: „Entscheidend sind Charakter und Persönlichkeit des Managers. Je höher die Position, desto wichtiger ist der Charakter.“ Inhaltlich müsse der Manager – wie der Unternehmer – Veränderungen herbeiführen: „Der Unternehmer darf nie sagen, es läuft jetzt so gut, so machen wir weiter. Der Unternehmer braucht Wagemut, er muss die Revolution anführen.“

Dieses Prinzip hat für Siebel universale Geltung. Die deutsche mittelständische Kultur bringt jedoch einen zusätzlichen Vorteil mit sich: „Wir haben in Deutschland ein sehr gutes Modell der Mitbestimmung. Gewerkschaften und Betriebsräte sind an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert. In Frankreich dagegen herrscht Antagonismus, weil die Arbeitnehmervertreter ideologisch agieren.“ Trotzdem glaubt Siebel, dass die deutschen Mittelständler vor großen Herausforderungen stehen. Eigentlich wären die Deutschen prädestiniert für die technologische Revolution. Siebel: „Die Deutschen sind sehr technologieaffin, das ist gut. Aber sie sind ängstlich. Sie neigen zum Pessimismus. Die Amerikaner packen ein Problem einfach an und lösen es.“

Um den Mittelständlern diesen Prozess zu erleichtern, haben Siebel und Kübler gemeinsam ein Buch geschrieben, in dem sie die zahlreiche Beispiele anführen, warum deutsche Familienunternehmen erfolgreich sind. Das Buch trägt den etwas sperrigen Titel „Mittelstand ist eine Haltung. Die stillen Treiber der deutschen Wirtschaft.“ In dem Buch werden keine Anekdoten erzählt. Es liest sich wie eine Gebrauchsanleitung zum unternehmerischen Erfolg und zeigt, wie deutsche Unternehmen im Wind der Globalisierung bestehen.

Namen sind in dem Buch keine genannt. Die Bescheidenheit ist Teil der mittelständischen Haltung. Siebel „residiert“ heute in einem Büro in der Nähe des Düsseldorfer Kunstmuseums. Das Büro ist so klein, dass man sich kaum umdrehen kann – das Gegenteil der repräsentativen „Vorstandsetage“, außerhalb derer viele moderne Manager nicht arbeiten können. Siebel pflegt dieses „understatement“, auch, weil er weiß, dass in Deutschland der Neid durchaus verbreitet ist: „Das ist anders als in den USA. Die Chicago Tribune hat einmal eine Rangliste der 100 bestbezahlten Manager der Stadt veröffentlicht. Ich war schockiert, als ich meinen Namen auf der Liste gesehen habe und habe mich kaum getraut, ins Büro zu gehen. Doch zu meinem Erstaunen haben mir die Mitarbeiter gratuliert. Sie sahen meinen Erfolg als Beleg für den Erfolg des ganzen Unternehmens.“

Das Buch: Carl A. Siebel und Heiner Kübler, Mittelstand ist eine Haltung, Econ-Verlag, 288 Seiten, 19,99€. Zu bestellen auf Amazon oder im guten deutschen Buchhandel.

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